Vor ein paar Wochen war ich für einen Abend beim Audionisten zu Gast. Wir haben einige Stunden Musik gehört und dabei verschiedene Verstärker und Lautsprecher verglichen. Dabei kamen auch die SABA Celli zum Einsatz. Das Besondere an diesen Lautsprechern ist, dass hier ein alter Breitbänder aus den 1950er Jahren eingesetzt wird, der die dünnen Seitenteile des Gehäuses in Schwingung versetzt, die, ähnlich einem Gitarrenkorpus, resonieren und ebenfalls Töne erzeugen. Obwohl dieses Konzept den Merkmalen „moderner“ Lautsprecher widerspricht, haben mir die Celli dermaßen gut gefallen, dass der Audionist mich mit den Worten verabschiedete: „Ich glaube, du baust dir bald neue Lautsprecher“. Recht hatte er!
So fanden nach einiger Internetrecherche die benötigten Lautsprecherchassis zu mir: ein Paar SABA Permadyn 19-200-5298-U8 samt dazu gehörender Hochtöner. Um letztere anzukoppeln, sollten russische Paper-in-Oil (PIO) Kondensatoren verwendet werden.
In Sachen Formgebung der Lautsprecher wurde ich auf der Homepage von Troels Gravesen fündig, nach dessen Maßen ich eine Schablone anfertigte. Das Ausschneiden der Deckel aus 15mm Birkensperrholz funktionierte mit Hilfe einer Bandsäge sehr gut. Der Verschnitt würde später als Zwinge zum Aufleimen der geschwungenen Seitenteile aus 3mm kreuzverleimten Pappelsperrholz dienen. Die Frontlöcher für die Lautsprecher wurden gefräst und Distanzplatten angefertigt, um die Hochtöner um 15mm nach hinten zu versetzen. Damit soll erreicht werden, dass die Zentren der Lautsprecher auf annähernd einer Ebene liegen.
Die Verleimung der geschwungenen Seitenteile stellte erwartungsgemäß die größte Herausforderung dar, denn diese werden für die Celli auf Spannung verbaut, ohne die Biegung durch Anfeuchten oder Erhitzen zu erleichtern. Um eine größere Ansatzfläche für die Verleimung zu erhalten, wurden zusätzliche Leisten auf die Frontplatte geklebt. Das eigentliche Biegen mit dem Deckel als formgebendes Element hat dann mit Hilfe der Verschnittreste recht gut funktioniert. Hier muss aber unbedingt darauf geachtet werden, einen guten Leim zu verwenden und nicht zu stark zu zwingen, da das Pappelsperrholz schnell reißt.
Die Gestaltung der unteren Gehäuseöffnung wird unter Celli-erfahrenen Bastlern diskutiert: Manche plädieren dafür, dass das spätere Resonieren der Seitenteile im unteren Bereich durch nichts beeinträchtigt werden darf. Andere mahnen eine Kontrolle eben dieser Resonanzen durch Spangen oder Stege an. Ich habe mich an den Celli des Audionisten orientiert und mittels Drahtseil und Spannschloss eine Vorrichtung gebaut, mit der der Abstand von Front- und Rückwand und damit die Spannung der Seitenteile eingestellt werden kann. Dieses könnte besonders im Verlauf der Zeit nützlich werden, wenn das Holz strukturell ermüdet, seine Spannung verliert, und die Seitenwände beginnen zu „flattern“.
Nach zwei Wochen des Bastelns standen sie dann endlich da, die Lautsprecherchassis waren eingebaut und der ersten Töne erklangen. Die Celli machen einen präzisen, trockenen Bass, der einen mittelgroßen Raum problemlos füllt. Für mich wird dieser Bereich schon fast zu prominent dargestellt – die Lautsprecher haben deshalb sehr von einer leichten Dämmung der Gehäuse mit Dämmwolle direkt hinter den Breitbändern profitiert. Nun gefallen sie mir immer besser, auch wenn die Feinabstimmung noch nicht abgeschlossen ist. Ich bemerke immer wieder, dass sich besonders akustische Instrumente wie ebendiese anhören – und nicht „nur“ wie Aufnahmen davon. Menschliche Stimmen werden detailliert und klar dargestellt. Es sind tolle Lautsprecher!
Ich möchte noch erwähnen, dass die Ideen, die in den Bau der Celli geflossen sind, nur zu einem geringen Teil von mir stammen. Besonders der Audionist hat mich mit eigenen Ideen und zusätzlichen Tipps von Segschneider und anderen Celli-erfahrenen Audio-Freunden unterstützt.
Vielen herzlichen Dank dafür!
Redaktionelle Anmerkung I:
Segschneider zum Thema Hochtöner:
Die großen Radios der Röhrenära hatten bis auf wenige Ausnahmen die Hochtöner seitlich montiert. Gegenüber der Abstrahlung von der Frontseite entstand ein Pegelverlust, der durch nochmals empfindlichere Hochtöner ausgeglichen wurde. Typische Hochtöner dieser Ära können 110dB erreichen. Das muss berücksichtigt werden, wenn man derartige Schallwandler auf der Frontseite an ein 95dB lautes Hauptchassis angleichen will. Leider lässt sich keine allgemeine Regel angeben, wie man diesen Hochtonpegel zähmen kann. Erstens sind die verwendeten Chassis keineswegs gleich, selbst der SABA ist in unterschiedlichen Bauformen mit unterschiedlichen Magneten ausgestattet worden. Zweitens bündeln diese Konushochtöner den Schall, schon geringe Anwinkelung zur Hörposition macht eine andere Kompensation notwendig. Und drittens hängt es sowohl von der Distanz zum Hörer als auch von der Raumcharakteristik ab. Aber ohne Vorwiderstand, der den Pegel des Hochtöners absenkt, ohne den geht es gar nicht.
Redaktionelle Anmerkung II:
Mitte Februar wandte sich Frank E. in einer Email an mich. Er trug sich mit dem Gedanken, eine neue Endstufe zu bauen und liebäugelte mit dem GRANDE. Es stellte sich heraus, dass er ganz in der Nähe wohnt, und so lud ich ihn zu einer kleinen Hörsession ein – als Entscheidungshilfe sozusagen. Ich glaube, die Idee mit der neuen Endstufe wurde schon an diesem Abend verworfen 🙂 …
Mein Freund Meinolf Stute hat sich auf die Restaurierung von HiFi-Equipment spezialisiert und im Laufe der Jahre viel Wissen und Erfahrung in Sachen Vintage-Plattendreher erworben. Wenn Meinolf von einem Buch zu diesem Thema nicht nur angetan, sondern geradezu begeistert ist, muss es sich um ein ganz besonderes Werk handeln. Meinolf beschreibt das sehr eindringlich auf seiner website www.ms-vint-audio.de.
Er bittet mich nun, zur Verbreitung seiner Buchrezension und damit des Buches beizutragen, indem ich seinen kompletten Beitrag in diesem Blog nochmals veröffentliche – eine Bitte, der ich gern nachkomme.
Hier Meinolfs Buchbesprechung:
Kennen Sie das Buch „Schweizer Präzision“ in der 3. Auflage?
Eckdaten:
– 962 Seiten geballte Information
– Ausgabe in 2 Einzelbänden
– 1870(!!!) Abbildungen in höchster Qualität
– Druck und Bindung: exzellent
– Preis: 198 Euro zzgl. Versand (Stand vom 25.3.2019)
Falls nicht: Sie verpassen etwas Bemerkenswertes!
Selten hat mich ein Fachbuch dermaßen beeindruckt, wie die 3. erweiterte Ausgabe des mittlerweile zweibändigen (!!!) Werkes von Joachim Bung.
Der Autor schreibt hier mit ganz, ganz viel Herzblut und hat eine schier unglaubliche Menge an Originalmaterial, Prospekten, historischen Aufnahmen …. zusammengetragen.
Alleine das lohnt die Anschaffung!
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Doch der Reihe nach:
nach dem Erscheinen im Februar 2019 habe ich umgehend bestellt und war über die nette Kommunikation überrascht. Da sitzt jemand auf der anderen Seite des Netzes, der ausgesprochen persönlich und freundlich seinem Gewerk und seiner Passion nachgeht.
DHL machte der ersten Zustellung einen Strich durch die Rechnung, der uns beide verärgerte. Aber unbeeindruckt – und unbeschädigt – stellte Herr Bung den Schuber auf eigene Kosten(!!) erneut zu. Toll!! GLS lieferte dann auch schnell und korrekt, aber das ist eine andere Geschichte …
Wie üblich, habe ich erst mal „diagonal“ gelesen, das aber ganz schnell eingestellt, weil das umfangreiche Werk das ruhige und schrittweise Lesen verlangt.
Es lohnt sich, den Text zu „schlemmen„, so fein ist er geschrieben.
Und es ist nicht nur eine historisch wertvolle und vermutlich komplette Abhandlung des professionellen Schallplattenspielerbaus, sondern eine Abhandlung über die weltumspannende konkurrierende Bauweise des Musikwiedergabegerätes, das sich bei uns schlicht Plattenspieler nennt.
Während des Lesens kommt dann etwas ins Spiel, was mich fasziniert:
Joachim Bung gelingt es, durch persönliche Interviews und Kontakte die Schlüsselgrössen der weltweiten Plattenspielerentwicklung lebendig werden zu lassen.
Es ist eine Hommage an Personen wie die Familien Thorens, Sudgen, Steidinger, Franz, etc…..
Schier unglaubliche Mengen an Originalmaterial, eine herausragende Reproduktionstechnik und eine feine Satztechnik machen das Riesenwerk zu einem zeitgeschichtlichen Dokument, das ich nur wärmstens empfehlen kann.
Eine excellente Fadenbindung und Hardcover im Schuber sichern diesen Schatz!
Der Preis mag auf den ersten Blick „ordentlich“ sein, auf den zweiten Blick würde ich „Schweizer Präzision“ als ein Schnäppchen riesigen Informationswertes bezeichnen, das sich schnell zu einem Standardwerk mausern wird.
Wer also alles über die Geschichte des Schweizer Plattenspielers und seiner Mitbewerber kennenlernen und wissen will, ist hier bestens aufgehoben.
Es ist kein alleiniges Werk über Thorens, es ist viel, viel mehr!!
Mehr möchte ich aber nicht verraten, sondern ehrlich neugierig machen.
Für mich war es erhellend, wie sich das eigene Forschen und Restaurieren rund um die verschiedenen Antriebsarten der Thorens Spieler und anderer Laufwerke in diesem Buchband nachträglich (!!) komplett erschließt.
In meinem erweiterten Audio-Freundeskreis geht ein Virus um: man beschäftigt sich wieder mal mit dem Darling, einem Verstärker mit der amerikanischen Sende-Triode 1626 (VT-137). Die erblickte das Licht der Welt ca. 1939 und wurde produziert bis 1966. Das amerikanische Militär setzte sie im Küstenfunk ein.
1998 erschien im amerikanischen Magazin Sound Practices ein Artikel von Bob Danielak, in dem er seinen Entwurf eines Audioverstärkers mit der 1626 als Endröhre vorstellte. Danielak dürfte zu den ersten gehören, die solche Versuche unternahmen. Seine Schaltung war sehr spartanisch: so nutzte er beispielsweise für beide Audiokanäle gemeinsame Kathodenwiderstände und -kondensatoren. Dennoch glänzte die 1626 mit überraschend guten Audio-Eigenschaften.
Ungezählte Bastler bauten diesen Winzling von Verstärker nach und schrieben die Schaltung fort. Eine im deutschen Sprachraum gut bekannte Version stellte Johannes LeBong 2004 vor. Sein damaliger Aufbau gefiel mir auch durch sein Äußeres, was mich dazu bewog, mein Gerät ganz ähnlich zu gestalten. Das folgende Foto und die Röhren sind alles, was von meinem ersten Darling übrig geblieben ist:
Oft hab ich dem Schächtelchen nachgetrauert, das ich zugunsten anderer Projekte nach ein, zwei Jahren wieder auseinandernahm. Als dann im Herbst 2018 in Gesprächen mit einem Freund vermehrt das Thema Darling aufkam und dieser schließlich gar an einem Darling arbeitete, gab’s für mich kein Halten mehr. Selbst bei Segschneider rannte ich damit offene Türen ein: er hatte da ein Plänchen in der Schublade liegen …
Vorüberlegungen
Die folgenden Forderungen verband ich mit meinem Projekt
gefälliges Äußeres, Schaugerät mit DIY-Holzgehäuse
Der Aufbau
Mein Ehrgeiz gebot mir, ein passendes Holzgehäuse für den Darling selbst zu bauen. Im Herbst 2018 legte ich mir – nicht nur deswegen – eine Tischkreissäge zu. Im Winter hatte ich dann Gelegenheit, erste Erfahrungen mit der Maschine zu sammeln und langsam meine anfängliche Scheu, keinesfalls aber meinen Respekt vor dem Teil abzulegen.
Die Gehäuseteile sollten auf Gehrung geschnitten werden. Wie man das macht und dann auf einfache Weise vier mit Gehrungsschnitten versehene Holzteile zu einem Rechteck zusammenbaut, ist recht eingängig beschrieben im YouTube-Channel „Let’s Bastel“ von Michael Truppe. Seine Art der Präsentation ist manchmal ein bisschen überdreht, aber sehr unterhaltsam. Es lohnt sich, das Video zum Thema Gehrung („PERFEKTE Gehrungen mit JEDER Tischkreissäge“) mal anzuschauen.
Herausgekommen bei mir ist dies:
Die eingelassene 3mm-Aluplatte hat ein Freund nach meinem Entwurf bei einem seiner Bekannten schneiden und bearbeiten lassen können. Das geschah per CAD mittels Wasserstrahlschnitts. Ist immer gut, wenn man einen kennt, der jemanden kennt …
Auf dem nächsten Bild sieht man, dass ich die Aluplatte nicht wie ursprünglich geplant eingeklebt, sondern an zwei Aluwinkel links und rechts geschraubt habe. Dafür nutzte ich Bohrungen in der Aluplatte, die ich für die Distanzbolzen der Siebketten-Platinen eh brauchte. Das schien mir die eleganteste Lösung zu sein:
Die kleine Blechfeder stellt später die elektrische Verbindung zur leitenden Innenverkleidung der Bodenplatte her:
Die Bodenplatte besteht aus 10mm starkem MDF. Die Innenseite habe ich mit einer Wärmeschutzfolie aus der Autoindustrie beklebt. Das ist ein Kunststoff-Glasfaser-Gewebe, das einseitig mit Alufolie belegt ist. Wichtig ist mir die abschirmende Wirkung des Aluminiums. Deshalb auch die Kontaktfeder im obigen Bild. Die Bodenplatte:
Die Unterseite der Bodenplatte ist mit drei dämpfenden Gerätefüßen versehen. Sehr zu empfehlen!
Nun zum Innenausbau. Für den habe ich mir fix ein Untergestell gezimmert, um das Gerät gefahrlos auf den Kopf stellen zu können:
Das nächste Foto zeigt die Gleichrichter-/Ladeelko-Platine und die beiden Siebketten-Platinen, die schon an ihrem Platz sind. Es fehlt noch die unmittelbare Peripherie rund um die Röhren:
Die Platinen sind identisch mit den im Zusammenhang mit der PL82-Endstufe beschriebenen, lediglich die Längswiderstände in den Siebketten sind auf die Erfordernisse des Darling hin berechnet.
Man sieht im obigen Bild recht schön, dass die beiden 1626-Heizungen mit Widerständen symmetriert werden. Die Heizungen der Vorröhren PC86 hingegen habe ich hintereinandergeschaltet, deren gemeinsamer Leiter liegt an Masse. Die PC86 benötigt für ihre Heizung 3,8V bei 300mA, zwei davon in Reihe brauchen 7,6V/300mA. Die Heizwicklung 6,3V/1A des Netztrafos liefert bei Belastung mit lediglich 300mA genau 7,4V – damit kann ich glücklich leben!
Die Kanalmodule sind auf einer selbstgeätzten Leiterplatte mit Lötinseln frei verdrahtet:
Gesehen hab ich das vor mehr als 40 Jahren in einem Elektronik-Bastelbuch – ich glaube, es war aus dem Telekosmos-Verlag, verfasst von Heinrich Stöckle und hieß „So baut man eine Schaltung auf“. Schön, wenn einem zur rechten Zeit solche nützlichen Erinnerungen kommen!
Die Kanalmodule im eingebauten Zustand – die Koppel-Cs liegen absichtlich nahe der oberen Platinenkante, damit man sie schnell austauschen kann:
Hier der Spaß nochmal aus der Nähe … :
… und schließlich die Totale:
Ach – ehe ich’s vergesse: das Endergebnis:
Hinten mittig der Netztrafo von RONDO Müller, R3-0044-0012. Die Daten:
Die beiden Ausgangstrafos hatte ich noch im Bestand: zwei gute 10k:4-Typen, die ich mit Schnittbandkernen versehen habe.
Vorläufiges Fazit
Das Gerät ist eine Augen- und Ohrenweide. Jetzt freue ich mich, nach all den „black boxes“ auch mal ein Schaugerät gebaut zu haben.
Das Isolierpapier der Ausgangsübertrager werde ich schwarz verkleiden. Das Netzkabelprovisorium muss ich noch abstellen: ich will eine kleine Huckepackplatine mit Mikro-Netztrafo, Diode und Elko und einem Mini-Relais aufbauen, mit deren Hilfe ich die Ein-/Ausschaltung der Netzspannung mit einer kleinen Steuer-Gleichspannung vornehme.
Mein Darling hat auf Anhieb sehr, sehr angenehme klangliche Eigenschaften, muss sich aber sicher eine Weile einlaufen. Die WIMA-Koppelkondensatoren sollen bald gegen PIOs (paper in oil-Kondensatoren) ausgetauscht werden.
Danke
Segschneider für das Schaltungsdesign und fürs Anfeuern
allen meinen Audiofreunden fürs Daumendrücken, dass ich mir keine Finger absäge!
Ständig suche ich nach interessanter Musik, die ich noch nicht kenne. Bei der Sucherei kommt nicht immer was heraus, aber wenn doch, lohnt es sich vielleicht, die Funde zu dokumentieren. Ich will nichts versprechen, aber doch versuchen, eine neue Rubrik zu installieren, um meine kleinen Entdeckungen zu teilen. Mal sehn, was draus wird …
Pokey LaFarge and the South Side Three
Diesen Künstler und seine Band entdeckte ich im Blog retro vintage modern hifi. Dort fand sich ein Weihnachts-Thread mit einem eingebetteten YouTube-Video, in dem LaFarge in einer Stadtbahn das ziemlich abgedrehte Weihnachtslied „Mele Kalikimaka“ performt. Das war so lustig, dass ich mich fast weggeschmissen hätte. Ich wollte dringend mehr über die vier amerikanischen Jungs wissen, die sich nach etwas Recherche auf Spotify und YouTube als in der Wolle gefärbte Roots-Musiker erwiesen. Viel Spaß mit dem Video!
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Punch Brothers
Auf die fünfköpfige Band um den Mandolinisten Chris Thile wurde ich aufmerksam durch Berichterstattung im Deutschlandfunk Kultur aus Anlass eines Auftritts der Punch Brothers in der Elbphilharmonie in Hamburg. Ich tat, was ich immer tue, wenn mir interessante Musik unterkommt und streifte durch YouTube, Spotify und wikipedia, um Informationen und Musikeindrücke aufzusaugen.
Die Punch Brothers haben ihre Wurzeln im Bluegrass, daher auch die Instrumentierung Mandoline, Banjo, Fiddle, Gitarre und Bass. Die fünf verschmelzen den Bluegrass allerdings mit Elementen aus Jazz, Rock, Pop und Klassik und gehören so wohl zum progressiven Flügel der Bluegrass-Szene. Alle Musiker sind absolute Virtuosen. Wie die filigranen Melodieläufe der einzelnen Instrumente ineinandergreifen, ist atemberaubend.
Chris Thile ist nicht nur ein begnadeter Mandolinist, auch seine gesanglichen Fähigkeiten versetzen in Erstaunen. Das nachfolgende Video zeigt allerdings ein instrumentales Stück – bei Interesse lohnt es sich, einen kompletten Auftritt der Punch Brothers anzusehen .
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Sarah Jarosz
Wikipedia schreibt:
Sarah Jarosz (* 23. Mai 1991 in Austin, Texas) ist eine Singer-Songwriterin traditioneller US-amerikanischer Musik.
Ich muss gestehen: sehr viel mehr als das weiß ich noch immer nicht über diese Künstlerin. Aber eins weiß ich: sie hat eine grandiose Stimme!
Immer wieder bin ich überrascht, wie passgenau mir Spotify am Anfang jeder Woche eine persönliche Playlist auf Grundlage meiner gehörten Musik zusammenstellt. Faszinierend, aber auch beängstigend … Na ja, vor ein, zwei Wochen hörte ich so als background-Berieselung meine neueste Playlist, da taucht plötzlich diese Stimme auf! Ein Dylan-Cover – Simple Twist of Fate – viele Male schon gehört und nun so! Das altbekannte Ding erstrahlt in einem ganz neuen Glanz, also hingejumpt zum Rechner und nachgeschaut: Sarah-wer? Sarah Jarosz – nie gehört!
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Eine von Segschneider und mir gern eingesetzte Vorröhre ist die Pentode 5654. Sie hat viele kompatible Schwestern – EF95, 6AK5W, M8100, CV4010, 5591, 6Ж1П, 403B … – als Triode beschaltet steckt sie als Vorstufenröhre in einigen unserer Endstufen und schiebt solche Endröhren wie EL95, EL84 oder EL34 (im GRANDE) an.
Die kleinen konstruktiven Abweichungen zwischen den Röhren-Geschwistern unterschiedlicher Hersteller führen zu hörbaren Unterschieden in der Wiedergabe. Das versetzt uns in die Lage, unsere Anlagen persönlichen Vorlieben entsprechend klanglich fein einzustellen.
Als ich ihn daraufhin bat, seine Höreindrücke von verschiedenen Vorröhren aus der 5654/EF95-Familie zu dokumentieren und daraus einen Beitrag für das Audionisten-Blog zu machen, wusste ich also: er hat Hörerfahrung sowohl als an sehr verschiedenen Genres interessierter Zuhörer, als auch als vielseitiger Musiker, kann musikalische Höreindrücke versprachlichen und scheut sich auch nicht, sich urteilend zu äußern.
Er nähert sich den Testlingen auf seine ganz eigene Weise und unvoreingenommen. Er hebt bei jeder Röhre zuallererst deren positive Eigenschaften hervor. Er beschreibt das, was er hört, überhaupt nicht in HiFi-Sprech, sondern findet wunderbare sprachliche Bilder, die dem Vokabular des Musikers entstammen und nicht dem des Audiofreaks. Er stellt keine Rangliste auf, aber liest man zwischen den Zeilen, begreift man, wo seine Präferenzen liegen.
Michael Münch war so großzügig, für mich seinen „Heiligen Gral“ an 5654-Vorröhren zu öffnen und einige audiophile Kronjuwelen auf eine Reise in schwäbische Gefilde zu schicken. Mich hat’s riesig gefreut. So konnte ich auf meiner neuen EL34 Grande Endstufe nicht nur Rock’n rollen, sondern auch Tube’n rollen.
Mancher wird fragen: was soll das? Unterschiede zwischen Röhren heraushören zu wollen, die auf dem Datenblatt wie ein Ei dem anderen gleichen? Die Frage ist berechtigt. Wer konservierte Musik hört, um sich an einem bestimmten Musikstück zu erfreuen, braucht einen gewissen Grundwasserspiegel an High Fidelity, jedoch ob klangliche Färbungen ein wenig in diese oder jene Richtung gehen, ist unerheblich. Wenn ich beispielsweise den Aufbau eines songs, den ich genial finde, heraushören will, spielt der Klang der Röhre keine Rolle, es zählt die Komposition. Ebenso für den, der sich eine schöne Melodie in den Ohren zergehen lassen, die Aufführungspraxis eines Dirigenten oder die Interpretationsweise eines Streichquartetts anhören möchte. Mache ich selber Musik, streame ich meine »Mitspieler« von einem iPad auf einen gar nicht so schnöden Ghettoblaster und habe Freude am gemeinsamen Spiel. Betätige ich mich indes als Audio-Bastler, werden die klanglichen Geschmacksknospen enerviert und die Unterschiede von Konstrukten und Bauteilen bewusst gehört. Gar erdreiste ich mich zuzugeben: ja, ich höre dann nicht nur Musik, sondern auch Anlage, auch wenn ich gegenüber der Aura des hehren Musikliebhabers einen Tabubruch begehe. Noch schlimmer: selbst bei Konzerten kann ich es nicht lassen, den jeweils eigenen »sound« des Aufführungsraums herauszuhören. Ich schätze die Musik, habe aber auch Spass an solchen »Nebensächlichkeiten«, die für mich unverzichtbarer Teil des Ganzen sind. Ob sich ein Konzert gut anhört, hängt eben nicht nur von den Musikern ab, sondern auch davon, wie die Musik bei mir ankommt. In diesem Sinne also nun zum Vergleich der Kron- bzw. Röhren-Juwelen.
Zum Mitspieler in der Endröhren-Sektion erkor ich die S4A EL34, ein russisches Svetlana-Derivat. Und zwar deshalb, weil diese Röhre analytisch wiedergibt, – auf eine überraschend sympathische Weise. Will sagen sie kokettiert nicht mit ihrer Detailfülle, gar um den Hörer mit überbetonten Feinheiten in Erstaunen zu versetzen. Vielmehr bringt sie ihm die Musiker näher, macht sie zu »Freunden«, als wollten sie sagen: „Hey, ich spiele für dich!“ Zugegeben, man muss mit ihr erst warm werden, und sie muss sich warm laufen dürfen. Diese charmant direkte russische Lady bzw. Lampa braucht Eingewöhnungszeit, sonst könnte allzu schnell der Eindruck entstehen, sie hätte einen »harschen« Umgangston. Auch im Umfeld müssen kongeniale Partner mitspielen, von der Quelle bis hin zu den Lautsprechern. Betätigt sich z.B. in der Vorröhren-Abteilung ein etwas ungeschliffener Typ, gerät das Ganze ins Wanken, d.h. irgendwelche Unarten werden unnachsichtig hervorgekehrt. Umgekehrt kann sie einem Edelstein den letzten Schliff geben und ihn zum Funkeln bringen.
Western Electric WE 403B
Sind Sie schon mal in einem Cadillac gefahren? Nee? Ich auch nicht – oder doch? Da halte ich sie in meinen weißen Baumwollhandschuhen: die kleine amerikanische Röhre, die auf den großen Firmennamen „Western Electric“ hört. Obwohl das Hauptgeschäft von WE in der Telefonie lag, gilt das Chicagoer Unternehmen als die »Brunnenstube« der High Fidelity. Ich wiege sie in der Hand und will sie erst gar nicht in den Verstärker stecken, so attraktiv prangt mir der chromgelbe Relieflack mit der Aufschrift entgegen, ein bisschen Cadillac eben.
Mit ihrem Grundcharakter hält diese Röhre nicht lange hinterm Berg, sie zeigt, wer sie ist und was sie hat. Ihr Auftritt ist ein eigenständiger: würdevoll, getragen, nobel, – sofort ist klar: eine Repräsentantin der High Society in der High Fidelity. Die Grand Dame der gepflegten Musikwiedergabe gibt sich distinguiert, zuweilen auch eine Prise distanziert, jedoch durch und durch integer.
In musikalischen Spannungsbögen hält sie die Noten dicht aneinander. Die Bewegungen der Töne vereinen sich zu einem zusammenhängenden musikalischen Fluss. Stimmführungen wahren sich ihren Freiraum, legen Wert auf Eigenständigkeit, zum anderen begeben sie sich im Kanon mit den anderen Stimmen auf eine gemeinsame musikalische Reise. In großer Selbstverständlichkeit spielen sie einander in die Hände und wissen um die Verantwortung für das Ganze des musikalischen Geschehens.
In der dynamischen Entfaltung fällt die Dichte der Verläufe auf, hier gibt es keine unbegründeten laut-leise-Sprünge, kein hektisches Herumhüpfen in Pseudo-Betonungen, erst recht keine loudness-Effekte. Ertönt Klavierspiel, schwingen nicht einzelne Saiten für sich, sondern bleiben Teil eines ganzheitlichen Klangkörpers. Bei Bachs berühmter Toccata (in diesem Fall senza Fuga gehört) bewahrt die kleine große Dame aus Chicago den tiefen Raum der Kirche und verweigert jede unangebrachte Vordergründigkeit. Gleichzeitig stellt sich eine gewisse Gelassenheit ein, ein laid-back Gefühl, nicht im Sinne einer zurückgelehnten, scheinbar lässigen coolness, sondern eher das einer feierlichen Ruhe.
Gehen wir dem tonalen Spektrum nach, tritt immer wieder die locker federnde Wucht der Tiefen hervor. Der Bass als Fundament der Musik wird hier ernst genommen. Im Bereich der Mitten schält sich mit zunehmender Dauer eine besondere Ausstrahlung der Stimmwiedergabe heraus: fein nuanciert, variantenreich, auch leise Stimmungsschwankungen noch zur Geltung bringend, Verborgenes andeutend. Man muss über seine Erwartungen an eine gute Stimmwiedergabe hinweghören, um nicht nur die Stimme, sondern den Sänger zu entdecken.
Nicht verschwiegen werden darf, dass da ein Zungenschlag mitschwingt, der dem Klangideal, wie man es auf Schallplatten der 50-60er Jahre oder vermutlich noch früher hören kann, entspricht. Das mag dem einen ein willkommener Synergieeffekt sein, dem anderen ein leicht unangenehmes, wie man im Schwäbischen sagt, »Gschmäckle«.
Die Western Electric ist eine Röhre, die ihre Reize nicht ins Schaufenster stellt, sondern sich erst einmal diskret zurückhält. Erst nach und nach gibt sie ihre musikalischen Reize preis. Eine Röhre nicht für Gourmets, sondern für Leute, die in einer nicht perfekten Welt mit ihrer nüchternen Alltäglichkeit einen unaufdringlichen musikalischen Glanz als Balsam für die Seele empfinden.
Oder sagen wir es etwas handfester: für uns Mopedfahrer handelt es sich hier nicht um einen hochdrehenden »Yoghurtbecher« ala Kawa Ninja, sondern um eine cruisende Harley Electra Glide, – die freilich auch einen Gasgriff hat und Drehmoment die Fülle mobilisieren kann. Und für die Automobilisten: nicht Heizen mit einem brüllenden Saugmotor ist angesagt, sondern elegantes Cadillac-Fahren.
RCA 5654 command
Bei der Konstruktion dieser Röhre stand im Lastenheft der Ingenieure, sie für den Einsatz im Aufklärungsflugzeug Lockheed U-2 fit zu machen. Dazu musste sie die entsprechenden Beschleunigungskräfte, Erschütterungen, Unterdruck und Minusgrade in 20 km Höhe aushalten. Wir haben es also mit einem robusten „Navy Seal“ unter den Röhren zu tun.
Lässt man eine Röhre, die man nicht kennt, zum Hörtest antreten, schwingen im Hintergrund gewisse Befürchtungen mit. Werde ich ihr gerecht werden? Oder klingen sie nicht doch alle irgendwie gleich? Und tatsächlich, die ersten Töne verunsichern mich, ich höre nicht, was hier anders sein soll? Musik bleibt Musik, so oder so. Doch gemach. Ich muss nichts hinein interpretieren, nicht herumphantasieren. Ich muss ihr nur Raum geben, sie soll sich selbst entfalten, und sie soll sich auch selbst interpretieren. Ich bin lediglich ihr Zuhörer. Also bekommt sie Zeit, spielt sich hinein in verschiedene musikalische Genres, zeigt, wie sie auf verschiedene Passagen reagiert, was sie aus der Partitur der Aufnahme macht. Keine Sorge, sie wird mir sagen, wer sie ist und was sie kann, sie muss nur spielen und ich hören.
Ich taste mich vor, bemerke als erstes eine gewisse Farbigkeit, nicht schlecht, okay, aber was noch? Präsenz ist das nächste Stichwort, die Musiker lösen sich heraus und kommen nahe, auf eine natürliche Weise, ohne übertriebene Konturierungen. Zunehmend erkenne ich, wie diese Röhre eine Art Sinn fürs Wesentliche entwickelt. Doch das Wie ist entscheidend. Sie versteht darunter eine »vertikale« Gliederung der Musik, bringt rhythmische Strukturen eher auf den Punkt als ausgespannte Bögen. Einzelne Ensemblemitglieder erheben sich von ihren Plätzen und treten einen Schritt auf den Hörer zu. Ein Folge nicht von anspruchsvoller Feingeisterei, sondern eines unmissverständlich plakativen statements. Das ist es, was diese Röhre ausmacht, und damit versteht sie es, einen enormen Spaßfaktor zu erzeugen. Und das zieht sie durch: anhaltender Wohlklang bis ins Pianissimo ist die Devise. Man spürt es beim Klavierspiel: nicht knochig-markante Anschläge, sondern die schmeichelhaften Seiten der Saiten sind das Ihre.
Dass sie in den Höhen etwas großzügig mit den letzten Fitzelchen an Details umgeht, verzeiht man ihr gerne, Erbsenzähler finden woanders Betätigungsfelder. Stimmen erfahren keine Sonderbehandlung, sie werden quasi als Instrumente betrachtet, – ein Schuss Intimität und Persönlichkeit wäre hier nicht verkehrt. Bahnen sich im Musikstück Tutti-Stellen an, schaltet mein Gehör automatisch auf Auflösungs-Sensibilität um, aber da muss die Nachfahrin der Radio Corporation of America leider passen, das ist einfach nicht ihr Ding. Soll ich mich darüber echauffieren, dass hier so einiges ineinander verschwimmt? Lieber nicht, denn ich habe es nicht anders erwartet. Mir dünkt, diese Röhre wurde einstens nicht für highendige Musik-Enthusiasten gebaut. Sie regt den Körper an, nicht den Kopf. Sie will zum Mitsingen und Mitswingen animieren, Melodien zu Ohrwürmern machen, einfach Menschen mit Musik fröhlich stimmen. Und das kann sie!
Mullard CV4010
Merkwürdig, was ist das für eine Röhre? „Valve Electronic“ steht auf der neutralweißen Verpackung – ist das eine Marke oder soll das heißen: diese Röhre ist eine Elektronenröhre, was ich ihr glaube. Ich lerne mit unbeantworteten Fragen zu leben, anders ausgedrückt: bin zu ungeduldig, schon wieder das web zu bemühen, um herauszufinden … will lieber hören. Ich öffne das Kartönchen und stoße auf einen Papierzylinder, da scheint sie drinzustecken. Doch die Schwerkraft ist zu schwach, ihr Hallo sagen zu können, sie will nicht raus. Wie kann ich nur das Seidenpapier entfernen, ohne es einzureißen? Ich nehme eine Pinzette und schaffe es mit einen quasi-chirurgischen Eingriff, die kleine Pretiose zum Vorschein zu bringen.
Nach warming-up wird mein Ohr beim ersten Hinhören auf Instrumente gelenkt, die mir ansonsten nicht gleich auffallen: die Percussion-Familie. Dass eine HiHat derart saftig aufspielen kann, wo sie doch mit »zig, zig, zig« bei Pop oder »esch, esch, esch« bei Metal eher dem durchgängigen groove, fernab von jedwedem klanglichem Pomp, dient. Aber hier gewinnt sie an Form und Farbe. Die dünn registrierte, einstimmige Hammondorgel aus dem Hintergrund spielt wie auf einem fliegenden Teppich, zieht eine transparente Ebene ein, die dem Stück etwas Schwereloses verleiht. Gleicht die Musikwiedergabe ansonsten einem Relief, schafft dieses Röhrchen musikalische Skulpturen. Und was für welche! Sie sind von nichts als Luft umgeben, ohne abträgliche, wenn auch nur kleine Artefakte, ohne deplatzierte Eingriffe, ohne tonales »Grundrauschen« von Mitspielern. Damit ist es heraus, was diese electronic valve, oder wer immer sie sein mag, ausmacht: ein phänomenales Profilieren von Instrumenten und Stimmen.
Hören wir weiter. Wie steht’s mit der Rhythmik? Wer denkt, die Kräfte dieser Pentode würden sich überwiegend auf ihre Koloratur auswirken, der irrt. Sie kommt rhythmisch völlig ausgeschlafen daher, so putzmunter, dass man sich ihrem drive kaum entziehen kann. Doch nicht hitzköpfig stürmisch, sie weiß sich zu beherrschen, rennt nicht einfach übermütig davon. Ja, sie treibt engagiert voran, aber lehnt sich gleichzeitig entspannt zurück. Diese Melange macht es aus, gezielt auf den Punkt zu spielen und dabei locker zu bleiben. Ich gönne mir die Freude, einfach mal eine Weile nur dem Rhythmus zu lauschen. Ihr selbstverständliches Pulsieren bleibt nicht in der Anlage stecken, sondern bringt Hörraum und Hörer in Bewegung. Selbstverständliches wird zum Besonderen: der backbeat auf der snare klingt nicht nach Schlag auf Fell und rim, sondern als rhythmischer Ton mit Volumen. Und da wären wir wieder: die Percussion tönt und singt.
Kommen wir zur Königsdisziplin: Stimmen. Um in eine noch unbekannte Komponente hineinzuhören, ziehe ich gerne Jazzstimmen zu Rate, ganz einfach deshalb, weil sie eine Menge Ausdrucksformen bieten. Dabei denke ich weniger an Bigband Arrangements als vielmehr an kleine Besetzungen, manchmal auch Kammer-Jazz genannt. Schnell stellt sich heraus: in diesem Genre sind wir auch bei der Königsdisziplin unserer kleinen Unbekannten, hier ist sie ganz in ihrem Element. Stimmen mit dem jazz-obligatorischen Rauchanteil zeigten ganz unterschiedliche Färbungen und Akzentuierungen, von silbriger Leichtigkeit über anthrazit getönter Sonorität bis hin zum fragil brüchigen Hauch, der sich gerade noch über dem Nichts halten kann. Wenngleich sich Röhrenverstärker ohnehin schon kontrastreich und impulsiv anhören, wird hier noch eine Schippe drauf gelegt. Aber mit Herz und Verstand: selbst ein Forte vermag zu berühren, ohne dass man dessen schnelles Ende herbeiwünscht, weil es nervt. Die Unnachahmlichkeit der Stimmen, die Unverwechselbarkeit der Sänger, dieses gesamte stimmliche Portfolio wird dem Hörer mit freundlicher Geste, aber unabwendbar entgegengebracht. Er braucht nur zuzugreifen, – ja, es ist mehr als nur zuhören.
Jedes Instrument wird wertgeschätzt, bekommt seinen eigenen Platz. Hier wird nicht zwischen Solisten und Mitspielern unterschieden, hier spielen nur Solisten zusammen, freilich ohne solistisches Pathos. Die Harfe im Hintergrund, die Becken des Schlagzeugs, die background-Sängerinnen, alle haben einen gleichrangig hohen Stellenwert, zeigen Persönlichkeit und Ausdruck. Auch ihnen wird der Raum frei gemacht, sie dürfen jene Luft atmen, die sonst nur den Frontleuten gehört. Das Gleiche gilt sodann für die gespielten Musikstücke an sich, selbst Titel, die ich bislang nicht so mochte, gewinnen an Sympathie.
Doch keine Rose ohne Dornen: wo es ein bisschen hapert bei unserer kleinen Schönen, sind die letzten Milligramm an Feinauflösung. Das merkt man bei S-Lauten oder bei großen Orchestern. Schichten sich zahlreiche Stimmen und Instrumente übereinander, wird’s leicht unscharf. Aber dann frage ich mich: welcher Konzertsaal schafft die unbedingte Differenziertheit des Orchesters? Dazu ein vielleicht nicht ganz neutrales Beispiel: im Teatro alla Scala, der Mailänder Scala, gibt es Logen, an deren hinteren Plätzen herzlich wenig von der gespielten Oper ankommt. Dennoch sind die Besucher begeistert. Und das nicht zu unrecht, denn die Loge macht Manches gefälliger: der Ansturm des Orchesters ist gebremst, die lauten Stellen kommen reduziert an, wirken subjektiv sogar feiner aufgelöst; denn nicht jeder will den unmittelbaren Nervenkitzel und am liebsten mitten im Orchestergraben sitzen. Und: schließlich wird ein Orchester als Klangkörper bezeichnet, nicht als Akkumulation von Instrumenten, wie es sich mancher Highender vorstellt, der beansprucht, jedes Instrument für sich hören zu müssen. Wie auch immer, es soll jedenfalls nicht unerwähnt bleiben: wer vorwiegend Musik mit zahlreichen Akteuren hört und seine Freude an der filigranen Auflösung bzw. sein Ohr in diese Richtung sensibilisiert hat, wird mit dieser Röhre nicht rundum glücklich.
Wenn Viktoria Mullova zu ihrer Guadagnini-Geige greift, ist ihr spielerischer Fluss von einer inneren Gespanntheit getrieben, die jederzeit bereit ist, aus den harzig leisen Tönen heraus eine eruptive Attacke zu zünden. Die Tonfarben der bewusst eigenständigen Meistergeige des Stradivari-Schülers hatte ich bislang so noch nicht entdeckt, besonders der Innenraum des Instruments schien neue Klangtiefen hinzuzufügen.
Und zum Schluss wieder die Toccata des Thomaskantors: umwerfend, wie live das rüberkommt! Voller Impulsivität, zarter Ruhe, erschütternder Dramatik, um schließlich auf einem fundamentalen Grundton zu landen. Selbst die leisesten Tönchen haben Verve, Geist, volles Leben und sind integraler Bestandteil eines harmonischen Ganzen, einer Vision, die über die Musik hinausweist. Beim hifiistischen Hören begegnen mir die Bässe wie eine Offenbarung, im differenzierten Schwingen meint man jede Sinuswelle für sich zu sehen. Grandios!
Jetzt interessiert es mich brennend: Mit wem haben wir es hier zu tun? Von welcher Firma kommt die elektronische Valve? Ich bemühe das Netz, werde aber auf die Schnelle nicht fündig. Herr Münch klärt mich auf: ich hätte es wissen können, es ist eine Röhre des vom britischen Captain Stanley Mullard gegründeten Unternehmens, das zunächst Elektronenröhren für die Admiralität entwickelte und später ein Teil des niederländischen Philips-Konzerns wurde.
Raytheon JAN-CRP-5654
Meine nächste Röhre aus den insgesamt über 40 Äquivalenten der 5654 ziert sich nicht lange und gibt sich unmissverständlich zu erkennen: Raytheon JAN-CRP-5654/6AK5W October 1952. Die toughe Dame vom amerikanischen Militär feiert also dieses Jahr (2019) ihren 67. Geburtstag, – und ist immer noch nicht zu alt für Rock’n Roll, kamen in ihrer Teenagerzeit doch die Beatles auf, und Buddy Holly hatte bereits das Zeitliche gesegnet, als sie sechs war.
Nun, setzen wir sie unter Strom und sehen bzw. hören, was da (noch) geht? Sie ahnen richtig: da geht allerhand, als hätte sie die meiste Zeit ihres Lebens im Fitness-Studio verbracht. Muskeln ohne Anabolika, das ist der Traum, – der hier Wirklichkeit wird. Von Veteranin keine Spur, die Wahl zur Miss Valve-Tube 50plus hat sie schon mal gewonnen. Diese Rock-Röhre kennt weder Ruhestand noch Gnade, sie zeigt mancher Miss China (世界小姐中國賽區) im Teenager-Alter, wo der musikalische Hammer hängt. Eine Art female Bud Spencer, die den lauthals herumwirbelnden Kung Fu warrior mit einer finalen Kopfnuss zu Boden streckt.
Wenn wir schon beim deftigen Zugriff sind, lege ich gleich mal die schnauzbärtigen Schweizer Herren von Yello auf, deren Bandname Yello = a yelled Hello, ein geschrieenes Hallo, bereits ein Bekenntnis zu einer nicht unbedingt zart besaiteten Musikgattung darstellt. Auf einem ihrer Top-Alben, „Touch Yello“, konfrontieren die Experimentalmusiker den Hörer mit einer Dynamik-Kollektion, die ihresgleichen sucht. Wenn auch von einem dünnen Digitalnebel überlagert präsentieren sie ultimative Tiefbässe, die crunchige Stimme von Heidi Happy, eine gehaucht morbide Trompete von Till Brönner, schwebende Streichersätze, diverse hoch- bis überpräsente Soloinstrumente – und ganz viel musikalischen Spass. Lässt man die Raytheon mit den Technomusikern zusammenspielen, tun sich zwei Bereiche auf, die das Ohr unverhohlen ansprechen: die sonor eleganten Bässe und die Weiten des Raums. Wer ein Faible für diese beiden klanglichen Parameter hat, findet in der Raytheon einen prädestinierten Kandidaten. Obwohl aus den 50er Jahren stammend wird schnell klar: keine Spur von beschaulichem Fifties-Sound. Unprätentiös, ehrlich und direkt greift die Tube das musikalische Geschehen auf.
Das Bild, das sie zeichnet, ist nicht ganz so skulptural wie das der CV4010, es behält Bodenhaftung, ist fixierter, verankerter. Und immer wieder ist es der Bassbereich, der aufhorchen lässt: wie eine Orgel verfügt er über eine ganze Batterie von Registerzügen, die abwechselnd gezogen werden. Da tauchen unerwartet Tiefenformationen auf, die man weder erwartet noch anderweitig so gehört hat. Doch dieser Bass ist nicht dazu da, einen untergründigen Klangteppich zu bilden, vielmehr schreitet er zielgerichtet voran, ein wahrhaft walking bass, so sauber, als hätte er das Gehen in der Ballettschule gelernt.
Hören wir eine Etage höher: in den Mittellagen kommen mir insbesondere die Gitarren entgegen. Eine unverzerrte Les Paul hat diesen nur ihr eigenen hohl-brillanten Humbucker-sound. Pepe Habichuela und seine Freunde ließen die silbrigen und blutarmen sounds, wie akustische Gitarren oft rüberkommen, gänzlich vermissen. Obwohl gespickt mit percussiver Schnelligkeit betraten Gitarren die Bühne, deren bodies »Bauch« hatten, eine Wucht von unten heraus, die eine neue Qualität des akustischen Gitarren-Genusses schafft. Möglicherweise auch dies geschuldet der außerordentlichen Bassqualität dieser Röhre. In der Energieentfaltung, mit der sie Instrumente ausfüllt und zu wahrhaften Klangkörpern macht, liegt die Paradedisziplin der Raytheon. Dabei verlangt die kleine Musikerin einiges ab, denn die Hörfreude an solchen Qualitäten muss erst aus der Versenkung geholt werden, sie gehören nicht zum üblichen Hifi-Fundus. Aber dann will man immer weiter hören. Es stellt sich jenes Gefühl von Freiheit ein, dass man so Vieles einfach deshalb nicht braucht, weil es nicht wirklich bereichert, sondern stört.
Die Art der Wiedergabe ist zugleich eine Ansage: der Melodiebereich schiebt sich nicht plakativ oder gar vereinnahmend nach vorne. Eine dezente Klarheit ist es, die ihm vernehmlich und vornehmlich zu eigen ist. Der Hörer wird nicht aufgefordert, sich zu erheben und Beifall zu zollen. Hier ist alles in Reih und Glied, jedoch fern jeder leblosen Strenge. Man muss nicht künstlich über Schwächen hinweghören, keine wohlwollende Attitüde gegenüber kleinen Fehlern aufsetzen. Die Dinge sind einfach im Lot; wer mehr Exzentrik sucht, muss woanders fündig werden. Wer jedoch die Röhre für die sprichwörtliche einsame Insel sucht, ist gut beraten, die Raytheon ins Gepäck zu nehmen, – woher er den Strom für den amp nimmt, müssen wir hier nicht klären.
Wie hältst du es mit der Stimme? Ausgehend von Keri Noble und Sara K. muss ich sagen: es ist alles da, was man erwarten kann. Individuelle Stimmfarben, unverwechselbares Phrasing, jene Schwingungen, die den jeweils ganz eigenen vibe ausmachen. Wo das alles nicht so ganz im Gleichgewicht ist, wird diese Röhre zur unbestechlichen Richterin und präsentiert dem Hörer Wahrheiten, die man bisweilen nicht wahrhaben will. Ist die Scheibe gar ein audiophiler Mustersampler, kommen Zweifel auf, ob es nicht doch an der eigenen Anlage liegt. Doch mit anderer software spielt sie dann wieder phantastisch! Lassen wir uns nicht davon blenden, als sei, selbst bei honorigen Firmen, immer das drin, was drauf steht.
Die Nagelprobe, wie eine Röhre oder auch sonstige Komponente, Auflösung und Dynamik vereint, bzw. sie gleichzeitig verkraftet, bilden die mächtigen Orchesterpassagen, an denen der Klangkörper mit all seinen Istrumenten zu einem Fortissimo aufläuft. Hier dürfte jede Audio-Kette in einen Grenzbereich geraten. Aber nicht nur sie, sondern auch das menschliche Ohr einschließlich der nachfolgenden mentalen Verarbeitung. Ob es wohl wissenschaftliche Arbeiten gibt, die den Zusammenhang von Schallpegel und Differenzierungsfähigkeit erforscht haben? Mein Verdacht, den es zu erhärten oder auch zu falsifizieren gilt, ist der, dass beim menschlichen Hören die Auflösung mit zunehmender Lautstärke abnimmt, – möglicherweise sogar eine Schutzreaktion, wer weiß? Auf jeden Fall: diese Grenzerfahrung bleibt auch der Raytheon nicht erspart. Unter solchen Bedingungen sind akustisch gute Konzertsäle, die ebenfalls als eine Form von Wiedergabekette zu betrachten sind, jeder Stereoanlage überlegen. Doch auch sie haben ihre Grenzen, weil sich die Reflexionseigenschaften der Raumelemente bei hohen Amplituden verändern.
Nehmen wir ein Beispiel: Violinkonzerte von Vivaldi mit dem Venice Baroque Orchestra. Es sei kaum möglich, mehr Funkeln und poetische Tiefe aus Vivaldis Musik herauszuholen, heißt es auf dem Cover. Und dem ist so. Wie geht die Raytheon damit um? Sie muss ob diesem musikalischen Feuerwerk mit den Zwischenphasen des dunklen Nachthimmels alles andere als die Flügel strecken. Die wilden, furiosen Elemente verrundet sie ebensowenig wie sie die weitgespannten Bögen abflauen lässt. Wer das alles gelinder im Ohr hat, muss nun die unverblümte Wirklichkeit, mit der hier ungebremst musiziert wird, aushalten. Dass eine Geige ein Stück meisterlich gebändigter Natur ist, die immer noch etwas durchschimmern lässt von der rauhen Wirklichkeit, in der sie einst inmitten einer Sänger-Fichte im Gebirge aufgewachsen ist, kann diese kleine Vorröhre zur Geltung bringen.
Dennoch: sie ist alles andere als eine Show-Röhre, sie ist eine solide Kunsthandwerkerin im Dienste der Musik. Nicht mehr, aber auch kein bisschen weniger.
General Electric JAN 5654W
Einer der Gründerväter von General Electric ist Thomas Edison, der Erfinder der Vorläuferin aller Elektronenröhren, der Glühlampe. Angesichts der heutigen Diskussion um Elektromobilität sollte nicht unerwähnt bleiben, dass GE bereits Ende des 19. Jahrhunderts ein Elektroauto baute, ebenso Hybridfahrzeuge mit einem Vierzylindermotor und zwei zusätzlichen Elektromotoren. Die Herstellung von Röhren scheint eher ein Randgebiet von GE gewesen zu sein, im entsprechenden Wikipedia-Artikel wird sie mit keinem Wort erwähnt. Dagegen begegnete mir das verschnörkelte GE Logo auf Fahrzeugen beim Bau einer nahe gelegenen Windkraftanlage bzw. eines Naturstromspeichers. Oha, da wo es um richtig heftigen Strom geht, taucht er auf, der elektrische Traditionskonzern.
Was hat es nun mit unserer General Electric JAN 5654W auf sich? Wie benimmt sich die kleine Militär-Pentode? Wie ein großer General – oder wie eine universelle Generalistin? Schauen wir mal, die Anlage jedenfalls hat sich inzwischen warm gelaufen.
Dieses Mal fange ich gleich mit den Violinkonzerten von Vivaldi an. Der Komponist, der selbst ein berühmter Geiger war, reizt die Möglichkeiten des Instruments bis zum Äußersten aus. Gepaart mit sprühender venezianischer Lebensfreude und der heiteren Gelassenheit der Serenissima bietet Vivaldi Stoff für Röhrenträume. Um diesen zum Klingen zu bringen, braucht es »Traumröhren«. Gehört die General Electric dazu? Ohne Zweifel, sie vermag Vivaldi mit seinen stürmischen Beben, seiner lebensfrohen Sinnlichkeit und gravitätischen Besinnlichkeit in einer Weise zu übersetzten, die vom Stück selbst vorgegeben scheint. So als ob Vivaldi selbst ins Geschehen eingreifen und sagen würde: „So muss meine Musik klingen“.
Gegenüber der vorausgehenden Raytheon, die direkter spielt, musiziert diese Röhre singender und sinnlicher und verkörpert das, was manchmal mit dem Oberbegriff „musikalisch“ bedacht wird. Solche Qualitäten gehen oft mit Schnelligkeit einher, was wiederum Feinauflösung bedeutet, also auch ein feineres Klangbild mit sich bringt. Die Anmut dieses Spiels nimmt mich derart in Beschlag, dass ich aufhöre zu protokollieren. Es stellt sich so etwas wie bedenkenloses Hören ein, kein Befürchten: wann wird es eng und die Röhre kommt an ihre Grenzen. Tonal driftet nichts weg, die Instrumente werden gehalten, dürfen ihr Potential ausspielen. Da erscheint es müßig, einzelne Merkmale und Details aufzuzählen, so stimmig ist das Gesamtpaket.
Hören wir in die Pop/Rock/Jazz Abteilung hinein: die gesanglichen Qualitäten der General Electric sind den bereits gewonnenen Eindrücken vergleichbar: ein tragendes Singen, ja ein gleichzeitiges inneres Singen schwingt mit. Ein Frequenzbereich, der mit besonderen Leistungen glänzt, sind die Höhen. Sie bilden keine eigene Instanz am oberen Ende, sie wachsen aus der Performance heraus, behalten ihre unverkennbaren Wurzeln im melodiösen Nährboden des Stücks. Überhaupt ist die Integrationsfähigkeit dieser Mini-Tuba eine »class of its own«, sie hält zusammen, was zusammen gehört. Und was wie zusammengehört, da lässt sie sich nicht dreinreden. Eine zweite Dimension, die auf sublime Weise stets präsent ist, bezeichne ich mal als Festigkeit, ein stabiles Fundament, das für eine freie Entfaltung notwendig ist. Ist sie doch fürwahr auf allen musikalischen Parketts ein kleiner Star und bewegt sich zwischen den Statuen der größten Musiker mit tänzerischer Eleganz. Sie lenkt ab von highfideler »Fliegenbeinzählerei«, man kommt sich gar kleinkariert vor, wollte man diese und jene Klangeigenschaft hervorkramen – und müsste sich ohnehin dazu zwingen. Dass Musik unbeschreiblich ist, eine eigene Sprache, die nicht unbedingt in unser gesprochenes Wort übersetzt werden kann, wird von der GE auf eindrückliche Weise vorgeführt.
Was ist sie nun? General oder Generalistin oder keines von beidem? Sie ist beides: General, weil sie einen würdevollen und stoischen Überblick behält, die Zügel in der Hand hat, mit Bedacht und Sorgfalt dirigiert; Generalistin, weil sie auf allen Bühnen dieser Welt zuhause ist, alle musikalischen Sprachen spricht und mit jedem Musiker zusammenspielt.
Voskhod 6Ж1П-EB (= 6ZH1P-EV oder 6J1P-EV)
Wechseln wir die Fronten und hören in die Rote Armee hinein, zumindest in ihr Arsenal an Elektronenröhren. Unsere Voskhod 6Ж1П-EB ist ein Relikt des Kalten Krieges, – ob sie als solches heiße Musik machen kann, muss sie unter Beweis stellen. Gleich ihr erster Auftritt ist entschlossen raumfüllend : »Jetzt komm ich«. Ein musikalisches Bekenntnis Leo Trotzkis? „Ва́ше здоро́вье!“ kann man da nur sagen.
Eine enorme Kraftwelle schiebt sich in den Raum. Nein, kein akustischer Tsunami, sie macht richtig gute Musik. Die Musiker stehen wie eine Eins auf der Bühne und füllen sie akustisch voll aus, das Auditorium ebenso. Eine Röhre, die zweifelsfrei zur herzhaften Fraktion zählt, die Klartext redet und mit nichts hinterm Berg hält. Ob sie auch nach herzhafter Kost verlangt, wird noch zu klären sein. Auf keinen Fall kann man ihr vorwerfen, dass sie etwas vom musikalischen Menü links liegen lässt, da wird aber auch alles aufgegessen, was die musikalische Küche zur Verfügung stellt. Da sind Bässe mit Schmackes, aber gleichzeitig mit Schattierungen und Zwischentönen. Schlagzeugbecken, sowohl ride als auch crash, die frei schwingen und nicht vor sich hin zischeln. Stimmen, die Schwebungen zeigen, bisweilen zartgliedrig und zerbrechlich, aber ebenso ihre abgerundete Ganzheitlichkeit. Selbst Sibilanten werden nicht vereinheitlicht und unterscheiden zwischen S-Lauten und Zischlauten und was dazwischen liegt, man entdeckt, wie selten ein ganz reines „S“ vorkommt. Ein weiteres Indiz ist der Beifall bei live-Aufnahmen, der nicht als das oft gehörte »Gezwitscher« daherkommt, sondern quasi den Hohlraum der Hände mitklingen lässt.
Ein Album hat mich mit dieser Röhre besonders angesprochen: „Johnny Cash, Willie Nelson: Storytellers“, ein live-Mitschnitt („The audience is three feet away, boxing us in, but with friendly faces“). An der Unterhaltung der beiden Sänger hatte ich bislang nicht in dem Maße teilgenommen wie anlässlich der Vermittlung durch die Voskhod. Aus Lebensgeschichten fließen ganz unmittelbar Lebenslieder, z.B. wenn Johnny die Entstehung seines songs „Worried Man“ schildert. Die Jokes zwischen den songs waren nie provokativer und zugleich charmanter. Johnny Cash’s seelenbewegter vibe, Willie Nelsons leicht näselnde Pragmatiker-Stimme zogen einen förmlich in diese Aufnahme hinein, – freilich auch die ehrlichen Texte aus dem Alltag und seinen Ärgernissen, der Erfahrungen des Glaubens und der Liebe. Die Voskhod erwies sich als kongenialer Partner und zeigte, dass sie weiß, sich mit den Unbilden des Lebens herumzuschlagen. Nicht nur die Qualitäten der beiden Sänger werden wiedergegeben, sondern auch die scheinbar fehlenden Qualitäten. Die „road worn“, von unzähligen Touren abgenutzte, etwas flach-dumpf klingende Gitarre von Willie Nelson trägt das Ihre dazu bei. Allein dem Spiel dieser Gitarre zu lauschen ist ein genüssliches Abenteuer. Immerhin spielt Nelson seine „Trigger“, eine Martin N-20 mit Nylonsaiten, seit über 45 Jahren auf der Bühne. Gitarrentechniker umgeben die bereits löchrige alte Dame bei jedem Konzert, um sie am Leben zu halten. Die adäquate heimische Spielpartnerin der „Trigger“ ist die Voskhod, eine harmonische amerikanisch-russische Liaison ohne die geringsten politischen Missliebigkeiten.
Wechseln wir die Bühne und gehen zum klassischen Orchester. Hier musiziert die Voskhod mit ausgeprägter Selbständigkeit. Es scheint so, als lege sie die Betonungen etwas anders als gewohnt, – hat das Orchester den Dirigenten gewechselt? Das mag wohl daran liegen, dass sie aus der Konserve herauszieht und auswertet, was zu holen ist. Instrumente, die ansonsten etwas unterbelichtet sind, mischen hier mit und geben dem Gesamtbild eine umfassendere Note. Aber nicht nur der Eindruck der Bereicherung, sondern auch der der Entreicherung stellt sich ein. Als würde alles, wenn auch nur ganz leicht Aufgesetzte plötzlich weggelassen. Offenbar folgten die Konstrukteure, denen Begriffe wie „Sound Design“ ein suspektes oder gar verhasstes Fremdwort war, nicht irgendwelchen Hörgeschmäckern oder klanglichen Moden. Die Röhre zeigt eine unverstellte Natürlichkeit, mit der Lizenz, sich auf den westlichen Hörer zu übertragen. Man legt Hörattitüden, die man unbewusst mitführte, bewusst ab, weil man jetzt erst merkt, dass sie im Hörgepäck waren. Mütterchen Voskhod entmythologisiert Hörerwartungen, die bislang ganz selbstverständlich und unhinterfragt in klangliche Bewertungen einflossen.
Diese russische Lampa ist eine Autorität, der man nichts vormachen kann. Sie lässt sich nicht am Zeug flicken und behält ihren Charakter unter allen Umständen bei. Man muss sich Zeit geben, um sich in diese musikalische Welt hineinzuleben, – und das kann auch ein bisschen anstrengend sein. Dass wir in der Musik im wirklichen Leben angekommen sind, wird durch ihre Spielweise erlebbar. Der Kalte Krieg ist Gott sei Dank zu Ende, russische Röhren machen »heiße« Musik und zeigen wie High Fidelity geht. Chapeau … äh Респе́кт!
Ericsson 5591
Wer seine Ericsson Aktien um das Jahr 2000 verkauft hat, konnte einen Reibach machen. Seither dümpelt sie auf niedrigem Niveau vor sich hin, weshalb sich der Titel auch nicht als Champion qualifiziert. Ob das für die Ericsson 5591 auch gilt? Hören wir hinein.
Gerade dieses anfängliche Hineinhören entpuppt sich nicht selten als eine gewisse Hürde, denn aufs Erste ist eine Röhre schwer von einer anderen zu unterscheiden. Doch als ich dann das Pariser Konzert von Diana Krall anspiele, beginne ich aufzuwachen. Ihr nonchalanter Livegesang ist es, dieses saloppe Ursprüngliche, mit dem sie mir mit seltener Unverkennbarkeit entgegen tritt. Sie fühlt sich wohl auf dieser Bühne, unter ihren Musikern. Diese werden immer lockerer und spielerischer: das Klavier ist losgelöst, die Töne sind in der Luft; die auf der snaredrum gestrichenen Besen sind empfindsam differenziert; das Vibraphon entlässt sein ätherisches Timbre in den Raum.
Die Ericsson ist keine Röhre, die aufspielt oder gar sich aufspielt, sie brüstet sich nicht, um Aufmerksamkeit einzufordern. Sie ist eine Beobachterin, die nicht mit vorgefassten Meinungen und Erwartungen ins Konzert geht, sondern sich überraschen lässt. Sie will den Hörer nicht von irgendwelchen Qualitäten überzeugen, weder der Musiker noch ihrer eigenen, er soll sich selbst ein Bild machen. Sie lässt ihn in eine musikalische Atmosphäre eintauchen und überlässt ihm die Wahl, ob er in mögliche Sphären abtauchen, abheben will oder auch nicht. Ihre unaufdringliche Authentizität verkörpert eine nordisch nüchterne Eleganz, gepaart mit subtil erlesener Emotionalität. Orchester treten dem Hörer nicht als massive Klangwand entgegen, sie werden großräumig und tiefgreifend aufgefächert. Wer mit hifiistischer Attitüde hören will, wird gleichfalls bedient: die dafür typischen Kennzeichen lassen sich mühelos verifizieren.
Die Charakteristik der Röhre wirkt auf den Hörer ansteckend: ich lasse mich von ihr mittragen und nehme diese Haltung von gepflegter Kultiviertheit an, applaudiere an den dafür vorgesehenen Stellen, nicht weil ich muss, sondern weil ich will. Nordische Landschaften bilden sich ab: weit ausgespannte Hügel, eine Leichtigkeit der Farben, von Seewinden durchflutete und sich wiegende Grasflächen, eine Transparenz, die bisweilen Himmel, Erde und Meer ineinander übergehen lässt. Und in diesem Sinne ist die Ericsson eine moderne Röhre, denn ihr Auftritt spiegelt das Transparenz-Paradigma, das gegenwärtiges Hifi kennzeichnet.
Tonal ist die kleine Schwedin eher auf der schlanken Seite. Selbst Bässe sind sehnig, schnell und zum Staunen tief. Schnelligkeit wirkt sich natürlich insbesondere auf Orchester positiv aus, so dass man sich vor komplexen Stellen nicht fürchten muss: sie werden meisterhaft aufgelöst. Damit einher geht eine enorme Spurtstärke, mit der die Töne aus den Startlöchern kommen: sie sind plötzlich da, mühelos und unbeschwert.
Aufgrund solcher Qualitäten schüttelt die Röhre den Rhythmus förmlich aus dem Ärmel. Der Groove ist auf dem Punkt, schnörkel- und zwanglos. Die Größenverhältnisse der musikalischen Abbildung entsprechen ihrer Wiedergabestilistik: bei großen Besetzungen arbeitet sie die Strukturen des Klangkörper dezidiert heraus; übertragen auf kleine Ensembles heißt das, dass die Einzelinstrumente schon voluminöser zu hören waren und die Band dichter zusammenspielte. Doch diese Note, die Bühnenfläche leicht zu vergrößern, zwischen den Musikern Luft und Raum zu lassen, die Agilität der individuellen Entfaltung zu spüren, macht die Ericsson auf ganz eigene Weise attraktiv. Die Musik drückt nicht in den Raum, sondern steht vor einem, aber mit einer Ausdehnung, die ein eigenständiges Format verkörpert. Gesangsstimmen kommen überraschend voll tönend und werden offenbar von der schlanken Diktion wenig berührt. Die Höhen sind ein Abbild der nordischen Luft, voller Durchsichtigkeit und Gelöstheit. Und immer wieder bestechend ist diese Klarheit. Mögen es manche als einen unüberhörbaren Schuss nordische Kühle bezeichnen, spricht mich mehr dieses Geklärte, Unabhängige, diese freiheitliche Bestimmtheit der Wiedergabe an.
Die Ericsson ist ein Anachronist: wäre sie von heute, könnte sie unter das Verdikt des Ericssonschen Aktienkurses fallen und wäre alles andere als ein Champion; doch sie verbindet gestern und heute, beide Zeiten und Welten – als musikalischer Champion.
Rainer Uhlmann
Über sich selbst schreibt der Autor:
Zum Besuch der Schule fuhr ich täglich in die 12 km entfernte Stadt. Wenn ich frei hatte, zog es mich zu einem Hifi-Laden in der Stadtmitte, mit dem Inhaber entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis. Von ihm kaufte ich meinen ersten Hifi-Verstärker, einen gebrauchten Telewatt, dazu einen Lenco L75. Für sein Verständnis von Hifi war wichtig, dass die Musik in den Mittellagen spielte. Die Box, die ich allen sonstigen Kalibern vorzog, war ein grauer Quader mit einem Ovallautsprecher. Röhren und Breitbänder waren und sind die Eckpunkte, die sich in meinem highfidelen Werdegang durchgehalten haben. Auf der musikalischen Seite gilt mein Interesse so gut wie allen Genres, auch spiele ich selbst verschiedene Instrumente und Stilrichtungen.
Beim Vergleich gehörte CDs:
The Audiophile Sound Of MDG
The Auryn Series XVII – Joseph Haydn String Quartets Vol. 1
Bethany & Rufus – 900 Miles
E. Power Biggs – The Glory of Gabrieli
Johnny Cash & Willie Nelson – Storytellers
Chet Baker – Chet
Getz/Gilberto – Verve Master Edition 1997
Dave Holland, Pepe Habichuela – Hands
In-Akustik – Soundcheck
Jose James – Yesterday I Had The Blues
Diana Krall – Live in Paris
Katie Melua – In Winter
Viktoria Mullova, Guiliano Carmignola, Venice Baroque Orchestra – Vivaldi Concertos for Two Violins