Darf man so was einfach so hinschreiben? Ach sicher, wenn es Donald Fagen betrifft und überdies bewundernd gemeint ist, muss man das sogar tun.
Der gute Fagen, mittlerweile 64 Jahre jung, legt mit Sunken Condos sein viertes Soloalbum vor. Dabei bleibt er dem wunderbar eigenen Stilmix aus Rock, Jazz, Funk und Blues treu, den er und sein musikalischer Partner Walter Becker schon vor 40 Jahren für ihr Duo-Projekt Steely Dan fanden.
Man nimmt es Fagen nicht übel, dass er gar nicht erst versucht, sich musikalisch „neu zu erfinden“, wie es gern mal so heißt. Nein, diese Musik kommt gerade so daher, wie ich das von einem Fagen-Album auch erwarte. Irgendein schlauer Rezensent schrieb sinngemäß, das sei auch in Ordnung, solange Fagen immer wieder neue Geschichten erzähle. Genau das tut er. Er singt vom Altern, von problematischen Liebesbeziehungen und verpatzten Lebensentwürfen. Und er macht das mit ungeheurer Lakonie.
Was mich so fasziniert an Fagens Musikantentum, ist diese auf die Spitze getriebene Beiläufigkeit. Man verstehe das nicht falsch: Beiläufigkeit hat in diesem Fall überhaupt nichts mit Nachlässigkeit oder Langeweile zu tun. Nein, gemeint ist die Selbstverständlichkeit, Unaufgeregtheit, Lockerheit – die Franzosen nennen es Nonchalance -, mit der hier perfekte Popmusik gemacht wird. Toll, diese mal treibenden, mal verschleppten Rhythmen, die da aus dem Lautsprecher perlen, pluckern, slappen, grooven als wär’s nichts. „Wenn ich schon mal hier bin, kann ich ja auch ein bisschen rumklimpern …“ könnte Fagen selbst das kommentieren – so kommt es mir manchmal vor und ich bin begeistert.
Noch ein Wort zum Albumtitel: der Begriff condos ist abgeleitet vom lateinischen con-dominium und meint in diesem Fall schlicht Eigentumswohnung. „Versunkene Eigentumswohnungen“ also heißt dieses Album. Das steht wohl mehr als deutlich für all die unerfüllten Träume.
Gestern Abend hatte ich ein längeres interessantes Telefongespräch mit einem Leser des Radionisten. Da ging es um sehr viele Themen, die hier gelegentlich im Blog behandelt werden, besonders aber ums Musikhören und natürlich sprachen wir auch über Röhrenverstärker, über die mein Gesprächpartner vermutlich schon mehr vergessen hat, als ich jemals gewusst habe. Während des Gesprächs erinnerte ich mich an etwas, was für lange Zeit in Vergessenheit geraten war und ich erzählte meinem Gegenüber davon. Den wunderte diese Geschichte allerdings gar nicht:
Als in unserem Wohnzimmer noch eine gekaufte transistorisierte „HiFi“-Anlage stand – die Marke will ich verschweigen, sie tut auch nichts zur Sache -, suchte Monroe, die Vorgängerin unserer Hündin Smilla, jedesmal nach den ersten Takten aufgelegter Musik das Weite. Sie stand einfach auf und verzog sich auf ihre Decke in der Küche. Mit der Inbetriebnahme des ersten Eigenbau-Röhrenverstärkers hörte das schlagartig auf. Seitdem blieb sie bei uns im Wohnzimmer, wenn wir Musik hörten. Den Transistorverstärker baute ich endgültig ab. Er ist mittlerweile verschenkt.
Wir haben überhaupt die Erfahrung machen dürfen, daß Hunde sehr intelligente Tiere sind.
„Er nahm fünf …“ so begann Ralf Döring, von mir gern gelesener Feuilletonredakteur der Neuen OZ, seinen Nachruf auf den großen Dave Brubeck. Der begründete seinen Ruhm mit einem bahnbrechenden Album: Time Out. Der Name war Programm: „aus der Zeit gefallen“ – was die bis dahin gängigen Taktmaße im Jazz anging – waren bis auf eins alle Stücke dieser Platte. Das bekannteste sicher Take Five, eine in ihrer Geschmeidigkeit noch immer begeisternde Komposition von Brubecks Altsaxofonisten Paul Desmond, geschrieben im 5/4-Takt. Der als feinsinnig geltende Brubeck erschloss aber nicht nur dem Jazz neue Taktmaße, sondern sorgte auch für Akzeptanz des Jazz bei einem bürgerlichen Publikum.
In der letzten Woche verstarb Brubeck einen Tag vor seinem 92. Geburtstag an Herzversagen.
Mit Ravi Shankar starb 92jährig ein weiterer „großer Alter“ der Musik. Der indische Komponist und Sitarspieler wurde einem größeren westlichen Publikum bekannt durch seine Zusammenarbeit mit Musikern wie George Harrison oder Yehudi Menuhin. Zeitweise von der Hippiebewegung vereinnahmt, von der er sich aber distanzierte, wurde er zu einem frühen Wegbereiter einer Weltmusik.
Gestern abend klingelt es an der Tür. Ich öffne und übersehe beinahe das kleine dreijährige Nachbarsmädchen, das mir stolz ein langspielplattenför- miges Paket entgegenstreckt, das die Post bei ihrer Mutter abgegeben hat. Da ich nirgends etwas bestellt habe, wundere ich mich ein wenig. Ich öffne das gut gepackte Gebinde und finde tatsächlich drei Langspielplatten sowie ein Begleitschreiben:
Lieber Herr Münch,
per Zufall bin ich auf Ihre Internet-Seite gestoßen und vor Begeisterung fast in die Luft gesprungen. Da bauen Menschen nicht nur Röhrenverstärker, sondern sie beschäftigen sich sogar noch mit Musik (…). Und treffen sich, um den Abend nicht mit der Bewunderung ihrer Selbstbauaktivitäten zu verbringen, sondern um sich wechselseitig Musik vorzustellen. Toll! Wäre ich jünger und fahrfreudiger, wäre ich stark versucht gewesen, mich zu Ihrer nächsten Hörsession selbst einzuladen!
Aber vielleicht kann ich ja im ideellen Sinne teilnehmen, wenn eine dieser Schallplatten Ihren Hörgeschmack trifft. Jedenfalls freue ich mich, wenn Sie eine davon vorstellen könnten.
(…)
Vielleicht macht irgendwas davon Ihnen soviel Freude, wie ich sie beim Lesen des Radionisten hatte!
Mit freundlichen Grüßen für einen musikalischen Advent
…
Soviel Lob freut mich natürlich, außerdem bedanke ich mich sehr herzlich für die folgenden drei LPs:
Miles Davis – Sketches Of Spain (LP 1960)
Auf Miles Davis´ Vorgängeralbum von 1959 Kind of Blue gab es mit Flamenco Sketches – den „Flamenco-Skizzen“ – schon ein „spanisches“ Stück. 1960 folgte dann ein ganzes Album mit „Spanischen Skizzen“: Sketches Of Spain. Das für mich zentrale Stück ist Davis´ mehr als 16-minütige Interpretation des 2. Satzes (Adagio) des Concierto de Aranjuez von Joaquin Rodrigo. Zur Zeit des Erscheinens nicht von allen Kritikern für Jazz gehalten, bekam das Album dennoch 1961 einen Jazz-Grammy.Der zweite Satz des Konzerts war in seiner Urfassung für Gitarre und Orchester auch schon Teil des 9. Hörabends am 16. November. Ich mag das Konzert sehr, auch die Interpretation von Miles Davis. Es sei mir erlaubt, auf eine weitere Fassung dieses berühmten zweiten Satzes hinzuweisen: in der britischen Sozial-Tragikomödie Brassed Off geht es um ein britisches Bergarbeiter-Blasorchester in der Ära Thatcher, das an nationalen Wettbewerben teilnimmt, während gleichzeitig die Schließung ihrer Zeche beschlossen und auch in die Tat umgesetzt wird. In einer Szene des Films probt die Band den zweiten Satz des Aranjuez-Konzerts. Sehr eindrucksvoll als charismatischer, despotischer Orchesterleiter der mittlerweile – wie es der Kabarettist Jochen Malmsheimer ausdrücken würde – völlig zu Unrecht verstorbene Pete Postlethwaite, der das Stück so ankündigt: “ … allright lads – Rodrigo, Concerto De Orange Juice!“
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The Honeydrippers – Volume One (EP 1984)
1981 gründete Robert Plant, der Sänger der 1980 wegen des Todes des Schlagzeugers John Bonham aufgelösten Supergroup Led Zeppelin, sein kurzlebiges Projekt The Honeydrippers. Plant scharte hochkarätige Musiker wie seinen Zep-Kollegen und Gitarristen Jimmy Page, den (wie Page) ex-Yardbird-Gitarristen Jeff Beck und den Chic-Gitarristen Nile Rodgers um sich, um vorwiegend an den 50er und 60er Jahren orientierten Blues, R&B und Rock’n’Roll zu spielen. Ahmed Ertegün, Chef von Atlantic Records, suchte eine Band, die seine 50er-Jahre Lieblingsstücke einspielen sollte. Seine Wahl fiel auf die Honeydrippers, und so erschien im Jahr 1984 das einzige Album der Band Volume One, mit nur fünf Tracks eher eine EP denn eine LP. Ein Stück von dieser Platte – die Ballade Sea Of Love (YouTube-Video) – wurde der kommerziell größte Hit der Band und damit Robert Plants. Das hat ihn aber wohl eher erschreckt. Er soll später gesagt haben, er habe nicht als Crooner in die Musikgeschichte eingehen wollen. Vielleicht war das das Ende dieser Band … ? Ich selbst mag diese Ausflüge „harter Rockmusiker“ in die etwas leichteren musikalischen Gefilde allerdings sehr. Immerhin sind die härteren Rock-Gangarten ja aus Rock’nRoll, Rockabilly und Blues hervorgegangen.
Ivan Moravec – Piano Works – Claude Debussy, Maurice Ravel (1967, LP 1990)
Für mich ein Höhepunkt des letzten Hörabends war ein von Berni vorgestelltes Stück: „Norwegian Wood“, der bekannte Beatles-Song, in der Interpretation von Patricia Barber und Band.
Nach einem perlenden Piano-Intro mit verhaltenem Gesang von Barber setzt vorsichtig der Bass Michael Arnopols ein und übernimmt für einen Moment die Führung. Wenig später gesellt sich das feine Schlagzeug von Eric Montzka dazu. Die Sache nimmt Fahrt auf. Barber improvisiert am Piano zum Norwegian-Wood-Thema, die Rhythmusfraktion swingt dazu, was das Zeug hält. Dann plötzlich Neal Algers E-Gitarre, die das Thema von Barber übernimmt. Die nimmt sich am Piano stark zurück, – eine ungeheure Spannung baut sich auf. Nochmal kleine Gesangseinlage, dann setzt die Band angetrieben vom Schlagzeug zum Finale an. Begeisterung beim Publikum! Und bei mir auch …
Berni hatte das Stück auf einem Blue-Note Sampler „The Cover Art Of Blue Note“ entdeckt. Ich wollte aber noch mehr hören von Barber und ihrer famosen Band, also bestellte ich flugs das Live-Album „A Fortnight In France“, das seither selten mal die CD-Player-Schublade verlassen hat! Über eine Stunde feinster Piano-Quartett-Jazz mit leichtem Fusion-Einschlag.
Wer sich das mal anschauen will, dem sei folgendes 10-minütige YouTube-Video empfohlen, in dem die Band das Stück zwar etwas anders aufbaut, als für den Album-Track beschrieben, allerdings ändert dies nichts am Charakter der Interpretation:
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