Vor ein paar Tagen – am 22. Januar – jährte sich zum 50. Mal die Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages durch den deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer und den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle im Élysée-Palast in Paris. Das Medienecho zum Jahrestag war recht groß – der Radiosender WDR5 etwa widmete dem Jubiläum einen Themenschwerpunkt und es gab natürlich eine Zeitzeichensendung.
Daran dachte ich aber gar nicht, als ich gestern ein kleines Antiquariat in der Osnabrücker Altstadt betrat und dort etwa folgendes Sprüchlein aufsagte: „Nicht, dass ich nicht gern Bücher lese! Aber: haben Sie auch gebrauchte Schallplatten?“ Und ich hatte Glück, der freundliche Antiquar baute zwei Handvoll LPs vor mir auf, mehr habe er leider nicht mehr, aber ich könne ja mal schauen.
Ein Album ragte aus der Auswahl heraus, eine 3LP-Box der französischen Chanson-Sängerin Barbara. Barbara, hm – da war doch was … – ja klar, da fand ich’s auch auf der Titelliste: „Göttingen“, das Chanson über die Stadt, in der die in ihrer Kindheit und Jugend als Jüdin von den Nationalsozialisten verfolgte Sängerin im Juli 1964 zunächst nur widerwillig auftrat. Angesichts der Herzlichkleit und Begeisterung, mit der sie dort aufgenommen wurde, blieb sie dann aber eine Woche. In dieser Zeit entstand das Chanson Göttingen:
Gewiß, dort gibt es keine Seine
und auch den Wald nicht von Vincennes,
doch gäb’s viel, was zu sagen bliebe
von Göttingen, von Göttingen!Paris besingt man immer wieder,
von Göttingen gibt’s keine Lieder,
und dabei blüht auch dort die Liebe
in Göttingen, in Göttingen.Mir scheint, wir sind weit schlecht’re Kenner
in punkto „Frankreichs große Männer“
als Hermann, Peter, Helga, und Hans
in Göttingen.Hier spielte auch, ganz ohne Frage,
das Märchen uns’rer Kindertage:
„Es war einmal . . .“, ja wo begann’s?
in Göttingen.Gewiß, dort gibt es keine Seine
und auch den Wald nicht von Vincennes,
doch sah ich nur so schöne Rosen
in Göttingen, in Göttingen.Das Morgengrau ist nicht das gleiche
wie bei Verlaine, das silbern-bleiche,
doch traurig stimmt es auch Franzosen
in Göttingen, in Göttingen.Kommt es mit Worten nicht mehr weiter,
dann weiß es, Lächeln ist gescheiter:
Es kann bei uns noch mehr erreichen,
das blonde Kind in Göttingen …Was ich nun sage, das klingt freilich
für manche Leute unverzeihlich:
Die Kinder sind genau die gleichen
in Paris, wie in Göttingen.Laßt diese Zeit nie wiederkehren
und nie mehr Haß die Weit zerstören:
Es wohnen Menschen, die ich liebe,
in Göttingen, in Göttingen.Doch sollten wieder Waffen sprechen,
es würde mir das Herz zerbrechen!
Wer weiß, was dann noch übrig bliebe
von Göttingen, von Göttingen …deutsche Übersetzung des Chansons „Göttingen“,
gefunden auf der Website des Stadtarchivs Göttingen
Das in Frankreich sehr bekannte Chanson – dort gehört es zum Schulstoff – gilt als bedeutender Beitrag für die Völkerverständigung und die Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland.