heavy rotation Vol. 18: Willy DeVille – Unplugged in Berlin (CD 2011)

Willy DeVille - Unplugged in Berlin (CD 2011)In meiner Sammlung gibt es eine ganze Reihe von Platten Willy DeVilles – sowohl Solo-Alben als auch Aufnahmen mit seiner Band Mink DeVille. Ich mag diesen Mann und seine Musik schon lange. Er sah mit seiner hageren Gestalt, dem Gehrock, den Pluderärmel-Hemden, den langen Haaren und dem Schmuckgeklimper immer aus wie eine Mischung aus hohlgesichtigem Voodoo-Meister und lackaffigem Dandy – eine irgendwie aus der Zeit gefallene, aber absolut faszinierende Erscheinung.

Sein Gesang war der des begnadeten Nichtsängers. Er nuschelte, lag so manches Mal eine Wenigkeit neben dem „richtigen“ Ton und gerade deshalb immer „richtig“. Er hatte den Blues, war Southern Rocker, verstand sich auf Tex-Mex, baute Cajun-Elemente in seine Musik ein. Meiner Meinung nach kein Spitzen-Instrumentalist, aber durch und durch ein Musiker, vielleicht sogar ein Musikant im besten Sinne. Bezeichnend eine Äußerung meiner Liebsten, als ich mich vor Jahren mit DeVille zu beschäftigen begann: „… früher hättest Du das als Tanzschulmusik abgetan!“

DeVille konnte im Musik-Business nie richtig Fuß fassen. Mal hatte er einen Plattenvertrag, dann mal wieder nicht – ein ewiges Auf und Ab. Unser Held starb 2009 an Bauchspeicheldrüsenkrebs – mit nur 58 Jahren …

In die aktuelle DeVille-Phase geriet ich durch Zufall: ich stöberte online im Katalog von MEYER RECORDS, einer deutschen Plattenfirma, die sich auf akustische Musik spezialisiert hat. Einer meiner Audio-Freunde riet mir, man könne jede Veröffentlichung dieses Labels unbesorgt kaufen, also war ich offen für Entdeckungen.

Und dann fand ich diese Platte. Willy DeVille unplugged? – Da erteilte ich mir den sofortigen Kaufbefehl! Und seit dieser Silberling im Haus ist, liegt er im oder zumindest neben dem CD-Player. Darauf ein grandioses Konzert, das DeVille im März 2002 in der Berliner Columbiahalle gab – nur begleitet von Piano und Akustikbass, gelegentlich spielt er selbst Gitarre oder Harmonika. Da ist nichts geschnitten – dankenswerter Weise bekommt man seine schnodderig-launig-lakonischen Zwischenansagen und die flapsige Kommunikation mit dem Berliner Publikum mitgeliefert.

Der Gesang! Brüchig, rauchig, kehlig, manchmal leicht nölend, gepresst und jegliche Art von Gefühl zulassend, aber niemals übertrieben kitschig-triefend singt sich DeVille durch ein Repertoire, das ihm wie auf den Leib geschrieben scheint. 16 der 18 Titel stammen nicht von ihm selbst, aber er macht sie sich auf unnachahmliche Art zu Eigen. Einer der Höhepunkte für mich: „Let It Be Me“, 1960 ein Hit der Everly Brothers, 1955 veröffentlicht von Gilbert Becaud unter dem Titel „Je t’appartiens“. Unter DeVilles Gesang verwandelt sich die Beinah-Schnulze in eine ergreifende Liebesballade. Das von Elvis Presley bekannt gemachte „Hound Dog“ hingegen wird trotz der vermeintlich spärlichen Instrumentierung mit Piano und Bass zum Kracher – grandios DeVilles Hundegejaule! Spätestens dieser Titel weist den Sänger und seine kongenialen Mitmusiker als in der Wolle gefärbte Rock’n’Roller aus.

DeVilles Interpretationen von „Spanish Harlem“, „The Way We Make A Broken Heart“, „You Better Move On“ oder „Shake Rattle And Roll“ begeistern – man denkt „… so hätte das immer schon klingen sollen!“ – spätestens an dem Punkt hat er einen endgültig am Schlafittchen, der gute Willy – und der Himmel steht still …

„Heaven Stood Still“ – damit endet ein wunderschöner Abend, bei dem man gern dabei gewesen wäre!

ABBA – Dancing Queen (August 1976)

ABBA - Dancing QueenIm Sommer des Jahres 1976 war der Dancing Queen einfach nirgends zu entkommen. Abend für Abend saß ich frustriert – weil nach zwei Jahren frisch verlassen, ohne aus der Ferne etwas dagegen unternehmen zu können – unter lauter anderen W15ern* in der Kasernenkneipe beim stark verbilligten Bier in der Nähe der Musikbox. Und alle wollten immer nur Dancing Queen hören. Man wusste nach einer Weile nicht mehr, wovon man besoffen wurde – vom Bier oder von diesem verdammten Ohrwurm. Meine Dancing Queen tanzte jetzt wohl mit einem Anderen … wozu also am Wochenende nach Hause fahren …?

Wenn ich – so wie zufällig gestern am Autoradio – diesen Abba-Titel höre, beschwört das augenblicklich die Erinnerungen an die ungeliebte Bundeswehrzeit wieder herauf. Zum Abba-Fan wäre ich auch ohne diese Erfahrung nie geworden, aber gerade Dancing Queen ist ein gutes Beispiel für perfekt produzierte Pop-Musik, das muss ich zugeben.


* W15er = Wehrpflichtiger für 15 Monate

heavy rotation Vol. 17: Charlie Haden Family & Friends – Rambling Boy

Ein Freund versorgte mich netterweise mit einem Stapel von CDs des im Juli verstorbenen Jazz-Kontrabassisten Charlie Haden. Da ich zwar wusste, wer Haden war und was er darstellte, aber keine großen Repertoirekenntnisse seines Werkes hatte, kam mir das sehr recht. Unter diesen Alben fand ich eines, das mir derzeit das liebste ist:

Charlie Haden Family & Friends - Rambling BoyCharlie Haden Family & Friends – Rambling Boy (CD 2008)
Charlie Haden trat schon als knapp Zweijähriger zusammen mit seiner Familie als Haden Family Radio Show auf. Das Repertoire bestand zu großen Teilen aus Country- und Westernmusik, was Haden als Musiker nachhaltig beeinflusste. In seinen frühen Zwanzigern spielte Haden, der sich mittlerweile für den Kontrabass als sein Instrument entschieden hatte, mit führenden Jazzmusikern zusammen. Er gehörte zum Doppelquartett Ornette Colemans, das 1960 das wegweisende Album „Free Jazz – A Collective Improvisation“ aufnahm. Dies am Beginn einer langen Karriere, die ihn immer wieder mit bekanntesten Jazzgrößen wie Pat Metheny, Keith Jarrett, Jan Garbarek, Chet Baker, John Scofield und vielen anderen zusammenbrachte. Für Plattenliebhaber nicht unwichtig: Haden spielte etliche Alben für Manfred Eichers Label ECM ein.

Haden war ein politisch denkender Mensch, so engagierte er sich gemeinsam mit anderen Künstlern in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und gegen den Vietnam-Krieg.

Als habe er im Alter in Erinnerung an seine Anfänge in der Familienband einen Kreis schließen wollen, nahm Haden anlässlich seines 70sten Geburtstages zusammen mit seiner Frau Ruth Cameron, seinen Drillingstöchtern Petra, Rachel und Tanya und seinem Sohn Josh die hier zu besprechende Platte „Rambling Boy“ auf. Dazu lud er (musikalische) Freunde ein: Elvis Costello, Pat Metheny, Bruce Hornsby, Rosanne Cash und noch einige andere, die mir weniger bekannt sind.

Was diese muntere, vor Musikalität sprühende Truppe da eingespielt hat, zeugt von herrlich unbefangenem, frischem Umgang mit der amerikanischen Musiktradition. Traumhaft schön, wie hier traditionelle Countrymusic-Spielweisen und der von den Haden-Schwestern meisterlich beherrschte Americana-Harmoniegesang mit aus dem Jazz bekannten Harmonien zusammenkommen.

Dieses Album hat viele schöne Momente. Eins meiner Lieblingsstücke ist die von Ruth Cameron vorgetragene Ballade „Down By The Sally Gardens“, aus der sich im Mittelteil ein typischer Metheny-Lauf herausschält. Der Gesang ist hier einfach phantastisch, völlig entkernt und ohne Manierismen. Ich stelle mir dabei eine schöne, ungeschminkte Frau vor …

Wunderbar auch „You Win Again“ mit Elvis Costello. Den verbuche ich eigentlich immer schon in die Kategorie „begnadeter Nichtsänger“. Auch hier wird er mit seinem suchenden, leicht nölenden Gesang meiner Schubladisierung gerecht.

Das von Petra Haden mit klarer Stimme gesungene „The Fields Of Athenry“ beginnt als sparsam mit Akustikgitarre und Fiddle begleiteter Country-Song, um dann wie von ungefähr eine harmonische Brechung Richtung Jazz zu erfahren. Schon jetzt schimmert ein bisschen Metheny durch – auch in den Gesang mischen sich Jazz-Phrasierungen. Bass, später Schlagzeug und Klavier setzen ein, dann ein Banjo-Solo – jetzt hat die Musik aber endgültig die Grenze zum Jazz überschritten. Stimme und Instrumente werden lauter, der gesamte Sound verdichtet sich, jetzt noch ein eindeutig Pat Metheny zuzuordnendes Gitarrensolo und der Song mausert sich zur Hymne. Phantastisch!

Schlau: gleich im Anschluss wieder ein „typischer“ Countrysong mit Bass, Gitarre, Fiddle und knarzigem Gesang, diesmal eingesungen von Dan Tyminski, einem Bluegrass-Musiker aus dem Umfeld von Alison Krauss.

Die letzten beiden Tracks stellen dann den eigentlichen Höhepunkt des Albums dar. Zuerst hören wir den kleinen Charlie Haden in einer Originalaufnahme der Haden Family Radio Show, und in der letzten Aufnahme den 70jährigen Haden mit seinem einzigen Gesangspart „Oh Shenandoah“. Seine Stimme klingt dünn und zerbrechlich. In seiner Jugend erkrankte Haden an einer leichteren Form von Kinderlähmung, was zu lebenslangen Schäden an den Stimmbändern führte. Als letzten diesen Song zu hören, erzeugt in mir als Zuhörer dann doch sentimentale Gefühle. Für den in Shenandoah, Iowa geborenen Haden schließt sich hier ein (Lebens-)Kreis.

Dieses im Kreise von Familie und Freunden eingespielte Album darf nun, fast zwei Monate, nachdem Charlie Haden an den Spätfolgen seiner Polio-Erkrankung starb, als eine Art Vermächtnis angesehen werden.

Bernis Blues-Geschichte

Paul Jones - The Blues Band © 2014 by Thomas Osterfeld, Neue Osnabrückwer ZeitungDieses Foto zeigt den Bluessänger und Bluesharmonika-Spieler Paul Jones, Frontmann von The Blues Band. Aufgenommen wurde es von Thomas Osterfeld für die Neue Osnabrücker Zeitung (danke, dass ich es verwenden darf, Thomas!), genau an dem Abend, an dem sich die folgende Geschichte meines Musikfreundes Berni ereignet hat:

Ich heiße Bernd Sundag. Alle Welt nennt mich allerdings Berni. Mein Nachname ist die plattdeutsche Version von Sonntag. Die Wurzeln des Namens Sundag sind in Schüttorf zu suchen. Warum erzähle ich das? Nun, es gibt im Zusammenhang mit meiner musikalischen Vorliebe, dem Blues und den Besuchen von Blueskonzerten eine charmante Anekdote, die ich ganz einfach nicht nur für mich behalten möchte und sie hat direkt etwas mit meinem Namen zu tun.

Die Bluesliebhaber, aber sicher auch vielen andere, die mit der Blues-, Rock- und Popmusik gut zu Fuß sind, werden mit The Blues Band etwas anfangen können. Am 19. April 1980 schuf sich die englische Band in Europa, vor allem in Deutschland, eine feste Fangemeinde mit ihrem Auftritt als erster Act der 6.-Rockpalast-Nacht in der Essener Grugahalle. Sänger und Mundharmonikaspieler Paul Jones, Jahrgang 1942, wird vielen noch aus den 1960er Jahren bekannt sein als Leadsänger der Gruppe Manfred Mann. Mehr als 30 Jahre sind die Jungs der Blues Band nun schon musikalisch unterwegs. Anfang 2014 gab es zwei Konzerte, die von meiner Heimatstadt Schüttorf gut und schnell zu erreichen waren. Am 5. Februar im südemsländischen Heimathaus in Twist, dem heimlichen Bluesmekka Europas, wie wir gerne anmerken und wo ich mit einer Schüttorfer Gruppe zu den regelmäßigen Besuchern zähle, und am 11. Februar im Rosenhof in Osnabrück. In irgendeiner Pressemitteilung war zu lesen, dass die Gruppe möglicherweise auf Abschiedstournee sei, also hatten Ralf, Hille und ich Grund genug, beide Konzerte zu besuchen.

Zu meinen Lieblingsstücken der Blues Band gehören unter anderem „Boom, Boom, Out Go The Lights“ und „Flatfoot Sam“. Kurze Kontaktaufnahmen mit den Künstlern sind in der Kleinläufigkeit des Heimathauses in Twist und im Osnabrücker Rosenhof ganz gut zu bewerkstelligen. In Twist auf die Stücke angesprochen, verwies Paul Jones noch auf die festgelegte Setlist. Im Rosenhof wiederholte ich in der Pause meine Frage an ihn während er CDs verkaufte und signierte. Er schaute kurz von seiner Tätigkeit hoch und fragte mich mit einem freundlichen Blick: „What’s your name?“ Ich war zuerst geneigt, korrekt meinen mir angestammten Namen zu nennen, nicht wissend, warum er das wohl wissen wollte, habe dann aber noch einmal kurz innegehalten und einer Eingebung folgend BERNIE SUNDAY gesagt. Es stellte sich später heraus, dass das eine nette Konsequenz hatte. Das Konzert war beendet und die Band verschwand hinter der Bühne. Einige Minuten später nach stabilen Zugabeforderungen des Publikums kam Paul Jones behände zurück, eilte ans Mikrofon und verkündete laut und vernehmlich:

„Our Last Song Is Dedicated To The Gentleman BERNIE SUNDAY! – Flatfoot Sam!“

Was soll ich sagen, dieses Stück war der wahre Kracher des Abends, wie die Reaktionen des Publikums zeigten. Ralf und Hille sahen mich staunend an. In ihren Gesichtern stand deutlich die Frage: Wie hat er das denn bloß gedeichselt?

Mich amüsiert natürlich der Gedanke, ob es zu dieser überraschenden Ankündigung auch gekommen wäre und damit ein so apartes Konzertende für mich gegeben hätte, wenn ich vielleicht Heinz-Helmut Große Stoppelkötter (fiktiver Name!) geheißen hätte??? Ich weiß es nicht und es ist ja auch nicht wirklich wichtig, oder?

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