Winterblues

Sonntag. Seit Tagen schneit es – sehr verhalten zwar, aber unverwandt. Man mag kaum aus dem Fenster gucken – alles ist weiß, nur der Himmel ist grau. Kein freundliches Grau! Langsam stellt sich der Winterblues ein … Raus muss man trotzdem, die vierbeinige Bestie will gelüftet werden. Das macht zwar – wie jedes Mal – mehr Spaß als zunächst angenommen, dennoch braucht man danach irgendwas, was einen irgendwie wärmt – sowohl körperlich, als auch in Sachen angegriffener Laune. Das Mittel der Wahl: Musikhören! Dies meine heutige musikalische Selbstmedikation:

Johnny Cash - American Recordings III: Solitary Man (CD 2000)Johnny Cash – American Recordings III: Solitary Man (CD 2000)

Das wärmt mich jedesmal: der alternde Johnny Cash, vom (ursprünglich Hip-Hop-)Produzenten Rick Rubin zu musikalischen und emotionalen Höchstleistungen angestachelt. Das dritte von insgesamt sechs in dieser Reihe produzierten und veröffentlichten Alben, die letzten zwei davon posthum. Hört man in den beiden Vorgänger- Alben American Recordings I und II noch einen Cash mit starker, obgleich gealterter Stimme, kippt hier die die Stimmung gänzlich in Richtung Ahnung eines baldigen Endes. Cashs Stimme wirkt erstmals brüchig, von Krankheit gezeichnet. Die Songinhalte handeln von Abschied, wirken oft resignativ – berichten dann aber auch wieder von der Hoffnung auf Erlösung. Cash ergänzt eigenes Repertoire mit Coverversionen von Songs hochkarätiger Kollegen wie Tom Petty, Neil Diamond, U2, Will Oldham oder Nick Cave, macht aber aus dem „Fremdmaterial“ etwas ganz Eigenes. Unbedingt hörenswert!

Charles Aznavour - Désormais (LP 1972)Charles Aznavour – Désormais (LP 1972)

Und wenn ich selbst mal so drauf bin, dass ich Trost von jemanden brauche, von dem ich annehmen kann, er sei noch verweltschmerzter als ich gerade, dann lege ich gern mal eine Platte des kleinen Armeniers und wahlfranzösischen großen Chansonniers Charles Aznavour auf. Ich habe mangels französischer Sprachkenntnisse nicht den Hauch einer Ahnung, ob meine Einschätzung der durch Aznavour transportierten Chansoninhalte wirklich stimmt, aber das ist mir ziemlich egal. Dieser Sänger ist jederzeit in der Lage, mit seinem mir doch recht melancholisch vorkommenden Gesangsduktus mein Herz zu erwärmen.

Dylan-Covers

Es ist Sonntag, also nehme ich mir die Zeit, Bob Dylan-Coverversionen aus meinem Archiv zu kramen. Ich google ein wenig und finde so die List of artists who have covered Bob Dylan songs, die mir bei der Suche zur unverzichtbaren Hilfe wird. Unter vielen anderen finde ich folgende Titel:

  • Ry Cooder – I Need A Woman
  • Jeff Beck – Tonight I’ll Be Staying Here With You
  • Patti Smith – Changing Of The Guards
  • Adele – Make You Feel My Love
  • Jeff Buckley – Mama, You’ve Been On My Mind
  • Madeleine Peyroux – You’re Gonna Make Me Lonesome When You Go
  • Manfred Mann’s Earth Band – Shelter From The Storm
  • Jimi Hendrix Experience – All Along The Watchtower
  • Melanie – Mr. Tambourine Man

Besonders fasziniert mich aber Robyn Hitchcock mit seiner Version von „Not Dark Yet“, die ich mal hier einbetten möchte. Ach, eins noch: Hitchcock bringt John Paul Jones mit auf die Bühne, den Bassisten von Led Zeppelin. Der spielt hier die Mandoline. Viel Spaß dabei!

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Medienstau

Ach, manchmal wird’s auch mal ein bisschen viel. Momentan sitze ich wesentlich lieber vor meinen Lautsprechern und höre Musik, als dass ich großartig zum Bloggen käme. Soviel Ungehörtes hat sich angesammelt in den letzten Wochen – man kommt ja kaum hinterher. Ich zähle mal ein paar Sachen auf:

Led Zeppelin - Celebration DayLed Zeppelin – Celebration Day (2CD + 2DVD, 2012)

Lange herbeigesehnt, gibt es die Aufnahmen dieses einzigartigen 2007er Konzerts nun endlich seit Ende letzten Jahres in Ton und Bild. Meine hoch gesteckten Erwartungen werden hier mehr als erfüllt. Was die Gründungsmitglieder John Paul Jones, Jimmy Page und Robert Plant gemeinsam mit Jason Bonham, dem Sohn ihres 1980 verstorbenen Drummers John Bonham, auf die Bühne bringen, ist ein Tritt in den Hintern vieler Möchtegern-Epigonen. Fantastisch!

Who's That Man - A Tribute To Conny Plank (4CD 2013)Who’s That Man – A Tribute To Conny Plank (4CD 2013)

Conny Plank war in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts der maßgebliche Produzent und Toningenieur für Krautrock und Elektropop. Er produzierte die ersten fünf Alben von Kraftwerk, arbeitete mit Cluster, Neu!, Gianna Nannini, Heinz-Rudolf Kunze, den Eurythmics, Guru Guru, Kraan, Jane, Ultravox, Brian Eno, Can, Michael Rother, Klaus Dinger und, und, und … 1987 starb er 47jährig an einer Krebs-Erkrankung, mitten in der Arbeit an Heiner Pudelkos erstem Solo-Album.

Die 4CD-Box bringt viele Beispiele seiner Arbeit, wenngleich die Herausgeber wohl auf die großen Namen wie Kraftwerk, Ultravox, Can oder Kunze verzichten mussten – wegen nicht eingeräumter Rechte … ? Egal – was auf diesen CDs von Neu!, D.A.F., La Düsseldorf, den Eurythmics, H.-J. Roedelius, Dieter Möbius, Brian Eno und vielen anderen zu hören ist, hätte die Anschaffung schon gerechtfertigt, wenn ich die Box nicht geschenkt bekommen hätte. Ein Bekannter, für den ich Bewerbungsfotos gemacht hatte, überraschte mich mit einem Geschenk-Paket von Amazon …

Gianmaria Testa - Da Questra Parte Del Mare (CD 2006)Gianmaria Testa – Da Questa Parte Del Mare (CD 2006)

Segschneider brachte mich drauf – der nutzte unter anderem diese hervorragend produzierte CD, um mir die Qualität seiner Musikanlage zu demonstrieren, was ihm auch gelang. Ich saß auf seinem Sofa, er sagte sowas wie: „… das musst Du hören …“, und dann überraschte mich aus heiterem Himmel diese unglaublich sonorige, bassige, raue Stimme auf Italienisch – eine Sprache, die ich leider nicht verstehe. Trotzdem nimmt mich diese Stimme auch jetzt noch, nachdem ich mir das Album gekauft und einige zig-mal gehört habe, fest gefangen. Es handelt sich, wie ich nun weiß, um ein Konzeptalbum, das sich mit dem Schicksal von Flüchtlingen beschäftigt, die versuchen, von Nordafrika aus über das Mittelmeer nach Südeuropa zu gelangen. Gianmaria Testa schreibt auf seiner Website:

Sie sind zu zweit von irgendeinem Hafen in Nordafrika aufgebrochen, als blinde Passagiere versteckt im Laderaum eines Frachtschiffes. Nach zwei Drittel der Reise hat man sie entdeckt und ins Meer geworfen. Ein Fischerboot hat sie aus der Adria geholt. Keinerlei Hilfe an Bord.
Sie haben sie wie Ballast in einem Schlauchboot zweihundert Meter vor einem Strand in Apulien ausgesetzt.
Als sie an Land gebracht wurden, war es für einen der beiden zu spät.
(…)
Ich habe nicht für sie geschrieben. Das könnte ich nicht.
Ich habe für mich geschrieben und für diejenigen, die wie ich auf dieser Seite des Meeres leben.

Testas Lieder bekommen mit dem Wissen darum, um was es da inhaltlich geht, auch für den des Italienischen nicht mächtigen Hörer zusätzliches Gewicht. Den Melodien und der ungewöhnlichen Stimme kann man sich ohnehin schwer entziehen. Kaufbefehl!

Aktuelle Schnäppchen beim Haushaltsauflöser meines Vertrauens (nur LPs):

  • Bob Dylan – Blood On The Tracks (1974), Planet Waves (1974), Slow Train Coming (1979)
  • Joni Mitchell – Shadows And Light (Live, 2LP 1980). Schon deshalb interessant, weil hier Jaco Pastorius den Bass bedient!
  • Beatles – Revolver (1966), Abbey Road (1969)
  • Miriam Makeba – Forbidden Games (1973)
  • … und noch 30 weitere …

 

heavy rotation Vol. 12: Caterina Valente In New York

Caterina Valente In New York (CD 2002)(CD 2002, Original: Plenty Valente!, LP 1957)

Ich weiß gar nicht so genau, was mich dazu gebracht hat, mir diese CD zu Weihnachten zu wünschen. Dass ich’s getan habe, war aber ein großer Glücksfall!

Caterina Valente ist für mich eher eine Kindheitserinnerung, als dass sie mir aktuell präsent wäre. Dabei lebt sie noch – 82jährig in Lugano. Kaum eine Fernsehshow in den 50er und 60er Jahren kam ohne die Valente aus, da sang sie dann Schlager, die von ihrer Thematik her das Fernweh der Deutschen bedienten. Mir sagte das damals gar nichts. In Deutschland wussten wohl zu der Zeit nur wenige, dass die Valente sich in Amerika längst auch Sporen im Jazz verdient hatte.

1956 – ich war noch nicht geboren – ging Caterina nach Amerika. Der berühmte Produzent Milt Gabler nahm sie unter seine Fittiche und brachte sie mit Sy Oliver und dessen Orchester zusammen. im November 56 entstanden die Aufnahmen für das Album Plenty Valente!. Im Jahr 2002 wurden diese Mono-Tracks dann wiederveröffentlicht. Das mit damaligen Schwarzweiß-Fotos reich bebilderte CD-Album zeigt eine hinreißende junge Frau im Vollbesitz überhaupt aller ihrer denkbaren Möglichkeiten – sicher hätte ich mich in sie verliebt damals …

Die Aufnahmen klingen – obwohl lediglich monaural – erstaunlich frisch. Valentes Phrasierung wirkt jugendlich und ausgereift zugleich. Das muss wohl auch den Musikern Spaß gemacht haben – was die junge Sängerin und das Orchester darbieten, ist aus einem Guss und begeistert mich 57 Jahre später über die Maßen. So sehr, dass das Album schon seit Weihnachten in Griffweite zum CD-Player liegt!

Segschneider rezensiert #02: Nina Simone – Feeling Good

Gestern flatterte mir Segschneiders zweiter Text zur Musik ins Haus. Ich denke, das wird nun eine eigene Rubrik werden! Hier die neue Rezension, die sich diesmal nicht mit einem konkreten Album, sondern einem bestimmten Titel von Nina Simone befasst. „Feeling Good“ gibt’s auf etlichen Alben – ich stelle mal ein Bild meines Nina Simone-Samplers daneben. Nun aber Segschneider:

Nina Simone - My Baby Just Cares For Me (Sampler)DIE FARBE BLAU – Nina Simone feeling good

Legt man die üblichen Maßstäbe an, dann hat sie ein schwieriges und schweres Leben gehabt, zuviel Leichtigkeit kann da nicht gewesen sein. Und trotzdem hat sie all die Jahre diese unglaubliche Musik gemacht. Man braucht nur mal im Leben etwas Schweres durchzumachen: Nina S. auflegen – man fühlt sich verstanden und auf eine seltsame, weil rational kaum zu erklärende Weise getröstet.

In ihrem Oeuvre gibt es viele Perlen. Wie sie „Mississippi Goddam“ hinknallt, einen Aufschrei der Bürgerrechtsbewegung, getrieben von der Leidenschaft eines Martin Luther King – atemberaubend. Und den Song von der Seeräuber Jenny erst!! Da müsste es Kurt Weill vom Stuhl gehoben haben vor Begeisterung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das je so hochenergetisch, so explosiv über eine Opernbühne gebracht worden ist. (Ja, ich habe Lotte Lenya gehört und ich will über sie keineswegs nörgeln.) Wie gesagt, Perlen gibt es viele.

Aber drei Stücke katapultieren sie in den Olymp. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach. Zwei davon gelang es mir auf CD zu ergattern, ich hätte sie gerne auf LP, es sind jedoch seltene Stücke. Das dritte muss an dieser Stelle unerwähnt bleiben, ich will mir meine Chancen da nochmal dranzugelangen nicht total verbauen. Womit wir zu Plain gold ring kommen. Das ist eine jener für sie so typischen Balladen, die erzählen, wie’s einem so ergehen kann, wenn es – in Heutesprech – suboptimal läuft.

Das andere Stück ist mein Favorit: Feeling good. Da lässt sie sich fliegen, hier und heute und dieses eine Mal, weg aus dem grauen Alltag, rein in die bessere Welt. Es ist einfach aufgebaut, wie viele ihrer Songs. Ihre Stimme kontrastiert mit massiven Orchestereinsätzen, die – auf einer traumhaften Musikanlage abgespielt, HiFi wäre zu wenig – emotionale Barrieren durchschlagen wie der Punch eines Schwergewichtboxers. Obendrein spielt Nina diese gehauchten Klaviertöne, über deren technische und pianistische Brillianz ein deutscher Konservatoriumsschüler nur die Nase rümpfen würde – aber da irrte er sich gründlich. Timing und timbre, darin ist Nina S. schlichtweg unnachahmlich. Ihre empfindsamen Töne atmen, tragen Stimmungen und leben auf ganz eigene Weise. Die meisten Menschen ahnen nicht, wie schwer es ist, so leicht zu spielen.

Minimalismus heisst, die Welt in einem Wassertropfen zu sehen. Bei Nina Simone kann man eine ganze Welt voller Empfindung in einem Klavierton hören. Wenn man denn hinhören will. (Und wenn man die geeignete Anlage dazu hat – oder geht’s auch ohne, Michael? Da sollten wir uns mal ein paar Gedanken drüber machen … )

– seg –

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