Er verlor seine Stelle, als ein Osnabrücker Autohersteller für immer die Tore schloss.
Norbert B. wurde daraufhin Mitarbeiter in einem sozialen Kaufhaus – ich glaube, auf 400€-Basis. Körperlich war er nicht sehr belastbar, deshalb steckte man ihn schließlich in die bis dahin vernachlässigte Ecke mit den gebrauchten Schallplatten.
Fortan blühte B. geradezu auf. Innerhalb kurzer Zeit brachte er Ordnung ins Sortiment. Er besorgte Regale, sortierte die Alben nach Musikrichtungen, ersetzte verschlissene Innenhüllen und bearbeitete die Platten sorgfältig mit Mikrofasertüchern. Kurzum – aus der Schmuddelecke mit den schwarzen Scheiben wurde so etwas wie ein kleiner Plattenladen. Und einige Ahnung von Musik hatte B. offenbar auch, wie sich im Laufe der Zeit herausstellte.
Eines Tages nahm er mich beiseite: „… ich muss Ihnen was sagen – Sie sind mein Lieblingskunde!“ Zunächst war ich sehr überrascht. Dann erklärte er mir, ich sei der einzige von den Plattenfans, der ihn begrüßte, mit Namen ansprach und mal mit ihm redete. Nach meinem Empfinden Selbstverständlichkeiten, aber wohl längst nicht für alle, wie er mir versicherte. Es gäbe Leute, die sähen glatt durch ihn durch, wenn sie in den Regalen stöberten. „Kann ich Ihre Handynummer haben, dann rufe ich Sie an, wenn was interessantes Neues reinkommt! Sie sind dann der erste, der in die Kiste gucken darf!“
Damit brachen goldene Zeiten an für meine Plattensammlung! So manches Mal konnte ich wunderbare Schnäppchen machen, gerade auch auf den Gebieten des Jazz und der progressiven Rockmusik. Solche Platten sind bei Haushaltsentrümplern absolute Ringeltauben, denn meist werden ja die Nachlässe älterer Menschen aufgelöst, was Unmengen von James-Last-Alben in die Grabbelkisten schwemmt.
Es war nicht so einfach, mich in irgendeiner Form zu revanchieren. Tabakwaren und Alkoholika kamen für mich nicht infrage. Auch noch so kleine Geldzuwendungen verboten sich – B. wäre in Teufels Küche gekommen, wenn das aufgeflogen wäre. Als ich ihm mal einen großen Schokoladen-Nikolaus mitbrachte, hatte ich die Lösung gefunden 🙂 … Ab und zu eine Tafel Schokolade – das war unverfänglich.
Ich weiß gar nicht zu sagen, wann er so krank wurde, dass er nicht mehr arbeiten konnte – das mag vor zwei Jahren gewesen sein. Ein paarmal haben wir noch telefoniert. So erfuhr ich, wie es um ihn stand. Wie’s aber so ist, verblieben auch diese Anrufe nach einiger Zeit.
Gestern fand ich in der Zeitung seine Todesanzeige.