Hannes Wader zum Siebzigsten

Es war im Jahr 1977, ich wohnte zu der Zeit notgedrungen in Göttingen. Adresse: Zieten-Kaserne, ich gammelte dort meinen Wehrdienst ab. In die Göttinger Studentenkneipen traute ich mich nur selten – allzu sehr fiel man auf in der Szene, wenn man rappelkurze Haare hatte. Es war einfach zu blöd, sich dauernd für etwas rechtfertigen zu sollen, in das man einfach nur so reingerutscht war. Ich wäre weiß Gott lieber Student als „W15er“ gewesen… Dennoch zog mich eine Kneipe sehr an, das war der Nörgelbuff, damals die Folkkneipe in Göttingen.

Eines Tages stand ich schon recht früh im Nörgelbuff. Es war nicht viel los dort, es war wohl ein Abend ohne Live-Musik. Ich lehnte am Tresen und orderte ein Bier. Jemand stellte sich neben mich, um auch irgendwas zu bestellen. Die Stimme kam mir bekannt vor, deshalb sah ich mir den anderen an: es war Hannes Wader. Den hatte ich bisher nur im Fernsehen gesehen! Aber ich konnte fast alle seine Texte mitsingen, kannte alle seine Platten – er war ein Idol für mich! Jetzt wäre Gelegenheit gewesen, 1000 Fragen zu stellen, seine Texte zu loben, ihn um ein Autogramm zu bitten – was weiß ich noch… Aber ich hab’s nicht getan, habe mich nicht getraut. Dachte, das sei dem als schweigsam bekannten Wader sicher zu blöd, außerdem war ich erst 20 Jahre alt und noch ziemlich unfertig. Was, wenn er – der Friedensbewegte – in mir nur den jungen Soldaten gesehen hätte, der nicht den Mumm hatte, sich der Bundeswehr zu verweigern? Ich hatte einfach nicht den Mut, diesen Mann anzusprechen…

In der Folgezeit sah ich Hannes Wader recht häufig. Zur Zeit meines Studiums in den späten 70er und frühen 80er Jahren in Dortmund trat er oft ganz in der Nähe auf Jugendfestivals, Ostermärschen und Friedensdemos auf. Ich sah ihn über die Jahre mehrmals bei Auftritten in Osnabrück und Georgsmarienhütte, in den Jahren 2001 und 2010 erlebte ich ihn zusammen mit Konstantin Wecker auf der Waldbühne in Kloster Oesede, keine zwei Kilometer von hier.

Noch immer kann ich Wader-Texte mitsingen – besonders die der frühen, bissigen Lieder. Vor 27 Jahren schaukelte ich eine Weile lang jeden Abend zu „Steh´ doch auf, du armer Hund“ meinen Erstgeborenen in den Schlaf. Manche Liedzitate sind bei uns in den familieninternen Sprachgebrauch übergegangen. Fragt uns eine/r, ob bei uns alles ok ist, antworten wir zuweilen mit einer Zeile aus dem Lied „Charley“: „…alles wie es sein sollte, ruhig und normal!“ Und sehe ich ein weibliches Wesen, das – obwohl es könnte – so gar nichts aus sich macht und überhaupt keine Ausstrahlung hat, liegt mir gleich „…eine Frau, die so aussieht wie ein Mann sie erwählt, dem jeglicher Sinn für schöne Dinge fehlt…“ auf der Zunge, ein Textausschnit aus „Aufgewachsen auf dem Lande“.

Hannes Wader war in all den Jahren ein „gefühlter“ Freund, obwohl wir nie ein Wort miteinander gewechselt haben. Vielleicht war es ganz gut, dass ich damals im Nörgelbuff die Klappe gehalten habe. Wäre das Gespräch irgendwie gescheitert, hätte ich im Leben einen Freund weniger gehabt…

Es gibt ein Lied von Hannes Wader, das ich besonders liebe, es heißt „Unterwegs nach Süden“. Ein Textzitat daraus hat mich gelegentlich wieder aufgebaut und ist mir deshalb sehr teuer: „…und wenn ich erst den Namen kenne, bringt dies Gift mich nicht mehr um!“

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