heavy rotation Vol. 9: Musica Nuda – faszinierender Minimalismus

Musica NudaImmer wieder ist es das Radiohören, das meinen musikalischen Horizont erweitert. Vor ein paar Tagen machte mir Karl Lippegaus mit seiner jeden Mittwochabend auf WDR4 ausgestrahlten Sendung Swing Easy das Geschenk einer sehr schönen Entdeckung. Eine Coverversion des Beatles-Klassikers Come Together ließ mich ganz aufmerksam werden. Nur von einer Frauenstimme und einem Kontrabass dargeboten, hatte ich beim Hören den Eindruck, der Song werde da gerade auf sein Wesentlichstes reduziert – es war fast so etwas wie ein Freipräparieren. Musica Nuda – nackte Musik – ist somit nicht ohne eine gewisse Folgerichtigkeit Motto und Name des italienischen Duos Petra Magoni und Ferruccio Spinetti.

Die ein wenig edelpunkig wirkende Petra Magoni verfügt über eine Stimme mit vielen Möglichkeiten von schrill und laut bis leise und weich. Sie scattet, zischt, flüstert, haucht und zieht schon mal im rhythmisch richtigen Moment die Nase hoch – andererseits verfügt sie als „gelernte“ Sängerin auch über die klassischen Gesangstechniken.

Kongenialer Partner: der mit Vollbart, Wuschelfrisur und Brille ein wenig wie ein ewiger Student wirkende Bassist Ferruccio Spinetti. Sein Instrument ersetzt ein Orchester. Ob laut oder leise, getappt, gezupft oder gestrichen, lyrisch oder percussiv gespielt – er beherrscht die Spielarten seines Instruments zwischen unkonventioneller Begleitung und ausdrucksstarkem Solo.

Und das Beste: die beiden Künstler haben zu einem traumhaften Miteinander gefunden. Und so sezieren sie auf Ihrem Album Musica Nuda solche Klassiker wie Eleanor Rigby, Roxanne, I will Survive, Blackbird und – besonders beeindruckend – Nature Boy, um sie dann ganz in ihrem eigenen Sinne wieder zusammenzusetzen. Auch vor Kiss von Prince machen die beiden nicht halt. Da ich Chet Bakers Signaturstück My Funny Valentine sehr liebe, war ich besonders kritisch, was Musica Nuda daraus gemacht haben. Ich wurde nicht enttäuscht, es ist gut!

Come Together ist nicht mal vertreten auf diesem Album, das ich noch während der Radiosendung online bestellt und am Freitag bekommen habe. Aber eine weitere CD – diesmal mit dem Beatles-Titel – ist schon auf dem Weg zu mir!

Wer sich reinhören mag, ist mit der Musica Nuda-Website gut bedient. Dort gibt es eine Menge Videos zu sehen, unter anderem auch eins mit dem mehrfach erwähnten Come Together. Es empfiehlt sich allerdings, die beim Seitenaufruf automatisch startende Musik zu stoppen, ehe man sich der Videos annimmt – andernfalls gibt’s ein Musik-Durcheinander.

HRK und die 41052

Heinz Rudolf Kunze (ca. 1988) © by Michael Münch
Heinz Rudolf Kunze (ca. 1988) © by Michael Münch

Im vorhergehenden Beitrag erwähnte ich Heinz Rudolf Kunze, der bis 1989 noch in Osnabrück lebte. Irgendwann bekam ich ihn vor die Linse. Die Zeitung brauchte ein paar aktuelle Fotos. Ich suchte ihn bei sich zuhause auf und wir beratschlagten, wo wir die Aufnahmen machen wollten. Kurzerhand fuhren wir in den Osnabrücker Arbeiter-Stadtteil Schinkel zur Schinkel-Lok, die seit 1979 zwischen Buerscher und Rotenburger Straße auf ein paar kümmerlichen Metern Gleis stehend eingezäunt vor sich hin gammelte.

1989 zog Kunze von Osnabrück nach Hannover. Die Lok musste sich noch bis zum Jahr 2001 gedulden. In dem Jahr übernahmen die Osnabrücker Dampflokfreunde den Technik-Dino und überführten ihn aufs Vereinsgelände Piesberger Zechenbahnhof. Seitdem wird die Lok dort liebevoll restauriert und irgendwann soll sich der Stahlkoloss wieder aus eigener Kraft in Bewegung setzen. Noch ein schönes Stück Arbeit für die Dampflokfreunde!

Prince of the Blood – Portsmouth (LP 1987)

Prince of the Blood - Portsmouth (LP 1987) , Cover-Foto & Design © by Michael Münch
Cover-Foto & Design © by Michael Münch

Am letzten Sonntag fand der jährliche große Flohmarkt im nahe gelegenen Georgsmarienhütter Stadtteil Oesede statt – für mich ein Pflichttermin, denn dort wurde ich in Sachen Vinyl-Platten noch jedes mal fündig. Auch diesmal suchte ich nicht vergebens: insgesamt knapp 50 Schallplatten gingen für einen Durchschnittspreis von € 1,50 in meinen Besitz über. Besonders freue ich mich über diese Platte: die LP Portsmouth der Georgsmarienhütter Band Prince of The Blood. An der Entstehung des Album-Covers war ich nämlich beteiligt.

Im März des Jahres 1986 schickte mich die Zeitung ins Harderberger Tonstudio von Mick Franke, um Fotos für eine Reportage über seine Arbeit zu schießen. Franke war in der Musikszene kein Unbekannter: als früher Wegbegleiter von Heinz Rudolf Kunze wirkte er an dessen ersten drei Alben mit. Zu der Zeit lebte Kunze noch in Osnabrück, bevor er 1989 nach Hannover zog, doch das sei nur am Rande bemerkt.

der Musiker und Produzent Mick Franke 1986 © by Michael Münch
der Musiker und Produzent Mick Franke 1986 © by Michael Münch

Als ich im Studio auftauchte, platzte ich in die Aufnahmearbeiten an der oben gezeigten LP. Ich freundete mich ein wenig mit den Musikern der Band Prince of the Blood an und machte in der Folgezeit die ein oder anderen Fotos für Promozwecke und dergleichen.

Prince of The Blood – Bandfoto 1986/87 © by Michael Münch
Prince of The Blood – Bandfoto 1986/87 © by Michael Münch

Auf diesem Bandfoto sieht man den kleinen Matrosen, der auch zum Helden des Albumcovers wurde.

Kontaktabzug © by Michael Münch
Kontaktabzug © by Michael Münch

Die Band existierte meines Wissens nicht mehr lange und ihre Mitglieder habe ich längst aus den Augen verloren. Gelegentlich mal hatte ich mit Mick Franke zu tun. Der starb aber plötzlich und unerwartet im April 2001.

Das Musikalbum ist mir verloren gegangen, als ich vor 25 Jahren all meine damaligen Vinylscheiben zugunsten des Sammelns von CDs weggegeben habe – welch ein Irrweg! Jetzt spielte mir der Zufall ein gut erhaltenes Exemplar der LP in die Hände. Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich die Musik von damals und bin begeistert.

Vom „verliebten Außersichsein“

Manchmal spielt einem der Zufall Sachen in die Hand, die man sich selbst niemals hätte ausdenken können.

Heute führte mich mein Weg wie schon oft zum Haushaltsentrümpler meines Vertrauens. Ich durchsuchte die Schallplattenkisten nach Neuzugängen – diesmal erfolglos. Immerhin fand ich für einen Euro die CD „Buena Vista Social Club“, somit hatte sich mein Besuch schon gelohnt. Danach schlenderte ich durch die Bücherabteilung. Dort stieß ich auf einen gebundenen Jahrgang der mir bis dahin völlig unbekannten Monatsschrift „Film + Ton Magazin“ von 1968. Diese inzwischen wohl eingestellte Publikation richtete sich an engagierte Filmamateure. Sie behandelte filmische Aufnahmetechniken, aber auch die Vertonung sowie die dafür erforderlichen Gerätschaften. In jedem Heft gab es darüber hinaus Besprechungen von Platten-Neuerscheinungen.

Ich habe mich bemüht, im Internet Rechtsnachfolger der damaligen Herausgeber zu finden, allerdings bisher erfolglos. Sollte es einen Rechteinhaber geben, der etwas gegen das nachfolgende längere Zitat einzuwenden hat, möge er sich bitte melden, dann nehme ich den Beitrag wieder von der Seite. Es wäre allerdings schade :-(…

In der Februarausgabe erklärt der Artikel „Herz in der Optik – Der Film enthüllt Geheimnisse der Liebe“ auf den Seiten 22 und 23, wie denn wohl die Liebe im Film darzustellen sei. Eigentlich geht’s um gefilmten Geschlechtsverkehr, aber der Text laviert geschickt darum herum. Der Autor Konrad Karkosch schreibt:

„… Da die Liebesszenen zu den schönsten und wichtigsten Szenen der meisten Filme gehören, ist es interessant, die filmische, d.h. die mimische Darstellung des Außersichseins beim Erlebnis der Liebe mit einigen markanten Film-Fotos*** zu illustrieren. Dabei ist zu beachten, dass das Außersichsein in zwei typische Phasen zerfällt, von denen auch der Liebesausdruck beherrscht wird, nämlich in die Phase des „Ergriffenseins“ und des „verliebten Verströmens“ gliedert. Auf dem Höhepunkt des „verliebten Außersichseins“, der in einem Verhalten gipfelt und eine bestimmte Intensität und Dauer hat, geht die Phase des „verliebten Ergriffenseins“ in die des „verliebten Verströmens“ über, bei der sich der Mund wieder zu schließen, die Augenbrauen wieder zu senken, ja, alle bewegten Regionen des Gesichts wieder zu entspannen beginnen.

Diese beiden Phasen des „verliebten Außersichseins“ sowie dessen Höhepunkte gelangen in den filmischen Liebesszenen in den mannigfachsten Variationen zur mimischen und gestischen Darstellung. Alle Liebesszenen des Films leben von diesen Erscheinungsformen des Liebesausdrucks, der sich nicht nur in der Mimik, sondern auch im Händedruck, in der Umarmung, im Kuss usw. verwirklicht. Es braucht hierbei nicht weiter betont zu werden, dass nicht jeder Blick, nicht jeder Händedruck, nicht jeder Kuss das Gefühl der Liebe ausdrücken muss. Nur wenn die Voraussetzungen des „verliebten Ergriffenseins“ und des „verliebten Verströmens“, also des „verliebten Außersichseins“ erfüllt werden, ist das Gefühl der Liebe auch im Bereich des Films möglich.“

*** Film-Fotos weggelassen

Das Ding habe ich nach dem Abendessen meiner Liebsten und dem Erstgeborenen vorgelesen. Es war ein voller Erfolg…

Sultans of Swing, Diskothek “Keller” und Che’Coolala

Dire Straits - Dire Straits (LP 1978)Ich geb’s gerne zu: ich habe eine gewisse Schwäche für die Musik der Dire Straits und Mark Knopflers. Ich weiß auch noch, wo ich zum allerersten Mal „Sultans of Swing“ gehört habe. Das war mit großer Sicherheit in der Diskothek „Keller“ in Dortmund in der Geschwister-Scholl-Straße unweit des Jugend-Zentrums Fritz-Henßler-Haus. 1978 muss das gewesen sein.

Damals schien es an aktuell angesagter Musik nur Punk und Reggae zu geben. Der Punk grub der progressiven Rockmusik das Wasser ab: Virtuosität am Instrument schien plötzlich verpönt. Emerson, Lake & Palmer, die ihre große Zeit in den Jahren 1970 bis 1973 hatten, legten schon 1977 mit dem Album Works Vol. I ihren künstlerischen Offenbarungseid ab. Gentle Giant gaben 1980 auf, nachdem sie in den letzten zwei, drei Jahren ihres Bestehens mit dem Versuch, kommerzieller zu werden und auch mal Geld zu verdienen, auch den letzten Rest Ihres an progressiver Musik interessierten Publikums verprellt hatten. Genesis verkamen nach dem Weggang von Peter Gabriel im Jahr 1975 unter der Ägide von Phil Collins zunehmend zur Schlagercombo. Yes waren Ende der 70er Jahre nach einem eher misslungenen kommerzielleren Experiment – dem Album Tormato – in Auflösung begriffen. Progressive Rock veränderte sich in Richtung Mainstream. Das ließ schließlich viele Proggies zu Reggae-Fans werden. Ich hab das auch versucht. Das scheiterte aber an der Musik.

Ja, und dann kam der Tag, als ich zum ersten Mal „Sultans of Swing“ hörte. Ich traute meinen Ohren kaum: das war virtuoseste, geerdete Gitarrenmusik, wie ich sie so frisch schon lange nicht mehr gehört hatte! Da schien jemand den Rock’n’Roll und den Blues mit Löffeln gefressen zu haben. Und der Gitarrist war einfach unglaublich gut! Es folgte der sofortige Kauf der ersten Dire-Straits-LP. All die Jahre bin ich erst den Dire Straits und dann Mark Knopfler treu geblieben. Vor zwei Jahren sahen die Liebste – die in diesem Fall meine Begeisterung teilt – und ich den Meister live in Würzburg auf der Festung, als er mit seinem Solo-Album Get Lucky auf Tour war.

Den „Keller“ gibt es jetzt, 34 Jahre später, immer noch: ->Homepage. Ich habe übrigens eine lebhafte Erinnerung an einen Typen, der dort zum Personal gehörte: lang, unglaublich dünn, schwarze Haare, bahnte er sich mit seinem Serviertablett den Weg durch das Partyvolk. Anstatt aber Bestellungen aufzunehmen und dann das Zeug zu bringen packte er sich sein Tablett am Tresen voll mit Gläsern, stiefelte los, baute sich wahllos vor irgendwem auf, guckte tief in die Augen seines Gegenübers und dann redete er los „…Bier, Cola, Bier, Cola, Bier, Cola, Bier, Cola, Bier…?“, dass einem unheimlich wurde… Er konnte das in einer irrsinnigen Geschwindigkeit, als sei er der Sprecher der Black & Decker-Werbung. Verrückter Kerl!

„Meine“ ersten Punks erlebte ich allerdings nicht im „Keller“, sondern in einer Szene-Kneipe, die 1980 in Dortmund-Dorstfeld aufmachte: im Che’Coolala, das es, wie ich vorhin herausbekommen habe, wohl auch noch gibt. Ich weiß nicht, ob es da noch so ist – damals jedenfalls traf man dort einfach jegliche Art von Leuten. Studenten, Hausbesetzer, Linke, Autonome, Ökos, Friedensbewegte, Nachbarn und eben eines Tages auch Punks.

Ich saß mit der Liebsten am Tresen, wartete auf meinen vegetarischen Auflauf – kochen konnten die da gut! – und wollte noch rasch Tabak und Zigarettenblättchen besorgen. Ein Automat hing im Nebenraum, wo der Billardtisch stand. Ich also dort hin, komme um die Ecke und sehe: Billard spielende Punks…! Ehrlich gesagt wusste ich in dem Moment nicht so recht, ob ich lieber wieder umdrehen sollte, denn mit Punks hatte ich bis dahin nichts zu tun gehabt, na ja… Aber der Lungenschmacht siegte, und so schlich ich zum Tabakautomaten, warf mein Geld ein und – nichts, das Scheißding blockierte, ich kriegte den verdammten Tabak da nicht raus, Mist! Das merkte einer der Punks, kam langsam auf mich zu, schob mich beiseite – „…lass‘ mich mal!“ – holte aus und versetzte dem Automaten einen donnernden Schlag. Die Warenschublade sprang auf, der Punk griff nach meinem Tabak und den Blättchen, knallte mir beides in die Hand und meinte nur „…da haste!“.

Netter Kerl. Ja, wirklich…

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