Ein Dreher für den rookie

Der rookie bin ich und dies ist mein neuer Plattendreher ...
Der rookie bin ich und dies ist mein neuer Plattendreher …

Als in der Adenauer-Ära des vorigen Jahrhunderts Geborener ist mir der Umgang mit Geräten, mittels derer man Schallplatten abspielt, keineswegs fremd. Mit anderen Worten: ich weiß sehr wohl, wie man einen Plattenspieler in Gang setzt. Das ist aber auch alles.

Seit ich mit erfahrenen und mit allen Wassern gewaschenen High-Fidelisten zu tun habe, ahne ich, dass auch hinter der Plattenspielerei eine gewisse Wissenschaft steckt, deren Terminologie mir allerdings noch alles andere als geläufig ist. Vor allem habe ich mir wohl den lieb gewordenen Begriff „Plattenspieler“ abzugewöhnen und fortan das Wort „Dreher“ zu benutzen …

Seit etwa zwei Jahren wirkt der engere Kreis derjenigen, die mich bei der Optimierung meiner selbstgebauten Musikanlage mit Rat und Tat unterstützen, sanft auf mich ein, ich möge mich doch endlich mit dem Gedanken an den Aufbau eines hochwertigen Plattendrehers auseinandersetzen. Zunächst sperrte ich mich ein bisschen, aber im Laufe der Zeit gab ich meinen Widerstand auf, zumal ich beim Hören der Dreher meiner Freunde merkte: da geht auch bei mir noch was! Nach und nach wurde ich dann mit den Leistungen meines altgedienten Thorens TD147 unzufriedener, obwohl dessen Tonarm mit einem recht guten SONUS-System ausgestattet ist.

Also sammelten sich hier einige Zutaten für einen ordentlichen Dreher, als da wären: ein Dual-Motor EDS 900 (Direktantrieb) samt zugehörigem Teller, dazu eine von einem Hamburger Audiofreund neu entwickelte Elektronik zur quarzgenauen Steuerung des Motors. Außerdem ein Tonabnehmersystem ADC220X mit originalen elliptischen Ersatznadeln. Last not least ein SME Serie V Tonarm. In den Besitz dieses excellenten Tonarms zu kommen war letztlich ausschlaggebend, in Sachen Dreherbau endlich aktiv zu werden.

Tja, wie beginnen, wenn man selber von nix eine Ahnung hat? Man fragt jemanden, der sich damit auskennt. In meinem Fall war das mein Audiofreund Meinolf, der auf seiner Website www.ms-vint-audio.de schon eigene Dreher-Konzepte vorgestellt hat: Eigenbau Direkttriebler EDS 900 mit neuer Motorplatine.

Meinolf legt allergrößten Wert auf die folgende Anmerkung: er will sich den Dreherbau für andere nicht zur Gewohnheit machen! Insofern hab ich wohl noch mal richtig Glück gehabt … 🙂

Meinolfs Konzept des schichtweisen Aufbaus aus Multiplexplatten und einer oberen Schicht aus Corian gefiel mir allein schon optisch von Anfang an – so etwas wollte ich auch. Also setzten Meinolf und ich uns einen Tag lang hin, um die Abmessungen, Stellung von Teller und Tonabnehmer zueinander und die auszufräsenden Ausschnitte in den einzelnen Multiplexlagen festzulegen und in eine Frässchablone für die Oberfräse zu übertragen. Wir entschieden uns für das folgende Prinzip: der Tonarmstand wird fest montiert auf einem auf der Grundplatte des Drehers fest aufgebauten „Turm“. Die Grundplatte bilden zwei Multiplexplatten von 15mm Stärke, ist also 30mm stark. Über dieser Grundplatte federnd gelagert bilden zwei weitere Multiplexlagen und abschließend eine 12mm starke Corianplatte das Motor und Teller aufnehmende Oberteil des Drehers.

Dämpfer aus Neopren
Dämpfer aus Neopren

Vier Dämpfungselemente aus Neopren tragen später das Dreher-Oberteil.

Die untere Schicht der Dreher-Grundplatte mit den vier Dämpfern.
Die untere Schicht der Dreher-Grundplatte mit den vier Dämpfern.

Im nächsten Bild sieht man die schon verbundenen beiden unteren MPX-Schichten, die gemeinsam das Unterteil des Drehers bilden. Der große Durchbruch nimmt später die Platine der Motor-Elektronik auf.

Die komplette Grundplatte aus zwei Lagen Multiplex
Die komplette Grundplatte aus zwei Lagen Multiplex

Auch der Tonarm-Turm besteht aus mehreren Multiplex-Schichten und einer Lage Corian:

Die Holz- und Corianschichten des Tonarm-Turms mit der Original SME-Ausschnittschablone
Die Holz- und Corianschichten des Tonarm-Turms mit der Original SME-Ausschnittschablone

Hier sieht man nun das geschichtete Oberteil des Drehers, es beherbergt den Motor und die Motorelektronik …

Unteransicht des Dreher-Oberteils
Unteransicht des Dreher-Oberteils

… die man hier noch mal aus der Nähe sieht:

Motor und Motor-Elektronik
Motor und Motor-Elektronik

Ober- und Unterteil des Drehers sind schon „verheiratet“…

Endmontage
Endmontage

Das folgende Bild zeigt die Tonarmbasis auf dem starr mit der Grundplatte verbundenen Tonarmturm. Man sieht recht schön, dass das federnd gelagerte Dreher-Oberteil rundum einen Abstand von etwa 1,5mm zur Tonarmbasis hält:

Die Tonarmbasis
Die Tonarmbasis

Schließlich hier noch einmal das Foto vom Anfang des Beitrags. Es sei nun auf den „Luftspalt“ zwischen Ober- und Unterteil des Drehers hingewiesen – er entsteht durch die Bubblemounts, die das Dreher-Oberteil federnd lagern.

Fertiger Dreher mit "Luftspalt" zwischen Ober- und Unterteil
Fertiger Dreher mit „Luftspalt“ zwischen Ober- und Unterteil

Revision des SME Serie V

Bei der Erstinbetriebnahme stellten wir rasch fest, dass der SME einer eingehenden Revision bedurfte. Der Arm war schwergängig, Schmierstellen verharzt, zur Dämpfung bestimmtes Silikonöl fand sich an Stellen, wo es nichts zu suchen hatte und die Innenverkabelung war marode, was sich in einem schwächlichen und dazu verbrummten Signal äußerte. Der vor 30 Jahren gebaute Arm, der jahrelang nicht mehr benutzt worden war, wurde von Meinolf behutsam zerlegt, mit Ultraschall gereinigt und die Innenverkabelung mittels superfeiner seidenumsponnener Litze neu hergestellt – eine Heidenarbeit! Danach war er so neu wie frisch aus dem Laden. Lieber Meinolf, danke für Deine unendliche Geduld und Hartnäckigkeit!


Fazit bisher

Eine Woche höre ich nun mit dem neuen Dreher. Etwa 30 Stunden wird das ADC-System bisher eingelaufen sein. Schon in den ersten zwei, drei Stunden waren Meinolf und ich völlig perplex, wie wir den Tonabnehmer sich einlaufen haben hören können. Er steigerte sich kontinuierlich, es war fantastisch, zuzuhören … Nun zuhause den Dreher in die heimische Anlage integriert nehme ich mir nacheinander die gut bekannten und die Lieblingsplatten vor und bin erstaunt – manchmal erschüttert – was dieses Gerät mit der Musik macht. Es entfesselt sie! Das Klangbild ist neuerdings völlig „unnervös“, in allen Lagen ausgeglichen, die Wiedergabe strahlt sowas wie eine selbstsichere Souveränität aus wie die sprichwörtliche sanft zufallende Mercedestür – es ist frappierend! Dazu eine Detailvielfalt, die ich auf meinen Vinyls gar nicht vermutet hätte …


Making of

Meinolf mit der Oberfäse
Meinolf mit der Oberfräse
bastlerisches Chaos in Meinolfs Fahrradschuppen
bastlerisches Chaos in Meinolfs Fahrradschuppen
... sauberes Arbeiten ist Voraussetzung für ein gutes Ergebnis!
… sauberes Arbeiten ist Voraussetzung für ein gutes Ergebnis!
... froh, durch Handlangern und Verrichtung niederer Tätigkeiten etwas zum Projekt beitragen zu können: der Audionist!
… froh, durch Handlangern und Verrichtung niederer Tätigkeiten etwas zum Projekt beitragen zu können: der Audionist!
Meinolf bei diffizilen Einstellarbeiten!
Meinolf bei diffizilen Einstellarbeiten!

Credits

Ich bedanke mich bei meinen Audio-Freunden:
Meinolf: für Anleitung, Ermutigung und fürs Tun der Hauptarbeit
Björn: für die famose Motor-Elektronik
Segschneider: für die Vermittlung des SME Serie V
Euch allen für die Expertise, die Ihr hier in einen – meinen – Topf geworfen habt!

Musik als Heiler

Musik, eingesetzt in der Therapie - Foto & © by Michael Münch
Musik, eingesetzt in der Therapie – Foto & © by Michael Münch

Wir sind im Alltag darauf fokussiert, was uns als Gesundem (oder zumindest halbwegs Normalem) Musik bedeutet. Aber ist das alles oder gibt es kranke Menschen von denen wir lernen können?

Nehmen wir eine der gruseligsten Krankheiten die wir uns vorstellen können: Demenz. Auch als „menschliche Katastrophe“ tituliert. Wem von uns graut es nicht davor, nicht mehr zu wissen, wer wir sind, unsere Liebsten nicht mehr zu kennen, die Erinnerungen, die wir in uns tragen (schon Heinrich Spoerl sagte, diese seien das wirklich „Wahre“), nicht mehr zu kennen und den Bezug zu Raum und Zeit zu verlieren? Oder dies bei einem lieben Menschen mitansehen zu müssen?

Schon mancher hat sich bei dem Gedanken ertappt, dass der Tod besser sei als so ein Schicksal. Über das Wesen des Todes kann ich nichts sagen – ich bin zwar mal für tot erklärt worden, aber das macht mich nicht zu einer Koryphäe. Aber genau wie viele ein Nahtoderlebnis als Licht am Ende des Tunnels beschreiben, gibt es auch Lichtblicke im Tunnel der dunklen Demenz. Es gibt ein Medium, das zu Demenzkranken besser durchdringt, als alle anderen ausprobierten Stimuli: die Musik. Musik ermöglicht überraschende, kreative und humorvolle Aspekte der Arbeit mit Betroffenen, denen man sonst in einer Interaktion hilflos gegenüber steht.

Eine Therapeutin erlebt staunend, wie ein Demenzkranker (früher als Pianist ausgebildet) immer noch das C-Dur-Präludium von Bach spielen kann. Ihn mit der Flöte begleitend erlebt sie „es neu, intensiver“, entdeckt sie „die Genialität des Stückes mehr und mehr“, obwohl sie es vorab für jemanden mit gut gebildeten Ohren für eindeutig kitschig und „abgegriffen“ hielt. Sie schließt mit „Bach hat es geschafft, aus einem einzigen Motiv ein kleines musikalisches Weltall zu schaffen“. Qualitätsvolle Interaktion mit einem Demenzkranken, der „nur“ noch das kann, aber das dafür so gut, dass er Gesunden zum Lehrmeister wird.

Musik weckt längst vergessene Erinnerungen. Musiktherapeuten wecken Erinnerungen an Freuden, Stärken, schätzen den Menschen und teilen durch die Musik Kümmernisse und Enttäuschungen.

Warum Musik? Traditionell glaubte man, dass Gehirn sei irgendwann „ausgereift“ und sein Veränderungspotential gehe (schleichend) verloren. Heute weiß man, dass das falsch ist. Bei älteren Menschen lässt diese Fähigkeit nach, aber Training kann immer noch bedeutende Veränderungen bewirken. Musik stellt als Therapie bei Umstrukturierungsprozessen eine entscheidende Rolle dar. Bekannte Neurowissenschaftler nennen Musik sogar „den stärksten Reiz für Umstrukturierung des Gehirns, den wir kennen“. Musik regt wie kein anderer Reiz gleichzeitig Denken, Fühlen und Handeln an und stimuliert alle die dafür verantwortlichen Gehirnregionen zeitgleich.

Wir können alle noch viel lernen – entspannt beim Genuss von Musik!

Claudia S.


Details zur Musiktherapie

Dorothea Muthesius, Jan Sonntag, Britta Warme & Martina Falk:
Musik – Demenz – Begegnung
Mabuse-Verlag – zur Verlagsseite

Top