Musik als Heiler

Musik, eingesetzt in der Therapie - Foto & © by Michael Münch
Musik, eingesetzt in der Therapie – Foto & © by Michael Münch

Wir sind im Alltag darauf fokussiert, was uns als Gesundem (oder zumindest halbwegs Normalem) Musik bedeutet. Aber ist das alles oder gibt es kranke Menschen von denen wir lernen können?

Nehmen wir eine der gruseligsten Krankheiten die wir uns vorstellen können: Demenz. Auch als „menschliche Katastrophe“ tituliert. Wem von uns graut es nicht davor, nicht mehr zu wissen, wer wir sind, unsere Liebsten nicht mehr zu kennen, die Erinnerungen, die wir in uns tragen (schon Heinrich Spoerl sagte, diese seien das wirklich „Wahre“), nicht mehr zu kennen und den Bezug zu Raum und Zeit zu verlieren? Oder dies bei einem lieben Menschen mitansehen zu müssen?

Schon mancher hat sich bei dem Gedanken ertappt, dass der Tod besser sei als so ein Schicksal. Über das Wesen des Todes kann ich nichts sagen – ich bin zwar mal für tot erklärt worden, aber das macht mich nicht zu einer Koryphäe. Aber genau wie viele ein Nahtoderlebnis als Licht am Ende des Tunnels beschreiben, gibt es auch Lichtblicke im Tunnel der dunklen Demenz. Es gibt ein Medium, das zu Demenzkranken besser durchdringt, als alle anderen ausprobierten Stimuli: die Musik. Musik ermöglicht überraschende, kreative und humorvolle Aspekte der Arbeit mit Betroffenen, denen man sonst in einer Interaktion hilflos gegenüber steht.

Eine Therapeutin erlebt staunend, wie ein Demenzkranker (früher als Pianist ausgebildet) immer noch das C-Dur-Präludium von Bach spielen kann. Ihn mit der Flöte begleitend erlebt sie „es neu, intensiver“, entdeckt sie „die Genialität des Stückes mehr und mehr“, obwohl sie es vorab für jemanden mit gut gebildeten Ohren für eindeutig kitschig und „abgegriffen“ hielt. Sie schließt mit „Bach hat es geschafft, aus einem einzigen Motiv ein kleines musikalisches Weltall zu schaffen“. Qualitätsvolle Interaktion mit einem Demenzkranken, der „nur“ noch das kann, aber das dafür so gut, dass er Gesunden zum Lehrmeister wird.

Musik weckt längst vergessene Erinnerungen. Musiktherapeuten wecken Erinnerungen an Freuden, Stärken, schätzen den Menschen und teilen durch die Musik Kümmernisse und Enttäuschungen.

Warum Musik? Traditionell glaubte man, dass Gehirn sei irgendwann „ausgereift“ und sein Veränderungspotential gehe (schleichend) verloren. Heute weiß man, dass das falsch ist. Bei älteren Menschen lässt diese Fähigkeit nach, aber Training kann immer noch bedeutende Veränderungen bewirken. Musik stellt als Therapie bei Umstrukturierungsprozessen eine entscheidende Rolle dar. Bekannte Neurowissenschaftler nennen Musik sogar „den stärksten Reiz für Umstrukturierung des Gehirns, den wir kennen“. Musik regt wie kein anderer Reiz gleichzeitig Denken, Fühlen und Handeln an und stimuliert alle die dafür verantwortlichen Gehirnregionen zeitgleich.

Wir können alle noch viel lernen – entspannt beim Genuss von Musik!

Claudia S.


Details zur Musiktherapie

Dorothea Muthesius, Jan Sonntag, Britta Warme & Martina Falk:
Musik – Demenz – Begegnung
Mabuse-Verlag – zur Verlagsseite

Musikophilie – Gabe oder Krankheit?

Oliver Sacks, © Luigi Novi / Wikimedia Commons
Oliver Sacks, © Luigi Novi / Wikimedia Commons

Oliver Sacks (1933 – 2015) war ein Neurologe, der die Öffentlichkeit wie auch eine bestimmte Fachwelt so geprägt hat wie kaum einer. Berühmt wurde er durch seine Bücher über neurologische Patienten, so z.B. „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“, die sehr einfühlend und auch sehr selbstironisch geschrieben wurden, ohne jemals die Menschlichkeit aus dem Blick zu verlieren  – was ihn schon von vielen Kollegen in seinem Berufszweig unterscheiden dürfte 😉

Als er unheilbar an Krebs erkrankte, schrieb er einen zu Tränen rührenden öffentlichen Abschiedsbrief, dessen Weisheit ehrfürchtig macht.

Was das alles mit HiFi zu tun hat? In einem seiner letzten Bücher beschäftigte sich Sacks mit Musikophilie. Er zitierte zunächst die Verwunderung der „Overlords“, hochkognitiver Aliens in Arthur C. Clarkes Novelle „Childhood’s End“:

„Wie merkwürdig doch der Anblick einer ganzen Spezies ist – Milliarden von Menschen, die mit bedeutungslosen Tonmustern spielen und ihnen lauschen, die einen großen Teil ihrer Zeit mit etwas beschäftigt sind, was sie Musik nennen und darin völlig versinken.“

Wem von uns Hifi-Aficionados ist das fremd? Das Vertiefen in etwas, das keinen rationalen Zugang bietet – außer der Analyse, wie gut ein Ton auf der einen Anlage klingt und auf der anderen eben nicht. Das ist faszinierend, obwohl gute Anlagen sehr schnell entscheiden, wer „der Bessere“ ist. Aber macht das den einzigen Reiz aus?

Wohl eher nicht. Kann man jemandem, der nicht an Musik interessiert ist, erklären, was einen an der Musik interessiert? Auch kaum vorstellbar. Oliver Sacks liefert uns die neurowissenschaftliche Seite dazu. Unser Gehirn leistet auch da seinen Beitrag. Können Sie sich vorstellen, dass Sie einen Unfall haben und danach ist Ihre Beziehung zu Musik eine andere? Nicht vorstellbar? Doch möglich ist es.

Hören Sie Oliver Sacks und einem seiner Patienten zu, einem toughen Ex-Football-Spieler, inzwischen anerkannter orthopädischer Chirurg. Er macht einen Anruf von einer Telefonzelle – als genau daneben ein Blitz einschlägt. Nahtod-Erlebnis, Wiederbelebungsmaßnahmen, ärztliche Untersuchungen … er kommt knapp davon. Und glaubt, so weiterleben zu können wie bisher (ich war selber mal für tot erklärt – ich kenne das Gefühl, das zu wollen). Aber er merkt, es hat sich etwas verändert. Er bekommt den unwiderstehlichen Drang, Musik zu hören. Anstelle von Rock-Musik – vorher war er ein Musik-Muffel, aber Rock war das einzige, was er akzeptieren konnte – giert es ihn auf einmal nach Klassik. Genauer gesagt nach Vladimir Ashkenazys Aufnahmen von Chopin. Er kauft eine Platte nach der anderen. Bis das nicht mehr ausreicht. Er bringt sich bei, selbst zu spielen.

In Träumen beginnen ihm Melodien zu begegnen, die er niederschreiben muss. Er beschreibt dies nicht als Halluzinationen, so fühlt es sich nicht an, sondern als Inspirationen. Drei Monate nach seinem Nahtod-Erlebnis ist er besessen von seiner Musik. Er kommt zu dem Schluss: „Der einzige Grund, warum ich überleben durfte, war Musik.“

Jahre später ist er weiterhin erfolgreicher Chirurg, aber Herz und Seele konzentrieren sich weiterhin in jedem freien Moment auf Musik. Was will uns dies sagen? Nicht jeder von uns hatte ein Nahtod-Erlebnis. Aber dieses Beispiel zeigt uns, dass Musik zu den Bedürfnissen unseres Gehirns gehört – oder zumindest zu einem werden kann. Über einen längeren Zeitraum schleichend, oder auch schicksalsbedingt auf einmal. Und wer einfach Feuer gefangen und den Blitzeinschlag erlebt hat, wer wirklich Musik erlebt hat, den lässt sein Gehirn das niemals vergessen. Für das Gehirn ist es neurologisch egal, ob der Impuls von einem Blitzschlag oder einer Hifi-Anlage kommt! Beides löst elektrisch getriggerte, neuronale Aktivität aus. Und beides kann zu einem Bedürfnis führen, das anscheinend ein Grundbedürfnis der Menschheit ist – Musik!

Claudia S.


Literatur: Oliver Sacks: „Der einarmige Pianist: Über Musik und das Gehirn“. Rowohlt.

Spiegel-Interview mit Oliver Sacks vom 10.03.2008: „Schimpansen tanzen nicht“
Der New Yorker Neurologe und Autor Oliver Sacks über Musik als Heilmittel, akustische Halluzinationen und die Gefahr allgegenwärtiger Beschallung

Tipp: James Hill

Schon vor ein paar Jahren stolperte ich im Internet über James Hill, einen kanadischen Musiker. Er ist ein Meister an der Ukulele. Ist das nicht diese niedliche kleine Schwester der Gitarre? … doch halt: in seinen Händen wird die Ukulele zum Orchester! Nach wie vor bin ich fasziniert von Hills Version des Michael Jackson-Hits Billie Jean:

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Der Mann ist ein hervorragender Instrumentalist:

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Hier und jetzt aber der absolute Knaller:

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Viel Spaß!

Willemsen legt auf (Box-Set 2017)

Willemsen legt auf (9 CD, 1 DVD, 2017)
Willemsen legt auf (9 CD, 1 DVD, 2017)

Vor gut einem Jahr – am 7. Februar 2016 – starb 60-jährig der Publizist und Moderator Roger Willemsen an den Folgen seiner Krebserkrankung. Ich wiederhole mich, wenn ich schreibe, dass Willemsen ein Gebildeter und Intellektueller im ganz posi­ti­ven Sinne war, ein Welterklärer frei von Besserwisserei. Ein druckreif-Redner, stil­si­cher, mit­rei­ßend, ein Erzähler, ein Fanatiker für die gute Sache. Und ein Musikkenner vor dem Herrn!

Willemsen legt auf war eine Radio-Sendereihe von NDR Kultur, betreut von Kulturredakteur Hendrik Haubold. Der erklärt auf der Internetseite des NDR, was es mit dieser Sendung auf sich hatte:

In der Sende- und Veranstaltungsreihe „Willemsen legt auf“ ging es um kluge und spannende Titel-Vergleiche in den Genres Klassik und Jazz. Konkret um solche Fragen: Gibt es zwischen den beiden programmatische Übereinstimmungen oder Korrespondenzen im Sound, gibt es Gattungsüberschneidungen und/oder kompositionstechnische Analogien oder etwa Verwandtschaften im Ausdruck? Nicht zuletzt diese spannende Frage: gab es ein Bluesgefühl schon vor dem Blues in beiden Genres? Eine Frage, die längst überfällig war. Roger war der Autor und Moderator, ich sein Redakteur. Wie man sich denken konnte, war er auch in dieser Disziplin brillant. Gemeinsam produzierten wir 279 Sendefolgen und gingen 26 Mal in Hamburg auf die Bühne und zweimal in Hannover, unterstützt von Anke Engelke, die das – genauso wie Roger – fantastisch machte.

© NDR, Hendrik Haubold

Ich erinnere mich gern an meine Hörerfahrungen mit dieser Sendung. Während jeweils etwa 15 Minuten stellte Willemsen ein klassisches Werk einem Jazztitel gegenüber. Herrlich zu erleben, wie der Musikfreund mit sich vor Begeisterung gelegentlich beinah überschlagender Stimme Unterschiede und Parallelen zwischen den Musiken herausarbeitete. Aus seinem enzyklopädischen Wissen schöpfend reicherte er das an mit Anekdoten und Schnurren über die beteiligten musikalischen Protagonisten – scheute sich auch nicht, seine eigenen Gefühle als Hörer zu schildern. Niemals niedermachend, immer zugewandt! Werbung für die Musik – im allerbesten Sinne!

Mit der Veröffentlichung eines üppig ausgestatteten Box-Sets am 24. Februar 2017 wird das nun wieder erlebbar. Ich kann jedem Musikinteressierten die Anschaffung nur wärmstens ans Herz legen.

Sehr gut geeignet auch als Geschenk. Mein von mir bedachter Freund Meinolf meint:

Und Abends dann Willemsen. Das ist ja das Beste, was seit langem über den CD Player gelaufen ist. Eine einzigartige Entdeckungsreise durch die Musikgeschichte. Doll!!

heavy rotation Vol. 20: Avalanche Quartet – Leonard Cohen Songs (CD 2007)

Nachtrag zu In Memoriam L. C.

Avalanche Quartet - Leonard Cohen Songs (CD 2007)Segschneider stieß im Netz auf ein Video des Avalanche Quartet und dessen Interpretation des Cohen-Titels Dance Me To The End Of Love, berichtete darüber in einem Beitrag im Januar, beklagte aber auch, es sei keine CD des Ensembles aufzutreiben. Gemeinsam haben wir nun das schweizerische Plattenlabel fazerecords ausfindig gemacht, bei dem man die CD Leonard Cohen Songs direkt beziehen kann. Kurz entschlossen geordert, stellt sich dieses Album inzwischen als überaus empfehlenswerter Kauf und Dauergast in der Schublade meines CD-Players heraus!

Der Silberling vereint 14 Werke des Meisters, darunter Bird On A Wire, Famous Blue Raincoat, Dance Me To The End Of Love, Sisters Of Mercy und Lover, Lover. Entkernte Arrangements, eine stimmige akustische Instrumentierung und die hervorragenden gesanglichen Qualitäten der Holländer, allen voran die des Frontmanns Henk Hofstede, verpassen dem Material eine Frischzellenkur. Der Sänger bringt es fertig, den Klassikern diesen Cohen-typischen Hauch von Melancholie zu lassen, ohne den aber zu persiflieren. Er macht seinen Helden nicht nach, aber beim Zuhören hat man das Gefühl, Cohen wäre mit im Raum gewesen und hätte dem Ganzen seinen Segen gegeben. Wunderbar gespielt und erstklassig klingend!

Wer also mit Lust auf Cohen am Plattenregal stehend doch wieder im letzten Moment zu Jennifer Warnes´ Album Famous Blue Raincoat gegriffen hat, dem böte sich hier eine zumindest gleichwertige Alternative …

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