Werkbuch für Jungen – eine Fundgrube des Analogen

Erstmals veröffentlicht im Vorgänger-Blog „der Radionist“ am 15.02.2012

aus: Werkbuch für Jungen © Otto Maier Verlag Ravensburg 1965
aus: Werkbuch für Jungen © Otto Maier Verlag Ravensburg 1965

Ich bin ein Kind der 50er-/60er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Altersgenossen werden es bestätigen können: damals wurde noch viel selbst gemacht. Eine frühe Erinnerung: ich sitze mit meinem Vater am Küchentisch und er hantiert mit der Laubsäge. Was wurde damals nicht alles ausgesägt, danach glattgeschmirgelt, bunt angemalt und lackiert: ich erinnere mich an bunte Schlüsselbretter mit Zwergenmotiven und so ein Zeugs. Dabei war mein Vater handwerklich bestenfalls so mittelbegabt, was ihn aber auch nicht davon abhielt, gemeinsam mit einem Arbeitskollegen (Beamter so wie er) unter Zuhilfenahme von lediglich Hammer, Nägeln, Schraubenzieher, Laubsäge und Kartoffel-Schälmesser eine Weihnachtskrippe zu zaubern, die meine inzwischen verwitwete Mutter nach mehr als 40 Jahren noch immer hütet wie ihren Augapfel.

Wir Jungs bauten damals unsere Drachen selbst. Jeder von uns wusste, wie das ging. Welcher Laden führt aber heute noch Drachenpapier – und wer weiß schon noch, dass man Drachen am besten mit Kartoffelkleister klebt?

mein Exemplar von 1966 - schon arg ramponiert, um nicht zu sagen: verbastelt...
mein Exemplar von 1966 – schon arg ramponiert, um nicht zu sagen: verbastelt…

Entscheidend für viele Dinge, die ich im Leben angefangen habe, war ein Buchgeschenk aus dem Jahr 1966. Da bekam ich mein ersehntes Exemplar des “Werkbuch für Jungen” von Rudolf Wollmann. Dieses Buch erschloss mir bald Technik und Naturwissenschaften.

Das Buch ist toll aufgemacht: es beginnt mit einfachsten Basteleien wie Papierfliegern oder Weidenflöten. Hand aufs Herz: wer kann heute noch eine Weidenflöte schnitzen? (Ich kannte nur einen, der das konnte – das war mein Opa mütterlicherseits.)

Grandios auch der Reckturner – ein schönes Beispiel für die liebevolle Bebilderung des Buchs:

aus: Werkbuch für Jungen © Otto Maier Verlag Ravensburg 1965
aus: Werkbuch für Jungen © Otto Maier Verlag Ravensburg 1965

Weiter geht’s mit Modellen aus der Mechanik (Dampfmaschine!) und Optik (Kaleidoskop, Camera Obscura) über die Einrichtung von Aquarien und Terrarien bis hin zu Geräten aus Elektro- und Radiotechnik. Schließlich gibt’s dann noch Ausführungen zu den Themen Modellbahnbau, Flug- und Schiffsmodellbau sowie grundlegende Kapitel zu handwerklichen Basistechniken.

aus: Werkbuch für Jungen © Otto Maier Verlag Ravensburg 1965
aus: Werkbuch für Jungen © Otto Maier Verlag Ravensburg 1965

Endlich im Besitz des Werkbuchs wurde mir schnell klar: mit den paar alten, stumpfen Werkzeugen, die sich im Haushalt meiner Eltern im Laufe der Jahre angesammelt hatten, war kein Staat zu machen. Da musste unbedingt was besseres her. Und ein ganz dringender Wunsch wurde geradezu zur fixen Idee: ich wollte einen Lötkolben. Natürlich wollten meine Eltern keinen Lötkolben, denn besonders meine Mutter hatte Visionen von Tischplatten mit Brandlöchern… Es dauerte aber nicht lange, da hatte ich so ein unverzichtbares Ding. Damit begann eine lange Bastlerkarriere, die heute noch längst nicht abgeschlossen ist!

Das Werkbuch für Jungen ist sicher ein Auslöser für mich gewesen, mich mit Naturwissenschaften und Technik zu beschäftigen – ein Blick hinein löst nostalgische Gefühle aus.

Nachtrag: Ich besitze mittlerweile eine weitere Ausgabe des besprochenen Buchs, und zwar aus der 10. Auflage von 1953. Außerdem erinnere ich mich daran, dass ich als vielleicht Zehnjähriger in der Stadtbibliothek in Gütersloh noch ältere Ausgaben des Werks ausleihen konnte. In denen fanden sich später weggelassene Baubeschreibungen zu Influenzmaschinen und Funkeninduktoren. Nach solchen Ausgaben suche ich nach wie vor.

Über den Autor Rudolf Wollmann schweigt sich das Internet aus.

aus: Werkbuch für Jungen © Otto Maier Verlag Ravensburg 1965
aus: Werkbuch für Jungen © Otto Maier Verlag Ravensburg 1965

10 Gedanken zu „Werkbuch für Jungen – eine Fundgrube des Analogen“

  1. ich bin Jahrgang 1951, meine Eltern schenkten mir das Buch (im Bertelsmann Lesering, Ausgabe von 1959?) zu Weihnachten 1963? Es war und ist ein heißgeliebtes Buch! Einen Lötkolben hatte ich nicht, konnte deshlab die Dampfmaschine nicht bauen. Dafür baute ich das Gummimotor-Flugzeug, das Segelflugzeug, das ich nie per Hochstart starten konnte, da ich nicht schnell genug laufen konnte, das Motorflugzeug, mit einem Taifun Hobby (1964), der nach dem Einlaufen im Modell nie richtig ansprang– auch war mir der Bau der Tragflächen und das Aufteilen und „schräge Anleimen“ (Schmiegen!) nicht gelungen—. Der größte Traum war das Paddelboot, das ich nicht bauen durfte, jedoch 1965/1966 meine eigene Konstruktion baute und segelte. Das „tragbare“ Radio mit Röhren wurde auch nie realisiert… Das motorgetriebene Kajütboot mit dem Distler Motor aus Balsaholz war mangels exaktem Bauplan (nur im M 1:2 dargestellt, ich hatte keine Idee, die Maße abzunehmen und entsprechend zu multiplizieren) gelang auch nicht. Der Motor ist noch vorhanden..
    Ich habe in den letzten Jahren diverse Auflagen dieses Buches ersteigert, von der 6. über 10. bis wohl zur letzten Auflage ist eine ganze Reihe im Bücherregal vorhanden. Leider haben meine Kinder kein interesse am Basteln… Schade!
    Es gab noch weitere Bücher aus dem Verlag und Baupläne: das Motor-Freiflugzeug Kadett (gebaut Herbst 1964), nie richtig geflogen, Kadett (Bauplan von Graupner) mit einem Taifun Pet, flog weg, kam jedoch dank Adressaufkleber wieder. Dann mein Projekt Selbstbau einer Funkfernsteuerung die auch nie richtig funktionierte und letztendlich teurer war als eine Graupner Funkfernsteuerung… Und dann kam der Amateurfunk mit Selsbtbau, Studium Elektrotechnik, Entwicklungs-Ing. in einer Firma für Funktechnik bis zum „Hobbyforscher“ sprich wissenschaftlicher Mitarbeiter beim DESY Hamburg.

  2. Nach den Märklin-Metallbaukästen war mir das „Werkbuch für Jungen“ die erste Quelle für Konstruktions-Träumereien, wovon ich damals – mangels entsprechenden Werkzeugs (kein Mann im Hause) – nur wenige umsetzen konnte. Habe ich dann aber später (obwohl BWLer) im eigenen Haus umgesetzt (Küchenbau, Badezimmer, Fußbodenheizung, Dachdeckung …).
    Habe jetzt mein Buch von 1959 wegen meiner Enkel wieder hervorgeholt und freue mich schon auf´s gemeinsame Basteln …

  3. Hallo,

    beim Aufräumen unseres Speichers habe ich mein Exemplar aus dem Jahr 1967 gefunden.
    Meine Bastel-Höhepunkte: Die Armbrust sowie der Heißluftballon (der leider nach wenigen Metern Flug in Flammen aufging, weil ich vor Aufregung über die Schnur gestolpert bin …)

    Grüße,
    Schwabinger

  4. Guten Morgen,

    ich möchte das Buch gerne für meine Enkel
    kaufen. Wo kann ich es bekommen?

    Liebe Grüße
    Anna Rehwald-Kramer

    1. Hallo Frau Rehwald-Kramer,

      so weit ich weiß, gibt es dieses Buch in seinen verschiedenen Auflagen lediglich noch in gebrauchtem Zustand. Allzu frühe Auflagen wären für heutige Enkel wahrscheinlich nicht so attraktiv, Sie sollten also nach späteren Auflagen suchen (70er-/80er-Jahre). Suchen können Sie bei e**y, aber auch im „Zentralen Verzeichnis antiquarischer Bücher“, https://www.zvab.com – dort fand ich gerade eben nach Eingabe des Autorennamens Rudolf Wollmann 13 Exemplare aus dem Zeitraum 1935 bis 1985.

      Erfolgreiche Suche und sonnige Grüße –
      MiMü

  5. Ich hatte dieses Buch als Junge auch – habe es aber verloren. Vielleicht können Sie mir eine Frage dazu beantworten: war in diesem Buch auch ein „Papiercomputer“ beschrieben? Ich erinnere mich, dass ich als Junge eine Bauanleitung für ein pultartiges Gerät aus Papier hatte – weiß aber nicht, ob es aus diesem Buch stammt. Ich bin schon etwas länger auf der Suche danach.

    1. Guten Tag,
      Ich bin der Meinung, das der von Ihnen beschriebene „Papiercomputer “ etwa in den Jahren 1964-1966 von der Fa. Kosmos vertrieben wurde.

  6. Guten Morgen lieber Michael,
    auch ich bin von 1959. Und auch hier hat ein Buch dafür gesorgt, dass der Lesestoff Zündstoff für meine lebenslange Neugier wurde: Lebendiges Weltall von Heinz Haber. Gerade neulich hab ich noch eine neue Teleskopsteuerung zusammengelötet … liebe Grüße Matthias

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