silent key: Wim, DL3XH

Wim DL3XH an einer seiner ersten Funkstationen. Das linke Foto ist datiert mit 1950.
Wim DL3XH an einer seiner ersten Funkstationen. Das linke Foto ist datiert auf 1950.

Anfang Juni diesen Jahres schrieb er mir in einer Email:

Ich mache immer noch Amateurfunk, fast nur noch CW und DX. Trotz meiner 88 Jahre geht Tempo 120 noch fb, CW hält den Kopf flexibel, hi …

Am 4.Juli starb 88jährig mein Onkel Wilhelm Josef Münch – „Wim“ – so nannten ihn seine Funkamateur-Freunde. Nach dem Krieg gehörte er zu den ersten Funkbegeisterten, die zunächst „im rechtsfreien Raum“, ab März 1949 nach Verabschiedung des Amateurfunkgesetzes durch den Wirtschaftsrat der Bizone legal mit selbstgebauten Geräten in den Äther gingen. „Delta Lima Three X-ray Hotel – DL3XH“ – dieses Rufzeichen hat seit Jahrzehnten einen guten Klang unter Funkamateuren rund um den Erdball. Nun bleibt Wims Morsetaste für immer stumm – „silent key“ nennen das die Funker.

Wims letzte Eintragungen in seinem Stations-Logbuch am 20. Juni 2017
Wims letzte Eintragungen in seinem Stations-Logbuch am 20. Juni 2017

Wim war immer mein leuchtendes Vorbild. Solange ich denken kann, zog es mich in seine Funkbude. Die Atmosphäre, die entsteht, wenn sich aus dem Empfängerrauschen zunächst kaum verständliche Wortfetzen lösen, fasziniert mich noch heute, nachdem ich selbst die Funkerei längst aufgegeben habe. Der Wunsch, mit einem von Grund auf selbstgebauten Gerät mit Menschen auf der ganzen Welt kommunizieren zu können, spornte mich vor vielen Jahren an, Wim nachzueifern und mir das nötige Wissen dazu anzueignen.

Mein Onkel war ein begnadeter Bastler, ein großartiger Konstrukteur und dabei ein verschmitzter Improvisator. Es gab kaum etwas, was er nicht seinem Hobby dienstbar machen konnte. Er sammelte jedes Stückchen Blech – ob es Kellerfenstergitter waren oder Kakaodosen aus Weißblech -, aus Tubenverschlüssen wurden Drehknöpfe. Seine selbstgekanteten Blechpatchwork-Gehäuse bekamen dadurch einen ganz eigenen, unverwechselbaren look. Grauer Hammerschlag-Lack als Finish – das war Wims Markenzeichen. Für ihn stand dabei immer die tadellose Funktion seiner Geräte im Vordergrund.

Antennenanpassgerät für das 160m-Band, Aufbau DL3XH
Antennenanpassgerät für das 160m-Band, Aufbau DL3XH

Demnächst wird Wims Funkbude aufgelöst, die Gerätschaften werden weggegeben, Erinnerungsstücke gesichert. Für mich ein Grund, noch mal hinzufahren und ein paar Fotos zu machen, solange noch alles so ist, wie Wim es verlassen hat.

Gestern war ich dort. Wie immer sah ich noch nicht das Haus, da konnte ich schon den Antennenmasten ausmachen, der demnächst abgebaut wird.

Antennenmast bei DL3XH
Antennenmast bei DL3XH

Mein Cousin, der sich um den Nachlass kümmert, empfing mich. Nach Kaffee und Kuchen mit der Tante ging’s zur Funkbude. Alles ist so vertraut seit vielen Jahren, aber durch Wims Abwesenheit doch wieder ganz anders.

Wims "Funkbude"
Wims „Funkbude“

Ich schaltete die Funkgeräte ein. Sie zeigten die zuletzt benutzten Frequenzen an.

7,1 MHz - 40m-Band - hier führte Wim sein letztes Telegrafie-QSO
7,1 MHz – 40m-Band – hier führte Wim sein letztes Telegrafie-QSO

Den Sprechfunk hatte Wim schon längst aufgegeben. Allerdings war er bis zuletzt ein flotter Telegrafist. Seine automatischen Morsetasten baute er selbst.

Eine der vielen elektronischen Morsetasten, die Wim im Laufe der Jahrzehnte gebaut hat
Eine der vielen elektronischen Morsetasten, die Wim im Laufe der Jahrzehnte gebaut hat

Einige Impressionen:

Was musste ich bei meinen Eltern kämpfen, als 10jähriger einen Lötkolben zu bekommen. Ich glaube, Wim hat damals ein gutes Wort für mich eingelegt ...
Was musste ich bei meinen Eltern kämpfen, als 10jähriger einen Lötkolben zu bekommen. Ich glaube, Wim hat damals ein gutes Wort für mich eingelegt …
Wim auf einem Foto, das ich 1980 von ihm gemacht habe
Wim auf einem Foto, das ich 1980 von ihm gemacht habe
Eine der vielen Auszeichnungen, die Wim bekommen hat
Eine der vielen Auszeichnungen, die Wim bekommen hat
Stationsuhr
Stationsuhr
Die Station von Willi, DL3XH
Die Station von Willi, DL3XH

Bei meinem Besuch wurden viele Erinnerungen wach an einen besonderen Menschen, den ich sehr geschätzt habe.

Cheerio, lieber Wim!

 


 

Greg Lake – † 07. Dezember 2016

Greg Lake
Greg Lake – Photo: Lrheath at en.wikipedia

Jetzt auch noch Greg Lake! Nachdem sich Keith Emerson im März diesen Jahres erschoss und so für immer die Bühne verließ, erlag gestern sein ELP-Bandkollege Lake einem Krebsleiden.

Beide gehörten zum inneren Zirkel des musikalischen Personals, das nachhaltig meine musikalische Sozialisation (als Hörer) geprägt hat. Für mich war Lake ein begnadeter Sänger, überhaupt ein Musikant im allerbesten Sinne – trotz seines gelegentlichen Hangs zur Schnulze. Wenn ich jetzt sagte, er werde mir in Zukunft fehlen, dann träfe das die Sache nicht ganz: dafür war er mir als Musiker gar nicht mehr präsent genug und als Mensch kannte ich ihn überhaupt nicht. Aber zu wissen, dass es ihn nicht mehr gibt, macht mir die Welt ein ganzes Stück ärmer!

Gianmaria Testa – † 30. März 2016

Gianmaria Testa © by Harald Krichel via Wikimedia Commons Wie ich gerade im Radio erfuhr, starb heute der italienische Cantautore Gianmaria Testa. Im vorigen Jahr gab er eine Tumorerkrankung bekannt. Er wurde nur 57 Jahre alt.

Aus Anlass seines Todes hole ich eine ältere Plattenbesprechung aus dem Archiv und veröffentliche sie hier erneut.

Gianmaria Testa, Foto © by Harald Krichel via Wikimedia Commons


Gianmaria Testa - Da Questra Parte Del Mare (CD 2006)Gianmaria Testa – Da Questa Parte Del Mare (CD 2006)

Segschneider brachte mich drauf – der nutzte unter anderem diese hervorragend produzierte CD, um mir die Qualität seiner Musikanlage zu demonstrieren, was ihm auch gelang. Ich saß auf seinem Sofa, er sagte sowas wie: „… das musst Du hören …“, und dann überraschte mich aus heiterem Himmel diese unglaublich sonorige, bassige, raue Stimme auf Italienisch – eine Sprache, die ich leider nicht verstehe. Trotzdem nimmt mich diese Stimme auch jetzt noch, nachdem ich mir das Album gekauft und einige zig-mal gehört habe, fest gefangen. Es handelt sich, wie ich nun weiß, um ein Konzeptalbum, das sich mit dem Schicksal von Flüchtlingen beschäftigt, die versuchen, von Nordafrika aus über das Mittelmeer nach Südeuropa zu gelangen. Gianmaria Testa schreibt auf seiner Website:

Sie sind zu zweit von irgendeinem Hafen in Nordafrika aufgebrochen, als blinde Passagiere versteckt im Laderaum eines Frachtschiffes. Nach zwei Drittel der Reise hat man sie entdeckt und ins Meer geworfen. Ein Fischerboot hat sie aus der Adria geholt. Keinerlei Hilfe an Bord.
Sie haben sie wie Ballast in einem Schlauchboot zweihundert Meter vor einem Strand in Apulien ausgesetzt.
Als sie an Land gebracht wurden, war es für einen der beiden zu spät.
(…)
Ich habe nicht für sie geschrieben. Das könnte ich nicht.
Ich habe für mich geschrieben und für diejenigen, die wie ich auf dieser Seite des Meeres leben.

Testas Lieder bekommen mit dem Wissen darum, um was es da inhaltlich geht, auch für den des Italienischen nicht mächtigen Hörer zusätzliches Gewicht. Den Melodien und der ungewöhnlichen Stimme kann man sich ohnehin schwer entziehen. Kaufbefehl!

Keith Emerson – † 10. März 2016

Als ich heute Morgen aus dem Radio erfuhr, dass Keith Emerson (71) gestorben ist, musste ich doch für einen Moment die Luft anhalten. So geht’s mir immer, wenn einer der musikalischen Helden meiner Jugend endgültig von der Bühne abtritt. Der lenkende Geist und Keyboarder der Progressive Rock Band Emerson, Lake & Palmer war eine Zeitlang eine der zentralen Figuren meines persönlichen Musiker-Olymps.

Keith Emerson © by Surka via Wikimedia Commons
Keith Emerson © by Surka via Wikimedia Commons

Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre eroberte ein neues Musikinstrument die Pop- und Rockmusik: der von Robert Moog entwickelte Synthesizer, mit dem auf rein elektronischem Weg nie zuvor gehörte Klänge erzeugt werden konnten. Sicher trug das 1968 als Sensation empfundene Synthesizer-Klassik-Album Switched On Bach von Walter Carlos zu einer schnellen Verbreitung des neuen Wunderkastens bei. Auch das eigentlich dümmliche Instrumentalstück Popcorn von Hot Butter (1971) mag wesentlich die Popularisierung des Synthesizers vorangetrieben haben. Das verdammte Ding war ein schrecklicher Ohrwurm, dem man sich nur schwer entziehen konnte. Was mich aber wirklich umgehauen hat, war Keith Emersons Synthesizer-Solo im Stück Lucky Man vom 1970 erschienenen ELP-Debütalbum.

Ab da war die Frage „Beatles oder Stones?“, die damals die allermeisten meiner Altersgenossen umtrieb, für mich uninteressant, ja gegenstandslos geworden. Ich war fortan und für lange Jahre an die progressive Rockmusik verloren. So erinnere ich mich an Feten in jener Zeit: die Beatles-Fans verzogen sich mit den schönsten Mädchen in die dunklen Ecken, die Stones-Anhänger übten sich in demonstrativ zur Schau getragenem männlichen Gehabe. Nur wir wenigen vom Prog-Rock Erleuchteten standen über all dem, rümpften die Nase über die vom Kommerzpop Verwirrten und sonnten uns in unserer allerdings nur von uns so empfundenen Intellektualität. Allerdings blieben wir paar Versprengte infolgedessen ziemlich unter uns und – weil’s eine reine „Männer“-Angelegenheit war – auch gemeinhin ohne weiblichen Anhang.

Wir Progrock-Afficionados waren eine verschworene Gemeinschaft: in den Pausen tauschten wir auf dem Schulklo – verbotenerweise rauchend natürlich – die neuesten Informationen über angesagte Bands aus. So erfuhr ich von King Crimson, den frühen Genesis, Pink Floyd, Yes natürlich, den unvergleichlichen Gentle Giant und etlichen anderen progressiven Rockbands. Meine größten Helden waren und blieben aber Emerson, Lake & Palmer – ausgelöst durch das phantastische Synthesizersolo von Keith Emerson.

Wie gerne würde ich das noch einmal zum ersten Mal hören!

R.I.P. – Norbert B.

Er verlor seine Stelle, als ein Osnabrücker Autohersteller für immer die Tore schloss.
Norbert B. wurde daraufhin Mitarbeiter in einem sozialen Kaufhaus – ich glaube, auf 400€-Basis. Körperlich war er nicht sehr belastbar, deshalb steckte man ihn schließlich in die bis dahin vernachlässigte Ecke mit den gebrauchten Schallplatten.

plattenregalFortan blühte B. geradezu auf. Innerhalb kurzer Zeit brachte er Ordnung ins Sortiment. Er besorgte Regale, sortierte die Alben nach Musikrichtungen, ersetzte verschlissene Innenhüllen und bearbeitete die Platten sorgfältig mit Mikrofasertüchern. Kurzum – aus der Schmuddelecke mit den schwarzen Scheiben wurde so etwas wie ein kleiner Plattenladen. Und einige Ahnung von Musik hatte B. offenbar auch, wie sich im Laufe der Zeit herausstellte.

Eines Tages nahm er mich beiseite: „… ich muss Ihnen was sagen – Sie sind mein Lieblingskunde!“ Zunächst war ich sehr überrascht. Dann erklärte er mir, ich sei der einzige von den Plattenfans, der ihn begrüßte, mit Namen ansprach und mal mit ihm redete. Nach meinem Empfinden Selbstverständlichkeiten, aber wohl längst nicht für alle, wie er mir versicherte. Es gäbe Leute, die sähen glatt durch ihn durch, wenn sie in den Regalen stöberten. „Kann ich Ihre Handynummer haben, dann rufe ich Sie an, wenn was interessantes Neues reinkommt! Sie sind dann der erste, der in die Kiste gucken darf!“

Damit brachen goldene Zeiten an für meine Plattensammlung! So manches Mal konnte ich wunderbare Schnäppchen machen, gerade auch auf den Gebieten des Jazz und der progressiven Rockmusik. Solche Platten sind bei Haushaltsentrümplern absolute Ringeltauben, denn meist werden ja die Nachlässe älterer Menschen aufgelöst, was Unmengen von James-Last-Alben in die Grabbelkisten schwemmt.

Es war nicht so einfach, mich in irgendeiner Form zu revanchieren. Tabakwaren und Alkoholika kamen für mich nicht infrage. Auch noch so kleine Geldzuwendungen verboten sich – B. wäre in Teufels Küche gekommen, wenn das aufgeflogen wäre. Als ich ihm mal einen großen Schokoladen-Nikolaus mitbrachte, hatte ich die Lösung gefunden 🙂 … Ab und zu eine Tafel Schokolade – das war unverfänglich.

Ich weiß gar nicht zu sagen, wann er so krank wurde, dass er nicht mehr arbeiten konnte – das mag vor zwei Jahren gewesen sein. Ein paarmal haben wir noch telefoniert. So erfuhr ich, wie es um ihn stand. Wie’s aber so ist, verblieben auch diese Anrufe nach einiger Zeit.

Gestern fand ich in der Zeitung seine Todesanzeige.

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