300B und kein Ende

Eine ironiefreie Glosse von Segschneider

Über die Qualitäten einer 300B, ob nun klanglicher oder technischer Art, lässt sich trefflich streiten. Oder vielleicht doch nicht. Denn über welche Röhre reden wir da eigentlich? „Die“ 300B gibt es längst nicht mehr, das Produktionsende bei Western Electric war mit dem Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts erreicht. Die wenigen in jüngster Zeit gehandelten Exemplare stiegen preislich in intergalaktische Höhen. Und befinden sich mittlerweile in den Händen jener japanischen Herren aus den oberen Vorstandsetagen, die sich einen separaten Hifi-Tempel, genannt Musikzimmer, abgetrennt vom Wohnhaus errichtet haben. Wir reden von einem Statement der sozialen Art, das eben nicht jeder Audiophile kann.

Für manch einen der heilige Gral: die originale 300B von Western Electric (Quelle: 2A3-Maniac)
Für manch einen der heilige Gral: die originale 300B von Western Electric (Quelle: 2A3-Maniac)

Kommen wir zu den verbliebenen 300Bs. Ihnen konnte nichts Besseres passieren als das Ableben des Originals. Sie krochen in so unglaublicher Stückzahl aus allen Winkeln, dass bereits ein Jahrzehnt später Don Jenkins in „Glass Audio“ 1998 verzweifelt fragte: „Will the real 300B please stand up?“ Diese Aufforderung verhallte ungehört und unbeachtet. Wer etwas auf sich hält am HiFi-Himmel, der produziert flugs eine 300B. Ganz so pingelig braucht er dabei nicht zu sein, die eine oder andere kleine, ganz klitzekleine Abweichung darf es schon sein. Es genügt völlig – und fördert den guten Ruf -, wenn man im Kleingedruckten auf die Abweichung hinweist. Damit heftet man sich zugleich den Nimbus des fairen Aufklärers ans Revers. Aussehen darf diese Röhre ebenfalls ganz anders als die alte Originale, ein riesiges zylindrisches Glasgehäuse stört nicht. Man sollte aber keineswegs verabsäumen, die fabelhafte Produktionsqualität zu betonen, inclusive der tausend kleinen Verbesserungen.

Und, ganz wichtig, der Preis muss stimmen! Und wie! Denn wenn der Audiophile preislich nicht mal merkt, dass er etwas Besonderes ersteht, dann nützt die ganze Vermarktungsstrategie nix. Kenner haben es schon öfter publiziert, als ich es zählen kann: eine 300B lässt sich auf dem Küchentisch zusammenfritzeln. Von geschickten Frauenhänden selbstverständlich, das war schon immer so und sollte auch so bleiben – es ist ja schließlich ein Kostenfaktor. Und so ergibt sich die Firmenstruktur einer heutigen Röhrenfirma wie von selbst. Auf die produzierenden Damen kommt ein Mehrfaches an Herren, die die wirklich wichtigen Aufgaben – nein, das ist keine Ironie, das ist echt eine Beschreibung der Wirklichkeit – übernehmen. Und das sind viele. Entwurf einer tadellosen Verpackung, damit geht es los. Wenn ich mir die simplen Schachteln aus robuster Pappe einiger meiner Lieblingsröhren, fuffzig Jahre alt mittlerweile and still going strong, die Ausführung fürs Militär, so betrachte, dann begreife auch ich: so geht’s nun nimmer. Ein Verpackungskonzept muss her! Design! Der preisliche Anspruch solide untermauert! Direktvermarktung, ein lebendiger Kontakt zum Audiophilen, Liebe zur Musik, edelste und seltenste Schallplatten, immer eine Gitarre im Ausstellungsraum – wenigstens. Auf intimeren Veranstaltungen sollte ein Gläschen Rotwein und/oder Whiskey schon mal zur Hand sein. Und so weiter.

Der Firmenchef hat keineswegs das Brett vorm Kopf, das die Neider dort vermuten. Vielmehr wurde dieses und viele andere Bretter benötigt, um spezielle Transportkisten für das Versenden der Ausstellungsstücke – was heißt hier Stücke, es sind einfach wunderschöne Artefakte, die ausgestellt werden – in passender Grösse zu bauen. Firmennamen auf den Kisten nicht vergessen! Ist wichtig! Denn der Chef unserer imaginierten Firma düst um die Welt, dass die Hacken qualmen: Tokyo, Los Angeles, New York, und bitteschön rechtzeitig zur High End in München in Deutschland sein. Aber dafür hat er ja einen Mitarbeiter, der ihn daran erinnert. Auf jeder namhaften Audiomesse vertreten zu sein, das ist nun mal der Anspruch, wenn das Produkt 300B heißt. Von nix kommt nix, und der Audiophile ist ein scheues Wild, das will zur richtigen Zeit und am richtigen Ort gejagt sein! Noch wichtiger eigentlich sind die inoffiziellen Meetings, auf denen die tonangebenden Audiophilen aufkreuzen, denn da ist der zukünftige Käufer zuhause, zur Zeit noch harmloser Audiophiler. ETF zum Beispiel, da muss man sein, und Aufsehen erregen. Nur so gehts!

Legendärer Verstärker von Western Electric aus dem Jahr 1930: der WE91A mit der 300B als Endtriode
Legendärer Verstärker von Western Electric aus dem Jahr 1930: der WE91A mit der 300B als Endtriode

Im Grunde genommen ist es recht einfach, sofern man nicht die Tatsachen verwechselt. 300B, das ist keine Röhre, das ist ein Geschäftsmodell. Und ein Geschäftsmodell kann erst dann sterben, wenn überhaupt kein Geld mehr damit verdient wird. Das ist noch lange hin, denn darum kümmern sich ja die vielen Herren, die mit den wichtigen Aufgaben – siehe oben. Produktion, das läuft so am Rande mit. Und ist in der Auslieferung schon mal im Rückstand. Dann bitte nicht vergessen: „Der grosse Zuspruch, den die Audiophilen unseren Produkten zu Teil werden ließen, führte zu Rückständen, die wir nunmehr beschleunigt …“. Es kann ja nicht immer Messe sein.

PS.

Man kann immer noch Militärröhren aus alter Produktion kaufen, die in den schlichten, stabilen Pappschachteln. Oder hab‘ ich da was verwechselt und bin schon bei den Fakenews gelandet?

heavy rotation Vol. 21: Eberhard Schoener – Flashback (LP 1978)

Ich hab nachgesehen: der letzte Beitrag aus der Kategorie heavy rotation erschien vor über einem Jahr. Und es ist geschlagene sechs Monate her, dass ich hier in irgendeiner Weise Musik empfohlen habe. Das ist für ein Blog, das sich im Untertitel „ein Hör-Tagebuch“ nennt, doch einigermaßen wenig … Heute ist allerdings ein guter Tag, diesem Mangel ein wenig abzuhelfen. Die ganze Nacht hat es mehr oder weniger stark gestürmt und heftigst geregnet, draußen ist es immer noch sehr windig und nasskalt, so dass an die Dinge, die man sich sonst so für den 1. Mai vornimmt, überhaupt nicht zu denken ist. Das schafft zeitliche Freiräume … also dann:

Eberhard Schoener – Flashback (LP 1978)

Jahrelang zog’s mich nicht auf Plattenbörsen, aber neulich fuhren mein Zweitgeborener und ich gemeinsam los: erst zum Frühjahrsflohmarkt auf dem Gelände des Osnabrücker Moskaubads, danach dann tatsächlich noch in die OsnabrückHalle zur Plattenbörse. Dort fand ich die faszinierende Eberhard Schoener-LP Flashback.

Schoener ist mir ein Begriff seit Mitte der 70er Jahre. 1974 sah ich ihn erstmals im Fernsehen: die ARD übertrug im Rahmen der Eurovision live eine Aufführung des Jon Lord-Projekts Windows, das klassische Musik mit Hardrock-Elementen zu verbinden suchte. Eberhard Schoener leitete hier das Münchner Kammerorchester und bediente den Moog Synthesizer. Damals galten solche Kooperationen von klassisch ausgebildeten Musikern wie Schoener mit Rockbands als etwas sehr Besonderes. Schoener arbeitete nicht nur mit Deep Purple-Mitglied Jon Lord zusammen, sondern u.a. auch mit Procol Harum, Tangerine Dream oder dem Alan Parsons Project.

Seine eigenen Kompositionen sind von klassischer Musik, Welt- und Popmusik beeinflusst. Bei deren Einspielungen geben sich hochkarätige Mitwirkende die Klinke in die Hand. Und nun kommt’s und deshalb ist mir das Album Flashback so wichtig: bei dessen Aufnahme 1977 waren drei Musiker mit von der Partie, die wenig später Weltkarriere als The Police machen sollten: Steward Copeland (dr), Andy Summers (g) und Sting (b, voc).

Um einen Eindruck von diesem Album zu bekommen, lohnt es sich, das folgende Video anzuschauen, ein Medley der beiden Flashback-Titel Trans Am und Rhine-Bow (nicht etwa Rainbow). Der weißgekleidete Keyboarder ist Schoener, die Herren in der Mitte sind die drei Polizisten, den rechten Keyboarder kenne ich nicht:

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Wir sehen hier The Police, bevor sie The Police wurden. Mit dem Wissen von heute bildet man sich ein, in den Polizeianwärtern sei alles Spätere schon angelegt und spürbar gewesen. Das ist wohl Unsinn. Immerhin aber prägen die drei Musiker ihre Anteile an Schoeners Album-Projekt hörbar. Stings Falsettgesang wurde bald zum Markenzeichen der zukünftigen Mega-Band, ebenso Copelands superpräzises Schlagzeugspiel und Summers Klangteppiche, die er mit der Gitarre ausrollt.

Die 10€ für eine near mint-Scheibe waren wahrlich gut angelegtes Geld!

Wer jetzt noch nicht genug hat, mag sich vielleicht das Projekt Windows von Jon Lord ansehen, wie es damals über den Äther ging. Viel Spaß dabei!

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P.S. … und ich geh jetzt löten!

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