Hörtagebuch

GRANDE
Drei Triodenwatt für Liebhaber – #1

von Michael Münch und Segschneider

Intro

der GRANDE im noch unverkabelten Rohbau
der GRANDE im noch unverkabelten Rohbau

Gibt es ein Leben nach der 2A3? Wir meinen: ja. International wird die Szene der etwas leistungsstärkeren Liebhaber-Endstufen von der 2A3 beherrscht. Einer Röhre, von der Joe Roberts einmal sagte, er habe noch nie eine schlecht klingende 2A3-Endstufe gehört. Und wir unterstellen mal, dass Joe Roberts es nicht an den Ohren hat, sondern durchaus weiß, wovon er spricht. Dennoch gibt es einige Einwände gegen diese Direktgeheizte. Die Zahl der Nachbauten ist kaum noch zu übersehen, die guten alten Exemplare der 2A3 sind verschwunden oder sch…-teuer, wie die neuen sind, weiß niemand so recht – auch Joe Roberts hört lieber die guten alten, und die Zahl der Nachbauten steigt und steigt. Entsprechen sie wirklich alle den Qualitätsgeräten, von denen der gute Joe sprach?

aus: SOUND PRACTICES - Issue 15
aus: SOUND PRACTICES – Issue 15

Klanglich gibt es ebenfalls das eine oder andere zu sagen. Die klassischen 2A3s tönen angenehm, mit einer Tendenz zum Warmen, einer Tendenz, die in vielen Anlagen eventuell vorhandene Fehler gnädig überdeckt. Die Sopranistin mutiert ein wenig zur Mezzosopranistin. Als nachteilig kann empfunden werden, dass Milva dann gelegentlich Damenbass singt, aber so pingelig, diesen Lapsus in die Beurteilung einzubeziehen, so pingelig muss man ja nicht sein. Und – falls man eine nicht so gelungene Anlage hat – was wäre gegen ein wenig Schönfärberei einzuwenden? Wenn dagegen die eigene Anlage bereits ein gewisses Niveau erklommen hat, was dann? Wenn der Wunsch nach klassischer Musik, nach differenziert wiedergegebener Musik besteht, wie dann? Klassische Musik stellt Forderungen an die Wiedergabe. Die ersten wollen von den zweiten Geigen unterschieden werden, der Sologeiger soll vor beiden deutlich differenziert stehen, die unterschiedlichen Spielweisen diverser Solisten – allesamt im Bereich Fein- und Feinstdifferenzierung gelegen – wollen erhört werden, kurzum, es kann eigentlich nicht genug Differenzierung geben. Darüberhinaus feine und feinste Abstufungen in der Dynamik, im Ton der diversen Instrumente und so weiter. Und die Endstufe soll all das liefern.

Und genau so sollte eine Endstufe beschaffen sein, die das Leben nach der 2A3 ermöglicht. Schnell, differenziert, ausgewogen, feinsinnig, und zu jeder Sorte Musik aufgelegt. Ein Klassiker eben. Ein solches Projekt gehen wir hier an. Es wurde eine spannende Arbeit, die uns Einiges abverlangt hat.

Erwartungen

An dieser Stelle sind bereits einige Endstufen vorgestellt worden. Unsere Neigung, noch so eine, vielleicht mit anderen Röhren vorzustellen, war gedämpft. Denn es geht uns nicht anders als vielen Audiophilen: dasselbe noch einmal, nur ein bisschen anders – wer will das schon dauernd. So entstand, zunächst als Frage im Kopf, der Gedanke, ob man höhere Leistung und gesteigertes klangliches Potential denn überhaupt zugleich erreichen könne. Fragen wir den Verkaufskünstler, dann ist das überhaupt kein Thema und die Produkte seiner Firma schwingen sich täglich von Höhenflug zu Höhenflug. Die Realität ist freilich ein wenig anders. In der rauhen Wirklichkeit kann sich eine gut gebaute 2A3 seit mehreren Jahrzehnten behaupten, da hat Joe Roberts schon recht.

Im weiteren Nachsinnen wurde deutlich, dass bessere als die hier vorgestellten Lösungen nur zu erreichen sind, wenn die klangbestimmenden Bauteile festgelegt werden. Solche Festlegung kann sich sehr rasch zu einem Korsett entwickeln, in das ein Nachbauer sich eingepfercht vorkommt, vor allem dann, wenn sehr spezielle und sehr teure Bauteile vorgeschrieben werden. Bereits beim Ausgangsübertrager kann für zwei Stück leicht ein vierstelliger Betrag aufgerufen werden, bei Endröhren wäre das gleichermaßen möglich, wenn wir in die Richtung 2A3 oder 300B gedacht hätten. Mit anderen Worten: die Suche entwickelte sich quasi von selbst zu der Frage, welche exzellenten Bauteile denn noch preisgünstig zu haben wären. Möglicherweise werden sie nicht mehr allzu lange preisgünstig sein, wenn dieser Artikel erst einmal erschienen ist. Aber dagegen lässt sich nichts tun, außer den Mund halten, und wer den Mund halten will, kann nichts mehr veröffentlichen. Wir entschieden uns fürs Veröffentlichen.

Bau und Nachbau

die Ausgangsübertrager LO SE25-3 von Leszek Ogonowski
die Ausgangsübertrager LO SE25-3 von Leszek Ogonowski

Ein kardinales Bauteil einer Röhrenendstufe ist und bleibt der Ausgangsübertrager. Und da ist die Wahl einfach. Es gibt keinen AÜ, der in Sachen Gegenwert fürs Geld und gleichzeitig in Sachen vorzüglicher Ausführung einen Ogonowski schlagen könnte. In beiden Dimensionen setzt dieser immer noch viel zu unbekannte polnische Zauberkünstler die Maßstäbe. Wer einmal einen Schnittbandkern a la Ogo in der Hand gehalten hat, weiß Bescheid. Leszek Ogonowski fertigt auch Übertrager nach Wunsch. Um aber eine schnelle Verfügbarkeit zu haben und um unumgängliche Aufpreise für Maßarbeit zu vermeiden, kam nur ein Serienprodukt in Frage. Der ausgewählte Wickel im SM102b-Kern hat primär einen Nominalwert von 3,0 kOhm, sekundärseitig bietet er 4 und 8 Ohm und ist damit für viele alte und neue Lautsprecher verwendbar. Der große Kern könnte erheblich mehr Leistung übertragen, als wir hier erstreben. Und, das haben wir bitter an dicken Brummern anderer Hersteller erfahren müssen: groß bedeutet nicht unbedingt auch großer Klang, wenn nur kleine Leistungen – die leisen Stellen in der Musik! – übertragen werden sollen. Aber der Ogo brilliert auch in dieser schwierigen Disziplin. Davon hatten wir uns schon zuvor bei einem Hörvergleich an einer PL82-Endstufe überzeugt. Wiewohl ein wuchtiger SM102b nicht gerade die erste Wahl ist, wenn nur 44mA Gleichstrom durch den Trafo fließen – da würde schon ein SM74 genügen -, bewältigt der große Ogo auch eine solche Aufgabe mit Bravour und sogar besser als ein kleiner und uns als gutklingend bekannter Konkurrent. Ogonowski LO SE25-3 also, weil in mehreren Disziplinen unschlagbar gut.

Der einzig verfügbare Nominalwert von 3,0 kOhm musste bei der Wahl der Endröhre selbstverständlich berücksichtigt werden. Eine triodisierte EL34 kommt damit gut zurecht. Dass dies eine Röhre mit besonderen Qualitäten ist, kann und konnte jedermann in Jogis Röhrenbude nachlesen. Unsere eigenen Erfahrungen sind ebenfalls positiv. Aber – das ist der Wermutstropfen – bitte nicht mit jeder EL34! Wir sprechen ausdrücklich nicht von all den neueren Nachfertigungen, sondern nur von zwei alten Exemplaren. Numero eins ist die von RFT gefertigte Version, auch als RSD erhältlich, letzteres war die für den Außenhandel der ehemaligen DDR bestimmte Variante. Numero zwei ist die von TESLA bis Anfang der 80er Jahre gefertigte Version.

Die EL34 von RFT (RSD) - Anodenbleche
Diese EL34 von RFT (RSD) weist gecrimpte Anodenbleche mit 2×4 Löchern sowie zwei breiten Schlitzen (ca. 1,75x5mm) in 12mm Abstand auf.

Anodenbleche EL34 TESLA
Die EL34 von TESLA weist mit 2×5 Punkten geschweißte Anodenbleche auf, die mit zwei schmalen Schlitzen (ca. 6x1mm) in 8mm Abstand versehen sind.
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Die EL34 von RFT (RSD) verfügt über ein scheibenförmiges Getter.
Die EL34 von RFT (RSD) mit scheibenförmigem Getter

EL34 TESLA - Blick aufs Getter
Die EL34 von TESLA mit doppeltem Ring-Getter
EL34 von RFT sind über einen langen Zeitraum und nicht nur an einer Produktionsstätte gefertigt worden. Daher unterscheiden sie sich in kleinen Details. Es gibt sie mit Scheibengetter und mit Ringgetter, mit hohem Sockelkragen und mit flachem Sockelkragen (spätere Ausführung).

Kleiner Einschub. Bevor jetzt Anfragen kommen, möchten wir klarstellen, dass wir eine RFT bzw. RSD auch ohne Aufdruck identifizieren können. Nicht aber jene, von außen nicht unterscheidbare Produktionslinie, die wegen übergroßer Katodenbeschichtung fast ewig halten soll – Jochen Gittel sprach davon.

Dass es extrem langlebige Röhren tatsächlich gegeben hat, nicht nur bei der EL34, und dass das kein Röhrenlatein ist, das wurde auch anderweitig bezeugt. In den VALVO-Archiven zum Beispiel schlummert ein Schreiben der Post, damals noch Bundespost, die der Firma VALVO eine C3m-Röhre nach 122.424 Stunden (sic!) Laufzeit zurücksandte, damit VALVO sich diese Röhren noch einmal anschauen kann. Denn die rückgesendete Röhre hatte immer noch Nennwerte!

C3m - Lebensdauer
C3m – Lebensdauer

Das sind für den Röhrenfreund heutzutage nur noch wunderschöne Träume – leider.

Und ja, wenn das HiFi-Portemonnaie gerade allzu prall sein sollte, dann kann man in diese Endstufe auch die wunderbaren alten Philips mit Metallsockel oder Mullard Xf2-Röhren stecken. Sie sind leicht zu erkennen, es sind die begehrtesten und teuersten Exemplare, weil sich ihr Ruf herumgesprochen hat. Mit Preisen, die als echte Beziehungskiller gelten müssen. Wir möchten davon keineswegs abraten, glauben aber, dass bereits mit den beiden erstgenannten Röhren, für die zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung gelegentlich unter Hundert Euro das Pärchen aufgerufen werden, klangliche Qualitäten zu erwarten sind, die für sich sprechen.

Stillleben mit paper in oil-Kondensatoren (PIO) aus Beständen der ehemaligen Sowjetarmee. Vorn ein 1µF/630V-Typ
Stillleben mit paper in oil-Kondensatoren (PIO) aus Beständen der ehemaligen Sowjetarmee. Vorn ein 1µF/630V-Typ

Ein Bauteil, das wir generell festlegen, sind die Gleichstrom blockierenden Kondensatoren in der Schaltung. Es sollten Ölpapiertypen sein, man kann sie – noch – preiswert aus alter russischer Fertigung erhalten, oder von einer jener audiophilen Firmen beziehen, die wunderbare Preise bieten und wunderbaren Klang versprechen. As you like it!

– wird fortgesetzt –

GRANDE
Drei Triodenwatt für Liebhaber – Prolog

von Michael Münch und Segschneider

Das ist der GRANDE …

GRANDE - Drei Watt aus einer als Triode geschalteten Endpentode
GRANDE – Drei Watt aus einer als Triode geschalteten Endpentode

… und so klingt er:

Wir sprechen vom Klang. Und der ist das Beste an dieser Endstufe. Gegenüber einer PL82 ergeben sich ein Mehr an Feinzeichnung, an Differenzierung, an Dynamik und – für uns nicht das Wichtigste, aber für manche Audiophile ein Muss – ein Zuwachs an Kraft und Druck bei tiefen Tönen. Wir haben das zunächst an Lautsprechern vom Typ ALTEC Santana verifiziert, die sich in einem durchschnittlichen Wohnraum durchaus zu gehobener Zimmerlautstärke treiben lassen, ohne dass der GRANDE an eine Schmerzgrenze kommt. Für Qualitäten wie Feinzeichnung, kleine und kleinste Abstufungen in der Dynamik sowie für tonale Abstufungen ist der SABA freilich ein nochmals aussagefähigerer Testkandidat. Auch mit diesem Meister der leisen und feinen Töne harmoniert der GRANDE wunderbar, sogar in dieser Kombination ist er unserer PL82-Endstufe überlegen. Und, kritische Leser mögen uns dies Eigenlob verzeihen, wir haben keineswegs die schlechtest gebaute PL82-Endstufe zur Verfügung. Mehr wollten wir nicht erreichen.

Segschneider

Projektbeschreibung

In unserer sehr detaillierten Projektbeschreibung wird alles enthalten sein, was man braucht, um dieses Projekt nachzuvollziehen – vorausgesetzt, es liegen Erfahrungen im Umgang mit Röhrenschaltungen und speziell mit den zum Einsatz kommenden hohen Netz-, Wechsel- und Gleichspannungen vor.

Wir haften nicht für Schäden, die durch unsachgemäßes Vorgehen bei einem Nachbau entstehen können!

Wen wir jetzt neugierig gemacht haben, …

… dem raten wir: stay tuned! Ein paar Restarbeiten stehen noch an – sobald die erledigt sind, geht’s los mit der Projektbeschreibung.

Merkwürdiges aus meiner Plattensammlung

Im Laufe der Zeit sammeln sich allerlei seltsame Sachen an im Plattenregal. Zwei dieser Preziosen habe ich heute herausgezogen: einmal die Platte eines estnischen Violinisten namens Lemmo Erendy, zum zweiten ein Album des Singer-Songwriters Jim Croce.

Lemmo Erendy (1939 – 1996) existiert im Netz nur in der estnischen Wikipedia und einigen estnischsprachigen Webseiten. Auf der hier zu besprechenden Vinylscheibe spielt er Kompositionen der drei ebenfalls estnischen Komponisten Mati Kuulberg, Alo Poldmae und Raimo Kangro. Das alles hochprofessionell – alle vier sind studierte Leute, an der Musik gibt’s nichts zu mäkeln.

Lemmo Erendy - Lemmo Erendy (1990)
Lemmo Erendy – Lemmo Erendy (LP 1990)

Wer um alles in der Welt jedoch hat beim doch angesehenen russischen Plattenlabel Melodia den guten Lemmo dermaßen fehlberaten: sich da hinzustellen wie ein Musikbeamter an der Bushaltestelle – in beiger Dutzendklamotte? Oder wie ein Profikiller mit seinem getarnten Arbeitsgerät in einem unfreiwillig komischen Gangstermovie?

Aber damit nicht genug: hier die auf der Rückseite des Covers zu findenden Bilder der drei Komponisten:

Mati Kuulberg (1947-2001)
Mati Kuulberg (1947-2001)

Alo Poldmae (1945-)
Alo Poldmae (1945-)

Raimo Kangro (1949-2001)
Raimo Kangro (1949-2001)

Wenig besser als Verbrecherfotos … die drei wirken auf diesen Bildern wie Typen, die einem Kaurismäki-Film entsprungen sein könnten.


Jetzt kommen wir zu Jim Croce (1943-1973). Diesem amerikanischen Singer-Songwriter verdanken wir so herrliche Songs wie Bad, Bad Leroy Brown (1973), I Got A Name (1973), Time in A Bottle (1973) und I’ll Have To Say I Love You In A Song (1974 posthum erschienen). Am 20. September 1973 starb Croce bei einem Flugzeugabsturz. Am 1. Dezember 1973 erschien das Album I Got A Name.

Discogs zählt beim derzeitigen Stand 64 veröffentlichte Versionen dieses Albums. Auf beinah allen Alben prangt ein angemessenes Foto – nur auf einem findet sich die hier gezeigte Entgleisung, dabei handelt es sich ausgerechnet um eine 1976 in Deutschland erschienene Ausgabe.

Wer war denn da von allen guten Geistern verlassen, uns den armen Jim Croce so zu präsentieren? Am Tisch hängend wie ein Schluck Wasser in der Kurve, vor piefigen Topfblumen, im bunten Hemdchen mit Fluppe und Bier in der Hand, Burger mit Pommes in Griffweite … ?

Jim Croce - I Got A Name (1973)
Jim Croce – I Got A Name (LP 1973, Ausgabe für den deutschen Markt von 1976)

Aufgrund des schrecklichen Fotos erwartet man auf der Platte so’n Zeug wie Kreuzberger Nächte sind lang, aber doch nicht das feinsinnige Material, das Croce hier tatsächlich vorlegt. Wir wenden uns kopfschüttelnd ab …

300B und kein Ende

Eine ironiefreie Glosse von Segschneider

Über die Qualitäten einer 300B, ob nun klanglicher oder technischer Art, lässt sich trefflich streiten. Oder vielleicht doch nicht. Denn über welche Röhre reden wir da eigentlich? „Die“ 300B gibt es längst nicht mehr, das Produktionsende bei Western Electric war mit dem Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts erreicht. Die wenigen in jüngster Zeit gehandelten Exemplare stiegen preislich in intergalaktische Höhen. Und befinden sich mittlerweile in den Händen jener japanischen Herren aus den oberen Vorstandsetagen, die sich einen separaten Hifi-Tempel, genannt Musikzimmer, abgetrennt vom Wohnhaus errichtet haben. Wir reden von einem Statement der sozialen Art, das eben nicht jeder Audiophile kann.

Für manch einen der heilige Gral: die originale 300B von Western Electric (Quelle: 2A3-Maniac)
Für manch einen der heilige Gral: die originale 300B von Western Electric (Quelle: 2A3-Maniac)

Kommen wir zu den verbliebenen 300Bs. Ihnen konnte nichts Besseres passieren als das Ableben des Originals. Sie krochen in so unglaublicher Stückzahl aus allen Winkeln, dass bereits ein Jahrzehnt später Don Jenkins in „Glass Audio“ 1998 verzweifelt fragte: „Will the real 300B please stand up?“ Diese Aufforderung verhallte ungehört und unbeachtet. Wer etwas auf sich hält am HiFi-Himmel, der produziert flugs eine 300B. Ganz so pingelig braucht er dabei nicht zu sein, die eine oder andere kleine, ganz klitzekleine Abweichung darf es schon sein. Es genügt völlig – und fördert den guten Ruf -, wenn man im Kleingedruckten auf die Abweichung hinweist. Damit heftet man sich zugleich den Nimbus des fairen Aufklärers ans Revers. Aussehen darf diese Röhre ebenfalls ganz anders als die alte Originale, ein riesiges zylindrisches Glasgehäuse stört nicht. Man sollte aber keineswegs verabsäumen, die fabelhafte Produktionsqualität zu betonen, inclusive der tausend kleinen Verbesserungen.

Und, ganz wichtig, der Preis muss stimmen! Und wie! Denn wenn der Audiophile preislich nicht mal merkt, dass er etwas Besonderes ersteht, dann nützt die ganze Vermarktungsstrategie nix. Kenner haben es schon öfter publiziert, als ich es zählen kann: eine 300B lässt sich auf dem Küchentisch zusammenfritzeln. Von geschickten Frauenhänden selbstverständlich, das war schon immer so und sollte auch so bleiben – es ist ja schließlich ein Kostenfaktor. Und so ergibt sich die Firmenstruktur einer heutigen Röhrenfirma wie von selbst. Auf die produzierenden Damen kommt ein Mehrfaches an Herren, die die wirklich wichtigen Aufgaben – nein, das ist keine Ironie, das ist echt eine Beschreibung der Wirklichkeit – übernehmen. Und das sind viele. Entwurf einer tadellosen Verpackung, damit geht es los. Wenn ich mir die simplen Schachteln aus robuster Pappe einiger meiner Lieblingsröhren, fuffzig Jahre alt mittlerweile and still going strong, die Ausführung fürs Militär, so betrachte, dann begreife auch ich: so geht’s nun nimmer. Ein Verpackungskonzept muss her! Design! Der preisliche Anspruch solide untermauert! Direktvermarktung, ein lebendiger Kontakt zum Audiophilen, Liebe zur Musik, edelste und seltenste Schallplatten, immer eine Gitarre im Ausstellungsraum – wenigstens. Auf intimeren Veranstaltungen sollte ein Gläschen Rotwein und/oder Whiskey schon mal zur Hand sein. Und so weiter.

Der Firmenchef hat keineswegs das Brett vorm Kopf, das die Neider dort vermuten. Vielmehr wurde dieses und viele andere Bretter benötigt, um spezielle Transportkisten für das Versenden der Ausstellungsstücke – was heißt hier Stücke, es sind einfach wunderschöne Artefakte, die ausgestellt werden – in passender Grösse zu bauen. Firmennamen auf den Kisten nicht vergessen! Ist wichtig! Denn der Chef unserer imaginierten Firma düst um die Welt, dass die Hacken qualmen: Tokyo, Los Angeles, New York, und bitteschön rechtzeitig zur High End in München in Deutschland sein. Aber dafür hat er ja einen Mitarbeiter, der ihn daran erinnert. Auf jeder namhaften Audiomesse vertreten zu sein, das ist nun mal der Anspruch, wenn das Produkt 300B heißt. Von nix kommt nix, und der Audiophile ist ein scheues Wild, das will zur richtigen Zeit und am richtigen Ort gejagt sein! Noch wichtiger eigentlich sind die inoffiziellen Meetings, auf denen die tonangebenden Audiophilen aufkreuzen, denn da ist der zukünftige Käufer zuhause, zur Zeit noch harmloser Audiophiler. ETF zum Beispiel, da muss man sein, und Aufsehen erregen. Nur so gehts!

Legendärer Verstärker von Western Electric aus dem Jahr 1930: der WE91A mit der 300B als Endtriode
Legendärer Verstärker von Western Electric aus dem Jahr 1930: der WE91A mit der 300B als Endtriode

Im Grunde genommen ist es recht einfach, sofern man nicht die Tatsachen verwechselt. 300B, das ist keine Röhre, das ist ein Geschäftsmodell. Und ein Geschäftsmodell kann erst dann sterben, wenn überhaupt kein Geld mehr damit verdient wird. Das ist noch lange hin, denn darum kümmern sich ja die vielen Herren, die mit den wichtigen Aufgaben – siehe oben. Produktion, das läuft so am Rande mit. Und ist in der Auslieferung schon mal im Rückstand. Dann bitte nicht vergessen: „Der grosse Zuspruch, den die Audiophilen unseren Produkten zu Teil werden ließen, führte zu Rückständen, die wir nunmehr beschleunigt …“. Es kann ja nicht immer Messe sein.

PS.

Man kann immer noch Militärröhren aus alter Produktion kaufen, die in den schlichten, stabilen Pappschachteln. Oder hab‘ ich da was verwechselt und bin schon bei den Fakenews gelandet?

heavy rotation Vol. 21: Eberhard Schoener – Flashback (LP 1978)

Ich hab nachgesehen: der letzte Beitrag aus der Kategorie heavy rotation erschien vor über einem Jahr. Und es ist geschlagene sechs Monate her, dass ich hier in irgendeiner Weise Musik empfohlen habe. Das ist für ein Blog, das sich im Untertitel „ein Hör-Tagebuch“ nennt, doch einigermaßen wenig … Heute ist allerdings ein guter Tag, diesem Mangel ein wenig abzuhelfen. Die ganze Nacht hat es mehr oder weniger stark gestürmt und heftigst geregnet, draußen ist es immer noch sehr windig und nasskalt, so dass an die Dinge, die man sich sonst so für den 1. Mai vornimmt, überhaupt nicht zu denken ist. Das schafft zeitliche Freiräume … also dann:

Eberhard Schoener – Flashback (LP 1978)

Jahrelang zog’s mich nicht auf Plattenbörsen, aber neulich fuhren mein Zweitgeborener und ich gemeinsam los: erst zum Frühjahrsflohmarkt auf dem Gelände des Osnabrücker Moskaubads, danach dann tatsächlich noch in die OsnabrückHalle zur Plattenbörse. Dort fand ich die faszinierende Eberhard Schoener-LP Flashback.

Schoener ist mir ein Begriff seit Mitte der 70er Jahre. 1974 sah ich ihn erstmals im Fernsehen: die ARD übertrug im Rahmen der Eurovision live eine Aufführung des Jon Lord-Projekts Windows, das klassische Musik mit Hardrock-Elementen zu verbinden suchte. Eberhard Schoener leitete hier das Münchner Kammerorchester und bediente den Moog Synthesizer. Damals galten solche Kooperationen von klassisch ausgebildeten Musikern wie Schoener mit Rockbands als etwas sehr Besonderes. Schoener arbeitete nicht nur mit Deep Purple-Mitglied Jon Lord zusammen, sondern u.a. auch mit Procol Harum, Tangerine Dream oder dem Alan Parsons Project.

Seine eigenen Kompositionen sind von klassischer Musik, Welt- und Popmusik beeinflusst. Bei deren Einspielungen geben sich hochkarätige Mitwirkende die Klinke in die Hand. Und nun kommt’s und deshalb ist mir das Album Flashback so wichtig: bei dessen Aufnahme 1977 waren drei Musiker mit von der Partie, die wenig später Weltkarriere als The Police machen sollten: Steward Copeland (dr), Andy Summers (g) und Sting (b, voc).

Um einen Eindruck von diesem Album zu bekommen, lohnt es sich, das folgende Video anzuschauen, ein Medley der beiden Flashback-Titel Trans Am und Rhine-Bow (nicht etwa Rainbow). Der weißgekleidete Keyboarder ist Schoener, die Herren in der Mitte sind die drei Polizisten, den rechten Keyboarder kenne ich nicht:

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Wir sehen hier The Police, bevor sie The Police wurden. Mit dem Wissen von heute bildet man sich ein, in den Polizeianwärtern sei alles Spätere schon angelegt und spürbar gewesen. Das ist wohl Unsinn. Immerhin aber prägen die drei Musiker ihre Anteile an Schoeners Album-Projekt hörbar. Stings Falsettgesang wurde bald zum Markenzeichen der zukünftigen Mega-Band, ebenso Copelands superpräzises Schlagzeugspiel und Summers Klangteppiche, die er mit der Gitarre ausrollt.

Die 10€ für eine near mint-Scheibe waren wahrlich gut angelegtes Geld!

Wer jetzt noch nicht genug hat, mag sich vielleicht das Projekt Windows von Jon Lord ansehen, wie es damals über den Äther ging. Viel Spaß dabei!

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P.S. … und ich geh jetzt löten!

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