Richie Havens – †23.04.2013

Gestern starb 72jährig der amerikanische Folksänger Richie Havens. Er wurde schlagartig bekannt durch seinen Eröffnungs-Auftritt beim Woodstock-Festival im Jahr 1969. Beim Improvisieren über das Spiritual „Sometimes I Feel Like A Motherless Child“ entstand der Song „Freedom“, der wohl vielen noch im Ohr klingt, wenn die Rede auf das legendäre Festival kommt. Überhaupt erkennt man Havens an seiner Musik sofort – zu charakteristisch der Zusammenklang von heiser-rauer Stimme und perkussiv gespielter akustischer Gitarre.

Havens ist bekannt für hervorragende Coverversionen. So gehen – um nur wenige Beispiele zu nennen – seine Interpretationen von Beatles-Klassikern wie „Eleanor Rigby“ oder „Here Comes The Sun“ in ihrer Eindringlichkeit weit über die Originale hinaus.

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Schon im März verließ uns mit Alvin Lee (†06.03.2013) ein weiterer Woodstock-Veteran. Lee war der charismatische Leadgitarrist und Sänger der Band Ten Years After.

Vom Sammeln und wieder Weggeben

Manchmal ist die blogrelevante Erlebnisdichte nicht sehr hoch – solche Phasen gehen oft mit einem erhöhten Arbeitsaufkommen in Sachen Broterwerb einher … Soll mir recht sein!

Gestern aber hatte ich ein wenig Zeit und es trieb mich mal wieder zum Haushaltsauflöser meines Vertrauens – besser gesagt: in dessen Schallplattenecke, die von Herrn B. so liebevoll gepflegt wird. Auch diesmal fuhr ich nicht ohne ein paar Neuerwerbungen in Vinyl wieder nach Hause. Meine Absicht war es jedoch, eine größere Anzahl von Schallplatten loszuwerden.

PlattenregalAufmerksamen Lesern wird es nicht entgangen sein, dass ich zwar auch klassische Musik höre, diese aber keinen Schwerpunkt meiner sammlerischen Bemühungen darstellt. Ich freue mich jedoch, sehr viele bedeutende Werke aus dem Bereich der klassischen Musik in meinen Regalen stehen zu haben.

Nun ist es allerdings so, dass man bei der Übernahme musikalischer Nachlässe in Form von Schallplatten keine Rosinenpickerei betreiben kann. Im Normalfall wollen die Erben „den alten Kram“ auf einen Schlag loswerden. Auf dem Flohmarkt ist es mir schon passiert, dass mir Angebote gemacht werden wie „… nur 20 Euro, wenn Du die ganze Kiste nimmst!“ – so kommt man zu jeder Menge von dem, was ein Angler „unerwünschten Beifang“ nennen würde. Das Ergebnis: man hat gerade auf dem Gebiet der klassischen Musik bald alles doppelt und dreifach in der Sammlung. Das treibt manchmal seltsame Blüten: Mozarts „Kleine Nachtmusik“ und Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ habe ich jeweils acht mal im Regal stehen. Ich bin allerdings kein vergleichender Hörer, was soll ich also mit dem vielen Zeug?

Ich sammle Platten ja nicht um ihres bloßen Besitzes willen, sondern fürs Hörvergnügen. Die Musik soll auch mal auf den Plattenteller! Vor etwa zwei Wochen, als ich mal wieder mühsam Platz für weitere Platten schaffen musste, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: wenn was Neues dazu kommt, muss was Altes weg! Ich holte also ein paar Kartons vom Dachboden und nach ein paar Stunden hatte ich um die 250 Platten aussortiert – hauptsächlich klassische Musik. Gestern schließlich hievte ich die Kartons in mein Auto und lieferte sie im sozialen Kaufhaus bei Herrn B. ab. Er wird die Platten sichten, ein wenig mit Mikrofaser-Tüchern abwischen, der einen oder anderen eine neue Innenhülle verpassen und sie dann in seine Regale einsortieren. Und wenn alles gut geht, werden die Platten für einen Euro das Stück einen neuen Besitzer finden …

Die Erfahrung, dass das Weggeben mir überflüssig gewordener Gegenstände ungeheuer viel Freude machen kann, ist mir nicht neu. Mir fehlt allerdings die Lust, 250 Schallplatten Stück für Stück bei e..y anzubieten oder mich auf den Flohmarkt zu stellen. Nein – so ein soziales Kaufhaus ist schon ein ganz hervorragender Umschlagplatz. Was dem Einen überflüssig erscheint, wird vom Anderen höchst begehrt. Dieser Ort bringt uns beide – und ich bin mal dieser und mal jener – aufs Feinste zusammen!

Segschneider rezensiert #03: Enrico Caruso – O sole mio

Und wieder erreicht mich ein eindrucksvoller Text unseres Freundes Segschneider:

Fast ein Jahrhundert

Enrico Caruso, Quelle: Wikimedia Commons, public domain
Quelle: Wikimedia Commons, public domain

1920 ist er abgetreten, mitten aus dem vollen Leben heraus, er hustete Blut auf offener Bühne – und ich stelle mir vor, dass die Lunge dem Druck der gewaltigen Töne, die er wie kaum ein Zweiter gesungen hatte, einfach nicht mehr standhielt. Seine ersten Tonaufzeichnungen begannen in einer Ära, in der die Edison-Wachswalze das Maß der Dinge war. Mit dem neuen Jahr- hundert startete dann der Siegeszug der Schallplatte, der – wie man sagt – von ihm und seiner Sangeskunst maßgeblich vorangetrieben wurde; Schallplatten von ihm waren sehr begehrt.

Einige Aufzeichnungen seiner Stimme sind erhalten. Kann man sie sich noch antun, oder ist das speziell auf einer empfindlichen Anlage unmöglich, weil nur noch Schmerz in den Ohren?

Selbstverständlich setzt die mangelhafte Technik Grenzen. Von HiFi ist nicht die Rede. Heute noch überlieferte Tondokumente – gleichgültig ob auf LP oder CD – sind zumeist von Schellackplatten der dreißiger Jahre überspielt. Ich habe übrigens einmal eine Kopie der ersten Tonaufzeichnung gehört, abgespielt von einem Demotonband des WDR. Denn, das ist vielleicht eine Überraschung für Heutige: bereits Thomas Alva Edisons Verfahren erlaubte die Vervielfältigung; sowohl die Wachswalzen als auch der Abspielapparat liessen sich duplizieren. Und, von einigem Rauschen und Knistern einmal abgesehen, der legendäre Text „Mary had a little lamb“ ist ohne weiteres zu verstehen. Schellackplatten zu überspielen erfordert Fingerspitzengefühl und Können. Je nachdem ob Innen-, Mitten- oder Aussenrille muss mit unterschiedlich dicken Saphirnadeln abgespielt werden, die so erhaltenen Schnipsel werden dann entrauscht, entzerrt, zusammengefügt. Es ist unvermeidbar, dass man die Schnittstellen bemerkt. Und das verbliebene Rauschen und Prasseln ebenso.

Aber dennoch. Nach den einleitenden Orchesterklängen macht der Sänger seinen Mund auf und singt auf schwindelerregende Weise. Er ist gewohnt, ein sehr grosses Opernhaus – seine Heimatbühne war die (alte!) MET in New York – ohne jede elektrische Verstärkung zu füllen. Dazu braucht es eine sieben-Liter-Lunge, das ist soviel wie bei einem Extrem-Ausdauersportler, einem Ironman zum Beispiel, einen Brustkorb wie eine Tonne, um hinter jeden Ton den entsprechenden Resonanzboden setzen zu können, und die notwendige Sangestechnik. Beim Einatmen stürzen, mit einem Geräusch wie bei einem Ertrinkenden, mehrere Liter Luft in die Lunge, von Atmung zu sprechen ist eigentlich eine groteske Untertreibung. Es hat etwas von brachialer Gewalt, einer extrem gebändigten Gewalt zwar, aber verglichen mit heutigen Stimmchen setzt ein Riesenraubtier zum Sprunge an: faszinierend, bedrohlich, unglaublich. Vibrato kommt so gut wie gar nicht vor, das hat dieser Sänger nicht nötig. Es sind Orgeltöne, die erklingen, hinter jedem Ton steht ein riesiges Luftreservoir.

Caruso in der Rolle des Camio in "Bajazzo", gezeichnet von Caruso selbst
Enrico Caruso: Selbstporträt als Camino in „Bajazzo“ (public domain)

Und dann: Fortissimo. Unwillkürlich hält man selber den Atem an. Die Töne sind von einer unglaublichen Wucht, nicht geschmettert, nicht geschrieen, sondern einfach nur groß und majestätisch. Trotzundalledem sind diese meine Beobachtungen eine Barbarei dem Künstler gegenüber. Denn er trägt gerade ein einfaches Lied vor, das er weltberühmt gemacht hat, und in jedem Ton, jeder Phrasierung ist die Liebe zu seiner Heimat zu spüren. Er kostet dies Liedchen aus, als sei es eine der grossen Arien, er agiert mit Hingabe, Leidenschaft, einer Leidenschaft, die sein ganzes Leben bestimmt hat, und mit tiefem künstlerischem Empfinden. Ich habe „O sole mio“ nie wieder von einem Anderen hören können, nachdem Enrico Caruso es einmal gesungen hatte. Mamma mia.

– seg –

Nach langer Zeit mal wieder Böll gelesen

Heinrich Böll - Gesamtausgabe, Werke 3, Romane und Erzählungen 1954-1959Gestern Abend suchte ich noch etwas zum Lesen – zum Aufbleiben zu müde und zum Einschlafen zu munter brauche ich oft noch die sprichwörtlichen „drei Zeilen“, die mich dann endgültig in Morpheus´ Arme treiben. Auf dem Weg ins Bett vor den Büchern stehend fiel mein Blick auf die seit bestimmt 20 Jahren nicht mehr angerührte Heinrich Böll-Gesamtausgabe in zehn Bänden. Und sofort wusste ich auch, was ich noch lesen wollte: die satirische Kurzgeschichte „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen„. Veröffentlicht 1955 und verfilmt im Jahr 1963 mit Dieter Hildebrandt als Murke spielt diese Geschichte in einer deutschen Rundfunkanstalt. Dr. Murke, Mitarbeiter im Kulturressort, erhält vom Intendanten die Aufgabe, einen von der Kultur-Größe Bur-Malottke verfassten und eingesprochenen Beitrag zu bearbeiten. Bur-Malottke, bei Kriegsende eilig vom Nationalsozialisten zum Gottgläubigen konvertiert, distanziert sich nun wieder und verlangt, dass aus seinem Beitrag das Wort „Gott“ herausgeschnitten und durch die Wendung „jenes höhere Wesen, das wir verehren“ ersetzt wird. Der Intendant mag Bur-Malottke die Sache nicht abschlagen:

Nun ruft der Intendant Murke zu sich und drückt ihm diese undankbare Aufgabe aufs Auge:

Der Intendant mochte Murke nicht; er hatte ihn zwar sofort engagiert, als man es ihm vorschlug, er hatte ihn engagiert, so wie ein Zoodirektor, dessen Liebe eigentlich den Kaninchen und Rehen gehört, natürlich auch Raubtiere anschafft, weil eben in einen Zoo auch Raubtiere gehören – aber die Liebe des Intendanten gehörte eben doch den Kaninchen und Rehen, und Murke war für ihn eine intellektuelle Bestie.

Die „intellektuelle Bestie“ Murke rächt sich fürchterlich an Bur-Malottke. Jener erfährt im Studio, er habe wegen des Bedarfs verschiedener grammatikalischer Fälle das Folgende nachträglich einzusprechen:

„Wir haben“ – er lächelte liebenswürdig zu Bur-Malottke hin – „insgesamt nötig: zehn Nominative und fünf Akkusative, fünfzehnmal also: ‚jenes höhere Wesen, das wir verehren‘ – dann sieben Genitive, also ‚jenes höheren Wesens, das wir verehren‘ – fünf Dative: ‚jenem höheren Wesen, das wir verehren‘ – es bleibt noch ein Vokativ, die Stelle, wo Sie ‚o Gott‘ sagen. Ich erlaube mir, ihnen vorzuschlagen, dass wir es beim Vokativ belassen und Sie sprechen ‚O Du höheres Wesen, das wir verehren!“

So gerät der „große“ Bur-Malottke in eine recht erniedrigende Lage. Murke lässt ihn das Einsprechen ständig wiederholen und so in dieser eh schon peinlichen Situation für seine Arroganz und Scheinheiligkeit büßen.

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Murke selbst kompensiert die Frustration, der sich im Arbeitsalltag in der Rundfunkanstalt bei ihm aufstaut, durch das Anhören gesammelter und zusammengeklebter Tonbandschnipsel von Sprechpausen, dem „gesammelten Schweigen“.

Nach so viel Vergnügen beim Lesen dieser 24 Seiten umfassenden Kurzgeschichte habe ich mir fest vorgenommen, mal wieder häufiger den Böll zur Hand zu nehmen!

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