heavy rotation Vol. 20: Avalanche Quartet – Leonard Cohen Songs (CD 2007)

Nachtrag zu In Memoriam L. C.

Avalanche Quartet - Leonard Cohen Songs (CD 2007)Segschneider stieß im Netz auf ein Video des Avalanche Quartet und dessen Interpretation des Cohen-Titels Dance Me To The End Of Love, berichtete darüber in einem Beitrag im Januar, beklagte aber auch, es sei keine CD des Ensembles aufzutreiben. Gemeinsam haben wir nun das schweizerische Plattenlabel fazerecords ausfindig gemacht, bei dem man die CD Leonard Cohen Songs direkt beziehen kann. Kurz entschlossen geordert, stellt sich dieses Album inzwischen als überaus empfehlenswerter Kauf und Dauergast in der Schublade meines CD-Players heraus!

Der Silberling vereint 14 Werke des Meisters, darunter Bird On A Wire, Famous Blue Raincoat, Dance Me To The End Of Love, Sisters Of Mercy und Lover, Lover. Entkernte Arrangements, eine stimmige akustische Instrumentierung und die hervorragenden gesanglichen Qualitäten der Holländer, allen voran die des Frontmanns Henk Hofstede, verpassen dem Material eine Frischzellenkur. Der Sänger bringt es fertig, den Klassikern diesen Cohen-typischen Hauch von Melancholie zu lassen, ohne den aber zu persiflieren. Er macht seinen Helden nicht nach, aber beim Zuhören hat man das Gefühl, Cohen wäre mit im Raum gewesen und hätte dem Ganzen seinen Segen gegeben. Wunderbar gespielt und erstklassig klingend!

Wer also mit Lust auf Cohen am Plattenregal stehend doch wieder im letzten Moment zu Jennifer Warnes´ Album Famous Blue Raincoat gegriffen hat, dem böte sich hier eine zumindest gleichwertige Alternative …

heavy rotation Vol. 19: Keith Emerson & Greg Lake – Live From Manticore Hall (CD 2014)

Keith Emerson & Greg Lake – Live From Manticore Hall (CD 2014)Schon lange her, dass ich zuletzt einen Beitrag der Kategorie heavy rotation geschrieben habe. Seit einer Woche aber hat sich das hier zu besprechende Album die Lufthoheit über meinen CD-Spieler erobert – daher möchte ich auf die Scheibe hinweisen.

Pack schlägt sich, Pack verträgt sich! So begeben sich 2010 Keith Emerson und Greg Lake gemeinsam auf Tour durch kleine Hallen in Amerika. Emerson hat seit längerer Zeit Probleme mit der rechten Hand (Karpaltunnelsyndrom), Lake ist „raus“, hat keine Routine mehr. Die Tour soll die beiden fit machen für weitere Streiche, so die Idee der Plattenfirma. Mit abgespecktem Instrumentarium und ohne Schlagzeuger (der kommt wohl gelegentlich vom Band) treten sie ihrem Publikum entgegen, erzählen zwischen den Stücken Schwänke aus der ELP-Bandhistorie. Na ja …

Was die beiden „alten Herren“ aber aus dem musikalischen Sack lassen, ist aller Ehren wert! Los geht’s mit From The Beginning, das schon immer zu meinen ELP-Favourites gehörte. Wow, ein Vorspiel von Emerson – ok, warum nicht, es passt. Ich bin gespannt, ob Greg Lake seinen stimmlichen Part hinbekommt – er schafft es hervorragend! Zum Schluss statt des gewohnten Moog-Synthesizer-Solos Klavierklänge – auch das geht vollkommen in Ordnung. Man ahnt – die Arrangements sind vereinfacht, kommen den gegenüber den Glanzzeiten der Band leicht eingeschränkten Möglichkeiten der Protagonisten entgegen, das schadet aber der Musik überhaupt nicht.

Weiter mit I Talk To The Wind, einem gelungenen Rückgriff auf Lakes Zeit bei King Crimson und deren Debütalbum In The Court Of The Crimson King. Es geht Schlag auf Schlag: Bitches Cristal vom Album Tarkus, The Barbarian vom ELP-Debütalbum, dann das unvergleichliche Take A Pebble, die Tarkus-Suite. Während des herrlich kitschigen C´est La Vie wird’s noch mal etwas ruhiger, bevor bei Pirates wieder richtig die Post abgeht. Und endlich – hätte man die beiden sonst von der Bühne gelassen? – der Lucky Man.

Ich lümmle mich dabei verzückt im Sofa, schlürfe mein Weinchen, muss manchmal grinsen, wenn an gewissen Stellen Emersons Solos etwas einfacher ausfallen als seit Jahrzehnten ins Gedächtnis eingebrannt, oder wenn Lakes Stimme statt in noch höhere Lagen doch lieber in die tieferen ausweicht. Geschenkt! Emerson und Lake machen ihre Sache richtig gut, mit heiterer Gelassenheit, so scheint es, in Selbstbeschränkung, aber durchaus mit Freude über das Geschaffene – auch ein bisschen Altersweisheit scheint da mitzuschwingen. Und plötzlich geht mir auf, warum mich das so anrührt: auch ich bin älter geworden, sitze gern bequem, trinke Wein statt Bier und stöhne ein bisschen, als ich mich erhebe, um zum CD-Spieler zu gehen … C´est La Vie!

heavy rotation Vol. 18: Willy DeVille – Unplugged in Berlin (CD 2011)

Willy DeVille - Unplugged in Berlin (CD 2011)In meiner Sammlung gibt es eine ganze Reihe von Platten Willy DeVilles – sowohl Solo-Alben als auch Aufnahmen mit seiner Band Mink DeVille. Ich mag diesen Mann und seine Musik schon lange. Er sah mit seiner hageren Gestalt, dem Gehrock, den Pluderärmel-Hemden, den langen Haaren und dem Schmuckgeklimper immer aus wie eine Mischung aus hohlgesichtigem Voodoo-Meister und lackaffigem Dandy – eine irgendwie aus der Zeit gefallene, aber absolut faszinierende Erscheinung.

Sein Gesang war der des begnadeten Nichtsängers. Er nuschelte, lag so manches Mal eine Wenigkeit neben dem „richtigen“ Ton und gerade deshalb immer „richtig“. Er hatte den Blues, war Southern Rocker, verstand sich auf Tex-Mex, baute Cajun-Elemente in seine Musik ein. Meiner Meinung nach kein Spitzen-Instrumentalist, aber durch und durch ein Musiker, vielleicht sogar ein Musikant im besten Sinne. Bezeichnend eine Äußerung meiner Liebsten, als ich mich vor Jahren mit DeVille zu beschäftigen begann: „… früher hättest Du das als Tanzschulmusik abgetan!“

DeVille konnte im Musik-Business nie richtig Fuß fassen. Mal hatte er einen Plattenvertrag, dann mal wieder nicht – ein ewiges Auf und Ab. Unser Held starb 2009 an Bauchspeicheldrüsenkrebs – mit nur 58 Jahren …

In die aktuelle DeVille-Phase geriet ich durch Zufall: ich stöberte online im Katalog von MEYER RECORDS, einer deutschen Plattenfirma, die sich auf akustische Musik spezialisiert hat. Einer meiner Audio-Freunde riet mir, man könne jede Veröffentlichung dieses Labels unbesorgt kaufen, also war ich offen für Entdeckungen.

Und dann fand ich diese Platte. Willy DeVille unplugged? – Da erteilte ich mir den sofortigen Kaufbefehl! Und seit dieser Silberling im Haus ist, liegt er im oder zumindest neben dem CD-Player. Darauf ein grandioses Konzert, das DeVille im März 2002 in der Berliner Columbiahalle gab – nur begleitet von Piano und Akustikbass, gelegentlich spielt er selbst Gitarre oder Harmonika. Da ist nichts geschnitten – dankenswerter Weise bekommt man seine schnodderig-launig-lakonischen Zwischenansagen und die flapsige Kommunikation mit dem Berliner Publikum mitgeliefert.

Der Gesang! Brüchig, rauchig, kehlig, manchmal leicht nölend, gepresst und jegliche Art von Gefühl zulassend, aber niemals übertrieben kitschig-triefend singt sich DeVille durch ein Repertoire, das ihm wie auf den Leib geschrieben scheint. 16 der 18 Titel stammen nicht von ihm selbst, aber er macht sie sich auf unnachahmliche Art zu Eigen. Einer der Höhepunkte für mich: „Let It Be Me“, 1960 ein Hit der Everly Brothers, 1955 veröffentlicht von Gilbert Becaud unter dem Titel „Je t’appartiens“. Unter DeVilles Gesang verwandelt sich die Beinah-Schnulze in eine ergreifende Liebesballade. Das von Elvis Presley bekannt gemachte „Hound Dog“ hingegen wird trotz der vermeintlich spärlichen Instrumentierung mit Piano und Bass zum Kracher – grandios DeVilles Hundegejaule! Spätestens dieser Titel weist den Sänger und seine kongenialen Mitmusiker als in der Wolle gefärbte Rock’n’Roller aus.

DeVilles Interpretationen von „Spanish Harlem“, „The Way We Make A Broken Heart“, „You Better Move On“ oder „Shake Rattle And Roll“ begeistern – man denkt „… so hätte das immer schon klingen sollen!“ – spätestens an dem Punkt hat er einen endgültig am Schlafittchen, der gute Willy – und der Himmel steht still …

„Heaven Stood Still“ – damit endet ein wunderschöner Abend, bei dem man gern dabei gewesen wäre!

heavy rotation Vol. 17: Charlie Haden Family & Friends – Rambling Boy

Ein Freund versorgte mich netterweise mit einem Stapel von CDs des im Juli verstorbenen Jazz-Kontrabassisten Charlie Haden. Da ich zwar wusste, wer Haden war und was er darstellte, aber keine großen Repertoirekenntnisse seines Werkes hatte, kam mir das sehr recht. Unter diesen Alben fand ich eines, das mir derzeit das liebste ist:

Charlie Haden Family & Friends - Rambling BoyCharlie Haden Family & Friends – Rambling Boy (CD 2008)
Charlie Haden trat schon als knapp Zweijähriger zusammen mit seiner Familie als Haden Family Radio Show auf. Das Repertoire bestand zu großen Teilen aus Country- und Westernmusik, was Haden als Musiker nachhaltig beeinflusste. In seinen frühen Zwanzigern spielte Haden, der sich mittlerweile für den Kontrabass als sein Instrument entschieden hatte, mit führenden Jazzmusikern zusammen. Er gehörte zum Doppelquartett Ornette Colemans, das 1960 das wegweisende Album „Free Jazz – A Collective Improvisation“ aufnahm. Dies am Beginn einer langen Karriere, die ihn immer wieder mit bekanntesten Jazzgrößen wie Pat Metheny, Keith Jarrett, Jan Garbarek, Chet Baker, John Scofield und vielen anderen zusammenbrachte. Für Plattenliebhaber nicht unwichtig: Haden spielte etliche Alben für Manfred Eichers Label ECM ein.

Haden war ein politisch denkender Mensch, so engagierte er sich gemeinsam mit anderen Künstlern in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und gegen den Vietnam-Krieg.

Als habe er im Alter in Erinnerung an seine Anfänge in der Familienband einen Kreis schließen wollen, nahm Haden anlässlich seines 70sten Geburtstages zusammen mit seiner Frau Ruth Cameron, seinen Drillingstöchtern Petra, Rachel und Tanya und seinem Sohn Josh die hier zu besprechende Platte „Rambling Boy“ auf. Dazu lud er (musikalische) Freunde ein: Elvis Costello, Pat Metheny, Bruce Hornsby, Rosanne Cash und noch einige andere, die mir weniger bekannt sind.

Was diese muntere, vor Musikalität sprühende Truppe da eingespielt hat, zeugt von herrlich unbefangenem, frischem Umgang mit der amerikanischen Musiktradition. Traumhaft schön, wie hier traditionelle Countrymusic-Spielweisen und der von den Haden-Schwestern meisterlich beherrschte Americana-Harmoniegesang mit aus dem Jazz bekannten Harmonien zusammenkommen.

Dieses Album hat viele schöne Momente. Eins meiner Lieblingsstücke ist die von Ruth Cameron vorgetragene Ballade „Down By The Sally Gardens“, aus der sich im Mittelteil ein typischer Metheny-Lauf herausschält. Der Gesang ist hier einfach phantastisch, völlig entkernt und ohne Manierismen. Ich stelle mir dabei eine schöne, ungeschminkte Frau vor …

Wunderbar auch „You Win Again“ mit Elvis Costello. Den verbuche ich eigentlich immer schon in die Kategorie „begnadeter Nichtsänger“. Auch hier wird er mit seinem suchenden, leicht nölenden Gesang meiner Schubladisierung gerecht.

Das von Petra Haden mit klarer Stimme gesungene „The Fields Of Athenry“ beginnt als sparsam mit Akustikgitarre und Fiddle begleiteter Country-Song, um dann wie von ungefähr eine harmonische Brechung Richtung Jazz zu erfahren. Schon jetzt schimmert ein bisschen Metheny durch – auch in den Gesang mischen sich Jazz-Phrasierungen. Bass, später Schlagzeug und Klavier setzen ein, dann ein Banjo-Solo – jetzt hat die Musik aber endgültig die Grenze zum Jazz überschritten. Stimme und Instrumente werden lauter, der gesamte Sound verdichtet sich, jetzt noch ein eindeutig Pat Metheny zuzuordnendes Gitarrensolo und der Song mausert sich zur Hymne. Phantastisch!

Schlau: gleich im Anschluss wieder ein „typischer“ Countrysong mit Bass, Gitarre, Fiddle und knarzigem Gesang, diesmal eingesungen von Dan Tyminski, einem Bluegrass-Musiker aus dem Umfeld von Alison Krauss.

Die letzten beiden Tracks stellen dann den eigentlichen Höhepunkt des Albums dar. Zuerst hören wir den kleinen Charlie Haden in einer Originalaufnahme der Haden Family Radio Show, und in der letzten Aufnahme den 70jährigen Haden mit seinem einzigen Gesangspart „Oh Shenandoah“. Seine Stimme klingt dünn und zerbrechlich. In seiner Jugend erkrankte Haden an einer leichteren Form von Kinderlähmung, was zu lebenslangen Schäden an den Stimmbändern führte. Als letzten diesen Song zu hören, erzeugt in mir als Zuhörer dann doch sentimentale Gefühle. Für den in Shenandoah, Iowa geborenen Haden schließt sich hier ein (Lebens-)Kreis.

Dieses im Kreise von Familie und Freunden eingespielte Album darf nun, fast zwei Monate, nachdem Charlie Haden an den Spätfolgen seiner Polio-Erkrankung starb, als eine Art Vermächtnis angesehen werden.

heavy rotation Vol. 16: Beck / The Moody Blues / Andreas Martin Hofmeir

Ich kann weder sagen, warum bisher die Musik des amerikanischen Musikers Beck (Beck Hansen) völlig an mir vorbei gegangen ist, noch bin ich in der Lage, so recht nachzuvollziehen, warum sich das nun geändert hat. Ich weiß aber, dass ich herzlich froh über letzteren Umstand bin. Wahrscheinlich las ich in einem meiner Lieblings-Klolektüre-Bücher, dem äußerst schlauen und humorvollen, dabei höchst kenntnisreich geschriebenen „Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee – Die Pop-Tagebücher“ von Eric Pfeil von ihm.

Beck - Morning Phase (CD 2014)Endlich war es so weit: auf dem Streaming-Portal meines Vertrauens wurde ich erstmals mit Beck und seinem unlängst erschienenen Album „Morning Phase“ bekannt. Das war Liebe beim ersten Zuhören! Vielleicht ganz gut, dass ich dieses Album völlig unbeleckt von irgendwelchem Vorwissen um vorherige Alben des Künstlers hören durfte.

Um die Morgen-Phase also geht’s. Ja, stimmt! Die nicht mal einminütige Anfangssequenz des Albums stellt so etwas wie die Verlautung einer kurzen Morgendämmerung dar. Dann setzt die akustische Gitarre ein, gefolgt von Becks Stimme: „Woke up this morning, from a long night in the storm …“ – stimmt – Unwetter, das hatten wir letzte Nacht auch … Das ist Musik, bei der man gern noch einen Moment liegen bleibt!

Die allgegenwärtigen Streicher, Becks hallig-chorig abgemischte Stimme, die doch gelegentlich in die Melancholie abgleitet und die überwiegend akustische Instrumentierung nehmen einen mit in den Beck’schen Tag, der allerdings kein nur fröhlicher ist – man wird sich auf Gefühle wie Schmerz und Verlassensein einlassen müssen … Absolut lohnend!

Beck - Morning Phase (CD 2014)Das ganze Album klingt irgendwie „retro“ und ich frage mich lange Zeit, an was mich das alles erinnert. Wahrscheinlich an 70er Jahre-Folk, Crosby, Stills, Nash & Young – vielleicht auch an Simon & Garfunkel. Sicher aber an ein bestimmtes Album der Moody Blues: „Days Of Future Passed„. Das fängt nicht unähnlich an wie das Opus Becks: die ersten drei Tracks „Morning Glory“, „Dawn“ und „The Morning“ haben den selben halligen Schmelz …

Dass das letzte Stück von Morning Phase – „Waking Light“ – mit einem Synthesizer-Outro á la Keith Emerson endet, haut mich dann endgültig um.

Andreas Martin Hofmeir - on the wayZufälle gibt’s … ! Neulich erfreute mich die Liebste mit einer ganz feinen CD: „on the way – Works for Tuba by Duda, Williams, Szentpali“ von Andreas Martin Hofmeir. Der Echo-Preisträger, Tubaprofessor und Kabarettist, der außerdem Tubist bei der bayerischen Gypsy Brass Band LaBrassBanda ist, hat hier gemeinsam mit den Münchner Philharmonikern ein Album eingespielt, das einen in Erstaunen versetzt: dieser große Blechhaufen mit dem gnubbeligen Klang … pöööt pöööt – pöööt pöööt -pöööt pöööt – pötpötpötpöt – pöööt pöööt … ist doch tatsächlich in der Lage, auch als Solo-Instrument zu gefallen – ach was: zu brillieren! Und jetzt kommt’s – das ist der Zufall: beide CDs (die von Beck und die von Hofmeir) erinnern mich an das schon erwähnte Moody Blues-Album. Auch das „Konzert für Tuba und Orchester“ des Komponisten Jörg Duda hat diese morgendliche Aufbruchsstimmung …

„Ja, wie isses nun bloß möglich?“ mag man mit Mutter Kempowski sprechen: alles hängt mit allem zusammen!

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