In Memoriam L. C.

Seit etwa fünfzig Jahren – Du meine Güte, tatsächlich schon so lange – höre ich die Geschichte, dass der Computer der nächsten Generation endlich wie ein Mensch dies und das und jenes können werde. Nichts davon habe ich je eintreten sehen. Aber einen Vorgang kann er tatsächlich wie ein Mensch: sich selbst aufhängen, sich in einer Sache so festsetzen, dass nichts anderes mehr geht. Meinem Gehirn passierte das neulich bei einem Song von Leonhard Cohen, den jemand Al Pacino unterlegt hatte, wie er gerade dem Duft der Frauen nachtanzte. Und da hatte ich den Ohrwurm oder der Ohrwurm mich, auf jeden Fall: festgeklemmt.

Leonard Cohen
Leonard Cohen, 2008 – Foto & (c) by Rama via Wikimedia Commons

Nun verbindet mich eine eigentümliche Beziehung mit L.C.. Ich mag Songs, die er geschrieben hat, aber ich ziehe andere Interpreten, Jennifer Warnes zum Beispiel, vor. „Dance me to the end of love“ – und dann noch üppig mit Backgroundgesang fleißiger Damen und schluchzender Geigen unterlegt, das ist mir zuviel des Guten. Gelegentlich weiß der Computer ja Rat. Und diesmal wusste er. Es gibt eine ganze Reihe alternativer Versionen. Da das Gehirn sich eh aufgehängt hatte, hörte ich mich in den Song hinein. Diese beiden Interpretationen

  • Ballhaus: Dance me to the end of love, aufgenommen im Bürgerhaus Stollwerck, Köln, Januar 2013, und gesungen von der großartigen Verena Guido
  • und Avalanche Quartett, selber Titel, eingespielt at the Moods in Zürich, 2007

das sind meine Favoriten. Nach meiner – selbstverständlich völlig unmaßgeblichen – Meinung stechen sie aus dem großen Angebot hervor.

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Rasch weiter ins Internet geguckt und — das gibt’s doch gar nicht!! Auf CD nicht erhältlich; das kann nicht sein. Doch halt, hier, vielmehr dort in der fernen Schweiz hatte jemand mal die „Leonard Cohen Songs“ des Avalanche Quartetts, oder er hat sie doch nicht, oder schon wieder, es ist nicht ganz klar, und das letzte Update der Internetseite liegt auch schon zurück. So wunderbare Musik und so gut wie nicht erhältlich, noch nicht einmal gebraucht. Man kann es nur traurig finden.

Wem diese Interpreten nicht gefallen, der mag vielleicht Madeleine Peyroux, Perla Batalla & Julie Christensen, Harpeth Rising oder Meret Becker, Bettina Wegner oder oder. Monica Bellucci muss nicht sein, Jack Vettriano kann sein, obwohl ganz ohne Musik, dafür aber an der Kante von jugendfrei. Macht nix, das Gehirn hat sich einmal aufgehängt und liefert die Musik gratis dazu. Jaa, so ist das.

Und, versprochen ist versprochen, der Computer der nächsten Generation kann uns dann Songs wie von L.C. liefern – ganz bestimmt!

Segschneider #04

Diesmal politisch völlig unkorrekt: über künstlerische Freiräume im ehemaligen Ostblock

Ach, ich freu mich: kaum ist das neue Blog eröffnet, meldet sich auch Segschneider zurück! Hier seine aktuellen Betrachtungen über Streicher-Quartette im „real existierenden Sozialismus“:

Peter I. Tschaikowski - Streichquartett F-dur op. 22 - Borodin-Quartett
Peter I. Tschaikowski – Streichquartett F-dur op. 22 – Borodin-Quartett – Eterna

Zwar ist es schon länger her, dass wir – der siegreiche Westen – den sogenannten Sozialismus bezwungen haben. Weil wir so ungeheuer erfolgreich sind, wirtschaftlich vor allem. Der westliche Kapitalismus ringt alles nieder; in der jüngsten, aber nicht letzten Krise hat er beinahe sich selbst niedergerungen. Ob er sich selbst überwinden kann, ist noch offen.

Aber das darf man derzeit wohl immer noch nicht, den ehemaligen Ostblock als ein Paradies schildern. Er war eines, und er ist immer noch ein paradiesischer Ort für Ballettliebhaber, Musikliebhaber im Allgemeinen und Quartettafficionados im Besonderen. Es wird wohl etwas mit den Arbeitsbedingungen zu tun haben, die dort herrschten. Am Moskauer Zentralismus – das dortige Konservatorium hatte unbestreitbar die Führungsrolle – hat es eher nicht gelegen. Denn die Franzosen, ein nicht minder zentralistisches Völkchen, haben diese Fülle atemberaubend guter Quartettspieler bisher nicht hervorgebracht.

Bleiben die übrigen Arbeitsbedingungen. Ich halte es für zutreffend, dass Quartettspiel nicht nur eine Lebensaufgabe ist, sondern dass ein Zusammenspiel umso besser werden kann, je länger und bewusster die vier Musikanten miteinander umgehen. Quartett erwächst aus gemeinsamem Leben. Es nützt gar nichts, vier Superstars aus allen Kontinenten einzufliegen und zu sagen: nun spielt mal schön. Das ist eher kontraproduktiv und wird sehr leicht die Karikatur eines Quartetts.

Von Karl Kraus konnten wir erfahren, dass der gute Schreiber des Zensors bedarf: erst der Zensor würde ihn zwingen – so argumentiert Karl Kraus – sein Bestes zu geben. Ich habe den Verdacht, dass es bei der Musik ähnlich sein könnte, obwohl ich nicht erklären kann, wie das genau funktionieren sollte. Dass im damaligen Ostblock reichlich Zensur war, kann kaum bestritten werden. Je nach Generalsekretär in Moskau muss zeitweise ein klaustrophobisches Gefühl des Eingesperrtseins geherrscht haben. Es mag sein, dass die Flucht in die Musik sich gewissermassen aufdrängte.

Wie auch immer: dort hatten Quartettspieler Zeit zu reifen. Kommerzieller Druck – Konzertagenten, die verdienen – big business, das den Umsatz will – all diese Urkräfte des Westens und die von ihnen hervorgerufenen Verwüstungen junger, frühzeitig verschlissener Spieler fehlten. Man hatte Zeit. Zeit, um Spieltechnik, Ideen und Menschen sich entwickeln zu lassen.

Kultur spielte und spielt in Russland eine hervorgehobene Rolle, die wir uns eher schlecht als recht vorstellen können. Obwohl einige Journalisten uns das sogar in ARD und ZDF nahezubringen versucht haben. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Empfangskommittee inklusive Bürgermeister sich auf dem Bahnsteig einfindet, um einen bekannten Dichter zu begrüssen, der seine Heimatstadt besucht.

Die Intensität des Kulturlebens, die Akzeptanz des Künstlerischen verbunden mit staatlicher Förderung – all das zeigte wohl Wirkung. Jedenfalls entstand eine erstaunliche Zahl guter Quartette. An ihrer Spitze das Borodin Quartett, eine Ausnahmeerscheinung selbst innerhalb eines hochgesteckten Rahmens.

Für Quartettliebhaber gibt es einen sehr einfachen Tip: völlig egal, ob da nun Borodin, Tanejew oder sonstwie Quartett draufsteht – einfach kaufen, wenn man über eine Melodia oder Eterna Aufnahme dieser Ära stolpert. Selbst wenn es eine original Hungaroton Scheibe sein sollte: kaufen! Man kann da kaum etwas falsch machen. Künstlerisch waren alle Einspielungen, die ich dieserart erstanden habe, eine wundervolle Bereicherung. So, als ob sie befreit von westlichen Zwängen aus einer anderen Welt stammten. Nur dass man das selbstverständlich auch heute noch nicht sagen darf, dass der ehemalige Ostblock ein Künstlerparadies gewesen ist. Gewesen sein könnte, wenn man die musikalischen Ergebnisse zum Maßstab nimmt.

Östlich der Elbe beginnt eben nicht die asiatische Steppe, wie Konrad Adenauer einmal meinte, sondern dort blüht – oftmals im Verborgenen – eine staunenswerte Kultur. Sichtbar für denjenigen, der hinschauen mag.

Segschneider rezensiert #03: Enrico Caruso – O sole mio

Und wieder erreicht mich ein eindrucksvoller Text unseres Freundes Segschneider:

Fast ein Jahrhundert

Enrico Caruso, Quelle: Wikimedia Commons, public domain
Quelle: Wikimedia Commons, public domain

1920 ist er abgetreten, mitten aus dem vollen Leben heraus, er hustete Blut auf offener Bühne – und ich stelle mir vor, dass die Lunge dem Druck der gewaltigen Töne, die er wie kaum ein Zweiter gesungen hatte, einfach nicht mehr standhielt. Seine ersten Tonaufzeichnungen begannen in einer Ära, in der die Edison-Wachswalze das Maß der Dinge war. Mit dem neuen Jahr- hundert startete dann der Siegeszug der Schallplatte, der – wie man sagt – von ihm und seiner Sangeskunst maßgeblich vorangetrieben wurde; Schallplatten von ihm waren sehr begehrt.

Einige Aufzeichnungen seiner Stimme sind erhalten. Kann man sie sich noch antun, oder ist das speziell auf einer empfindlichen Anlage unmöglich, weil nur noch Schmerz in den Ohren?

Selbstverständlich setzt die mangelhafte Technik Grenzen. Von HiFi ist nicht die Rede. Heute noch überlieferte Tondokumente – gleichgültig ob auf LP oder CD – sind zumeist von Schellackplatten der dreißiger Jahre überspielt. Ich habe übrigens einmal eine Kopie der ersten Tonaufzeichnung gehört, abgespielt von einem Demotonband des WDR. Denn, das ist vielleicht eine Überraschung für Heutige: bereits Thomas Alva Edisons Verfahren erlaubte die Vervielfältigung; sowohl die Wachswalzen als auch der Abspielapparat liessen sich duplizieren. Und, von einigem Rauschen und Knistern einmal abgesehen, der legendäre Text „Mary had a little lamb“ ist ohne weiteres zu verstehen. Schellackplatten zu überspielen erfordert Fingerspitzengefühl und Können. Je nachdem ob Innen-, Mitten- oder Aussenrille muss mit unterschiedlich dicken Saphirnadeln abgespielt werden, die so erhaltenen Schnipsel werden dann entrauscht, entzerrt, zusammengefügt. Es ist unvermeidbar, dass man die Schnittstellen bemerkt. Und das verbliebene Rauschen und Prasseln ebenso.

Aber dennoch. Nach den einleitenden Orchesterklängen macht der Sänger seinen Mund auf und singt auf schwindelerregende Weise. Er ist gewohnt, ein sehr grosses Opernhaus – seine Heimatbühne war die (alte!) MET in New York – ohne jede elektrische Verstärkung zu füllen. Dazu braucht es eine sieben-Liter-Lunge, das ist soviel wie bei einem Extrem-Ausdauersportler, einem Ironman zum Beispiel, einen Brustkorb wie eine Tonne, um hinter jeden Ton den entsprechenden Resonanzboden setzen zu können, und die notwendige Sangestechnik. Beim Einatmen stürzen, mit einem Geräusch wie bei einem Ertrinkenden, mehrere Liter Luft in die Lunge, von Atmung zu sprechen ist eigentlich eine groteske Untertreibung. Es hat etwas von brachialer Gewalt, einer extrem gebändigten Gewalt zwar, aber verglichen mit heutigen Stimmchen setzt ein Riesenraubtier zum Sprunge an: faszinierend, bedrohlich, unglaublich. Vibrato kommt so gut wie gar nicht vor, das hat dieser Sänger nicht nötig. Es sind Orgeltöne, die erklingen, hinter jedem Ton steht ein riesiges Luftreservoir.

Caruso in der Rolle des Camio in "Bajazzo", gezeichnet von Caruso selbst
Enrico Caruso: Selbstporträt als Camino in „Bajazzo“ (public domain)

Und dann: Fortissimo. Unwillkürlich hält man selber den Atem an. Die Töne sind von einer unglaublichen Wucht, nicht geschmettert, nicht geschrieen, sondern einfach nur groß und majestätisch. Trotzundalledem sind diese meine Beobachtungen eine Barbarei dem Künstler gegenüber. Denn er trägt gerade ein einfaches Lied vor, das er weltberühmt gemacht hat, und in jedem Ton, jeder Phrasierung ist die Liebe zu seiner Heimat zu spüren. Er kostet dies Liedchen aus, als sei es eine der grossen Arien, er agiert mit Hingabe, Leidenschaft, einer Leidenschaft, die sein ganzes Leben bestimmt hat, und mit tiefem künstlerischem Empfinden. Ich habe „O sole mio“ nie wieder von einem Anderen hören können, nachdem Enrico Caruso es einmal gesungen hatte. Mamma mia.

– seg –

Segschneider rezensiert #02: Nina Simone – Feeling Good

Gestern flatterte mir Segschneiders zweiter Text zur Musik ins Haus. Ich denke, das wird nun eine eigene Rubrik werden! Hier die neue Rezension, die sich diesmal nicht mit einem konkreten Album, sondern einem bestimmten Titel von Nina Simone befasst. „Feeling Good“ gibt’s auf etlichen Alben – ich stelle mal ein Bild meines Nina Simone-Samplers daneben. Nun aber Segschneider:

Nina Simone - My Baby Just Cares For Me (Sampler)DIE FARBE BLAU – Nina Simone feeling good

Legt man die üblichen Maßstäbe an, dann hat sie ein schwieriges und schweres Leben gehabt, zuviel Leichtigkeit kann da nicht gewesen sein. Und trotzdem hat sie all die Jahre diese unglaubliche Musik gemacht. Man braucht nur mal im Leben etwas Schweres durchzumachen: Nina S. auflegen – man fühlt sich verstanden und auf eine seltsame, weil rational kaum zu erklärende Weise getröstet.

In ihrem Oeuvre gibt es viele Perlen. Wie sie „Mississippi Goddam“ hinknallt, einen Aufschrei der Bürgerrechtsbewegung, getrieben von der Leidenschaft eines Martin Luther King – atemberaubend. Und den Song von der Seeräuber Jenny erst!! Da müsste es Kurt Weill vom Stuhl gehoben haben vor Begeisterung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das je so hochenergetisch, so explosiv über eine Opernbühne gebracht worden ist. (Ja, ich habe Lotte Lenya gehört und ich will über sie keineswegs nörgeln.) Wie gesagt, Perlen gibt es viele.

Aber drei Stücke katapultieren sie in den Olymp. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach. Zwei davon gelang es mir auf CD zu ergattern, ich hätte sie gerne auf LP, es sind jedoch seltene Stücke. Das dritte muss an dieser Stelle unerwähnt bleiben, ich will mir meine Chancen da nochmal dranzugelangen nicht total verbauen. Womit wir zu Plain gold ring kommen. Das ist eine jener für sie so typischen Balladen, die erzählen, wie’s einem so ergehen kann, wenn es – in Heutesprech – suboptimal läuft.

Das andere Stück ist mein Favorit: Feeling good. Da lässt sie sich fliegen, hier und heute und dieses eine Mal, weg aus dem grauen Alltag, rein in die bessere Welt. Es ist einfach aufgebaut, wie viele ihrer Songs. Ihre Stimme kontrastiert mit massiven Orchestereinsätzen, die – auf einer traumhaften Musikanlage abgespielt, HiFi wäre zu wenig – emotionale Barrieren durchschlagen wie der Punch eines Schwergewichtboxers. Obendrein spielt Nina diese gehauchten Klaviertöne, über deren technische und pianistische Brillianz ein deutscher Konservatoriumsschüler nur die Nase rümpfen würde – aber da irrte er sich gründlich. Timing und timbre, darin ist Nina S. schlichtweg unnachahmlich. Ihre empfindsamen Töne atmen, tragen Stimmungen und leben auf ganz eigene Weise. Die meisten Menschen ahnen nicht, wie schwer es ist, so leicht zu spielen.

Minimalismus heisst, die Welt in einem Wassertropfen zu sehen. Bei Nina Simone kann man eine ganze Welt voller Empfindung in einem Klavierton hören. Wenn man denn hinhören will. (Und wenn man die geeignete Anlage dazu hat – oder geht’s auch ohne, Michael? Da sollten wir uns mal ein paar Gedanken drüber machen … )

– seg –

Segschneiders Gast-Rezension: Johnny Cash & Willie Nelson – VH1 Storytellers (CD 1998)

Segschneider ist einer, der viel weiß über Audiotechnik, Röhrenverstärker und alles, was damit zusammenhängt. Vor allem aber liebt er Musik und ist vielleicht deshalb zum Verstärkerbauer geworden. Als ich ihn neulich erstmals besuchte, fragte er mich, ob ich mir vorstellen könne, auf dem Radionisten mal eine von ihm verfasste Gast-Musikrezension zu veröffentlichen. Klar kann ich! Heute erreichte mich ein wunderbarer Text, den ich natürlich gern hier einstelle. Los geht’s!

Johnny Cash & Willie Nelson – VH1 Storytellers (CD 1998)

Johnny Cash & Willie Nelson – VH1 Storytellers (CD 1998)On the road again

Über Rick Rubin und seine Aufnahmen ist viel geschrieben worden. Johnny Cash’s Einspielungen der letzten Jahre sind, auf Vinyl erschienen, zu audiophilen Schätzen deklariert worden. Verglichen mit manchem anderen geht das voll in Ordnung; aus Cash’s frühen Jahren gibt es genügend lieblos gemachte und technisch dahingeschluderte Schallplatten. Trotzdem manifestiert sich für mich die Strahlkraft von Rick Rubin in einer Einspielung, die ich nur auf CD kenne: „VH1 Storytellers“. Diese CD schreit nach außergewöhnlich guten CD- Playern – aber das ist eine andere Geschichte.

Da kommen zwei Mann auf eine Bühne, in einem kleinen und eher intimen Studioraum, und die (wenigen) Zuhörer klatschen höflich. Wie differenziert das Klatschen wiedergegeben wird, ist eine Sache für sich und ein Härtetest für jeden CD-Player. Die beiden stellen sich vor: Johnny Cash und Willie Nelson. Sie eröffnen das Programm mit einem gemeinsamen Song, einem uralten Cowboy- und Western-Lied: „Ghost Riders in the Sky„. Kann man drüber streiten. Ich empfehle lieber, einen guten Bourbon dazu zu trinken, Knob Creek zum Beispiel, der sofort Erinnerungen an Lagerfeuer und Holzfällerhemden weckt.

Und dann sollte man sich auf Willie Nelson konzentrieren. Man kann auf Beat spielen oder auf Offbeat – Willie tut keins von beidem. Er spielt, und das ist selten genug, ganz in seiner eigenen Zeit. Klopft man den Rhythmus mit, stimmt nichts; und doch stimmt alles. Wie Willie mit einem kontrastierenden, ganz eigenen Zeitgefühl spielerisch umgeht, dieweil Johnny Cash mit striktem Beat dagegenhält, das ist seltene Klasse. Ich habe über ein Dutzend Willie Nelson Scheiben gehört, aber so gut ist er auf keiner gewesen.

Ich weiß nicht, was die Jungs vor dem Auftritt getrunken hatten, den besten Bourbon von Blantons vermute ich mal, hier sind sie jedenfalls in Hochform. Und wie man aussieht, wenn man vor dem Auftritt ein wenig zuviel guten Bourbon konsumiert, berichtet Willie, der offensichtlich alles schon erlebt hat, ebenfalls in einem charmanten Song. Überhaupt, die kleinen Erzählungen zwischen den Songs – die Aufnahme heißt nicht umsonst „Storytellers“: da gibt es Perlen zu entdecken. Die beiden erzählen Geschichten, solche, die das Leben schrieb. Wenn man ein ganzes Leben mit Musik verbringt, dann gewinnen manche Stücke eine Reife, wie sie nur alter, sehr feiner Whisky hat.

Und falls man einmal tausend Meilen am Stück durch den endlosen Südwesten der Vereinigten Staaten gefahren sein sollte, dann gehörte diese CD ohnehin zum Pflichtprogramm. Mehr Erinnerung geht nicht.

– seg –

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