Ins Zeitfenster geregnet

Heute gibt’s überhaupt nur ein einziges mögliches Zeitfenster, um mit dem Hund rauszugehen. Die Liebste hat den ganzen Tag Verpflichtungen und nur ich habe die Möglichkeit, die Bestie zu lüften. Zwischen halb eins und halb zwei, was anderes ist nicht drin. Und raus muss das Tier, sonst kratzt es uns vor Langeweile die Tapeten von den Wänden.

Es ist 12:30 Uhr. Ich trage kurze Hosen und eine wetterfeste Jacke. Der Hund ahnt schon was und ist begeistert. Ich wehre mich verzweifelt gegen die Schmuseattacken unseres vor Freude nun völlig durchgeknallten Monsters und versuche in die Treckingschuhe zu kommen, was mir schließlich mit einigem Aufwand gelingt. Wir verlassen das Haus um 12:33 Uhr.

Um 12:34 Uhr, wir sind gerade 50 m von zuhause fort, fängt es an zu regnen. Dacht’ ich’s mir doch! Der Regen wird schnell stärker. Meine Kehrtwende Richtung Ausgangspunkt trägt mir ungläubige Blicke des Hundes a la “…hast Du sie noch alle?” ein. Tatsächlich will ich aber nur zusätzlich noch eine Regenhose überziehen. Als wir erneut starten (die Begeisterung des Hundes kehrt zurück), hat sich ein ernst zu nehmender Landregen entwickelt. Noch fällt der Regen also ziemlich senkrecht, was sich aber mit aufkommendem Wind bald ändert. Eine Weile geht alles gut, zumindest solange wir uns Richtung Norden bewegen. Der Wind kommt von hinten links, also aus Südwesten. Nach einigen hundert Metern ändern wir die Richtung. Jetzt kommt der Wind von schräg links vorn, gelegentlich muss ich meine Kapuze festhalten, damit sie mir nicht dauernd vom Kopf fliegt. Dem Hund sind meine Probleme egal.

Erneuter Richtungswechsel. Der stärker gewordene Wind trifft uns nun von vorn rechts. Hagelkörner fliegen beinah waagrecht durch die Luft. Ich wende mein Gesicht ab, der klatschnasse Hund schüttelt sich begeistert. Seine Begeisterung teile ich nicht, denn wenn ich bis jetzt noch ein trockenes Gesicht und eine unvertropfte Brille hatte, ist es damit nun auch vorbei.

Inzwischen regnet es wolkenbruchartig. Als wir uns abermals nach links wenden, treibt der von hinten kommende Wind das Wasser in die beinlangen Reißverschlüsse meiner Regenhose. Mist, Schwachstelle! Das Wasser läuft innen an den Hosenbeinen runter bis in die sonst wasserdichten Schuhe. Der Hund aber ist völlig überdreht, freut sich, ist begeistert…

Noch ein paar hundert Meter. Die Regentropfen sind inzwischen so schwer, dass sich auf dem geschlossenen Wasserfilm auf den Straßen große Blasen bilden. 13:20 Uhr – endlich zuhause! Unter dem Vordach vor der Küchentür rubbele ich den Hund trocken, so gut es eben geht. Währenddessen hört der Regen auf. Kurze Zeit später sitze ich wieder am Schreibtisch, draußen scheint nun die Sonne.

Es sieht ganz so aus, als wolle das so bleiben.

Hannes Wader zum Siebzigsten

Es war im Jahr 1977, ich wohnte zu der Zeit notgedrungen in Göttingen. Adresse: Zieten-Kaserne, ich gammelte dort meinen Wehrdienst ab. In die Göttinger Studentenkneipen traute ich mich nur selten – allzu sehr fiel man auf in der Szene, wenn man rappelkurze Haare hatte. Es war einfach zu blöd, sich dauernd für etwas rechtfertigen zu sollen, in das man einfach nur so reingerutscht war. Ich wäre weiß Gott lieber Student als „W15er“ gewesen… Dennoch zog mich eine Kneipe sehr an, das war der Nörgelbuff, damals die Folkkneipe in Göttingen.

Eines Tages stand ich schon recht früh im Nörgelbuff. Es war nicht viel los dort, es war wohl ein Abend ohne Live-Musik. Ich lehnte am Tresen und orderte ein Bier. Jemand stellte sich neben mich, um auch irgendwas zu bestellen. Die Stimme kam mir bekannt vor, deshalb sah ich mir den anderen an: es war Hannes Wader. Den hatte ich bisher nur im Fernsehen gesehen! Aber ich konnte fast alle seine Texte mitsingen, kannte alle seine Platten – er war ein Idol für mich! Jetzt wäre Gelegenheit gewesen, 1000 Fragen zu stellen, seine Texte zu loben, ihn um ein Autogramm zu bitten – was weiß ich noch… Aber ich hab’s nicht getan, habe mich nicht getraut. Dachte, das sei dem als schweigsam bekannten Wader sicher zu blöd, außerdem war ich erst 20 Jahre alt und noch ziemlich unfertig. Was, wenn er – der Friedensbewegte – in mir nur den jungen Soldaten gesehen hätte, der nicht den Mumm hatte, sich der Bundeswehr zu verweigern? Ich hatte einfach nicht den Mut, diesen Mann anzusprechen…

In der Folgezeit sah ich Hannes Wader recht häufig. Zur Zeit meines Studiums in den späten 70er und frühen 80er Jahren in Dortmund trat er oft ganz in der Nähe auf Jugendfestivals, Ostermärschen und Friedensdemos auf. Ich sah ihn über die Jahre mehrmals bei Auftritten in Osnabrück und Georgsmarienhütte, in den Jahren 2001 und 2010 erlebte ich ihn zusammen mit Konstantin Wecker auf der Waldbühne in Kloster Oesede, keine zwei Kilometer von hier.

Noch immer kann ich Wader-Texte mitsingen – besonders die der frühen, bissigen Lieder. Vor 27 Jahren schaukelte ich eine Weile lang jeden Abend zu „Steh´ doch auf, du armer Hund“ meinen Erstgeborenen in den Schlaf. Manche Liedzitate sind bei uns in den familieninternen Sprachgebrauch übergegangen. Fragt uns eine/r, ob bei uns alles ok ist, antworten wir zuweilen mit einer Zeile aus dem Lied „Charley“: „…alles wie es sein sollte, ruhig und normal!“ Und sehe ich ein weibliches Wesen, das – obwohl es könnte – so gar nichts aus sich macht und überhaupt keine Ausstrahlung hat, liegt mir gleich „…eine Frau, die so aussieht wie ein Mann sie erwählt, dem jeglicher Sinn für schöne Dinge fehlt…“ auf der Zunge, ein Textausschnit aus „Aufgewachsen auf dem Lande“.

Hannes Wader war in all den Jahren ein „gefühlter“ Freund, obwohl wir nie ein Wort miteinander gewechselt haben. Vielleicht war es ganz gut, dass ich damals im Nörgelbuff die Klappe gehalten habe. Wäre das Gespräch irgendwie gescheitert, hätte ich im Leben einen Freund weniger gehabt…

Es gibt ein Lied von Hannes Wader, das ich besonders liebe, es heißt „Unterwegs nach Süden“. Ein Textzitat daraus hat mich gelegentlich wieder aufgebaut und ist mir deshalb sehr teuer: „…und wenn ich erst den Namen kenne, bringt dies Gift mich nicht mehr um!“

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