Keith Emerson – † 10. März 2016

Als ich heute Morgen aus dem Radio erfuhr, dass Keith Emerson (71) gestorben ist, musste ich doch für einen Moment die Luft anhalten. So geht’s mir immer, wenn einer der musikalischen Helden meiner Jugend endgültig von der Bühne abtritt. Der lenkende Geist und Keyboarder der Progressive Rock Band Emerson, Lake & Palmer war eine Zeitlang eine der zentralen Figuren meines persönlichen Musiker-Olymps.

Keith Emerson © by Surka via Wikimedia Commons
Keith Emerson © by Surka via Wikimedia Commons

Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre eroberte ein neues Musikinstrument die Pop- und Rockmusik: der von Robert Moog entwickelte Synthesizer, mit dem auf rein elektronischem Weg nie zuvor gehörte Klänge erzeugt werden konnten. Sicher trug das 1968 als Sensation empfundene Synthesizer-Klassik-Album Switched On Bach von Walter Carlos zu einer schnellen Verbreitung des neuen Wunderkastens bei. Auch das eigentlich dümmliche Instrumentalstück Popcorn von Hot Butter (1971) mag wesentlich die Popularisierung des Synthesizers vorangetrieben haben. Das verdammte Ding war ein schrecklicher Ohrwurm, dem man sich nur schwer entziehen konnte. Was mich aber wirklich umgehauen hat, war Keith Emersons Synthesizer-Solo im Stück Lucky Man vom 1970 erschienenen ELP-Debütalbum.

Ab da war die Frage „Beatles oder Stones?“, die damals die allermeisten meiner Altersgenossen umtrieb, für mich uninteressant, ja gegenstandslos geworden. Ich war fortan und für lange Jahre an die progressive Rockmusik verloren. So erinnere ich mich an Feten in jener Zeit: die Beatles-Fans verzogen sich mit den schönsten Mädchen in die dunklen Ecken, die Stones-Anhänger übten sich in demonstrativ zur Schau getragenem männlichen Gehabe. Nur wir wenigen vom Prog-Rock Erleuchteten standen über all dem, rümpften die Nase über die vom Kommerzpop Verwirrten und sonnten uns in unserer allerdings nur von uns so empfundenen Intellektualität. Allerdings blieben wir paar Versprengte infolgedessen ziemlich unter uns und – weil’s eine reine „Männer“-Angelegenheit war – auch gemeinhin ohne weiblichen Anhang.

Wir Progrock-Afficionados waren eine verschworene Gemeinschaft: in den Pausen tauschten wir auf dem Schulklo – verbotenerweise rauchend natürlich – die neuesten Informationen über angesagte Bands aus. So erfuhr ich von King Crimson, den frühen Genesis, Pink Floyd, Yes natürlich, den unvergleichlichen Gentle Giant und etlichen anderen progressiven Rockbands. Meine größten Helden waren und blieben aber Emerson, Lake & Palmer – ausgelöst durch das phantastische Synthesizersolo von Keith Emerson.

Wie gerne würde ich das noch einmal zum ersten Mal hören!

Vom Höcksken aufs Stöcksken …

… wie die Ostwestfalen gern sagen, oder hochdeutsch: vom Hölzchen aufs Stöckchen – das ist eine gute Umschreibung gerade auch fürs musikalische Sichtreibenlassen, das manchmal zu erstaunlichen Ergebnissen führt!

Dies mein Streifzug vom letzten Samstag:

Roger Willemsen © by Sharon Nathan via Wikimedia Commons
Roger Willemsen © by Sharon Nathan via Wikimedia Commons

Da, wo’s um öffentlich-rechtlich dargebotene und erklärte Kultur geht (in bestimmten Nischen also), ist dieser Tage alles voll vom Gedenken an Roger Willemsen, der vor einer Woche 60jährig „völlig zu Unrecht“ – so würde Hanns Dieter Hüsch es ausgedrückt haben, wenn er denn noch lebte – an den Folgen einer Krebserkrankung starb. Willemsen war ein Gebildeter und Intellektueller im ganz positiven Sinne, ein Welterklärer frei von Besserwisserei. Ein druckreif-Redner, stilsicher, mitreißend, ein Erzähler, ein Fanatiker für die gute Sache. Und ein Musikkenner vor dem Herrn!

Mein musikalisches Michtreibenlassen durchs Wochenende begann wie schon so oft mit der Sendung Klassik-Pop-et cetera des Deutschlandfunks, in der jeden Samstag um 10 Uhr jeweils eine Stunde lang Kulturschaffende „ihre“ Musik auflegen. Man wiederholte eine Sendung, die Roger Willemsen 2008 gestaltet hatte. Willemsen war als Aufleger im Radio durchaus geübt: über Jahre stellte er in der Sendung „Willemsen legt auf“ auf NDR Kultur jeweils ein Werk aus Jazz und Klassik einander gegenüber – eine Reihe, die ich mit Gewinn gehört habe! Zwei Stücke aus seiner Auswahl am Samstag berührten mich besonders: Cannonball Adderley mit „I worship you“ und Frank Chastenier mit einer Interpretation des Grönemeyer-Titels „Mensch“.

Frank Chastenier © by Elke Wetzig via Wikimedia Commons
Frank Chastenier © by Elke Wetzig via Wikimedia Commons

Chastenier ist seit 1991 Pianist und Keyboarder der WDR-Bigband. Er ist auf zahlreichen CDs der WDR Bigband zu hören und hat mit Till Brönner, Thomas Quasthoff, Roger Willemsen, Helen Schneider, Manfred Krug, Rolf Kühn und Paquito d’Rivera zusammengearbeitet – um nur einige zu nennen.

Frank Chastenier - For You (CD 2004) Frank Chastenier - Songs I've Always Loved (CD 2010)Spotify bietet Chasteniers zwei „amtliche“ Soloalben „For You“ (2004) und „Songs I’ve Always Loved“ (2010) zum Streaming. Beide überraschen mir Ihrer Titelauswahl: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, „Je ne regrette rien“, Grönemeyers „Mensch“, „Alone Again, Naturally“ und schließlich den Franz Lehar-Heuler „Dein ist mein ganzes Herz“ hat wohl kaum jemand auf Anhieb auf der Rechnung, wenn er an Jazz denkt. Chastenier verlangsamt drastisch – bis zur gelegentlichen Beinah-Unkenntlichkeit – das Material, versetzt es geschmackvoll mit jazztypischen Harmonien, lässt ihm die Weile, die es gut werden lässt. Heraus kommt intensiver, intimer Klavier-Kammerjazz – mit gelegentlichen Solo-Beiträgen des Trompeters und Chastenier-Freundes Till Brönner, der die beiden Alben auch produziert hat. Nicht genug zu loben Chasteniers Trio-Partner Hans Dekker (dr) und John Goldsby (b), Kollegen aus der WDR-Bigband.

https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_GuldaAls ich Chasteniers Interpretation von „Someday My Prince Will Come“ höre, renne ich zum Plattenregal und ziehe eine LP von 1983 hervor: „The Meeting“ mit Chick Corea und Friedrich Gulda. Die beiden Pianisten improvisierten gemeinsam auf einer Bühne anlässlich des Münchner Klaviersommers 1982. Ein Improvisationsstrang der beiden mündete in in genau dieses eigentlich jazzferne Stück, das ursprünglich aus dem Disney-Zeichentrickfilm „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ stammt. Während Chastenier das Stück sehr impressionistisch interpretiert, scheinen Gulda und Corea um federnden Swing bemüht. Sehr unterschiedliche Auffassungen, aber keine davon weniger faszinierend!

Mittlerweile habe ich schon einige Stücke gehört, die man überhaupt nicht dem Jazz zuordnen würde, die sich aber – von großartigen Musikern in die Hand genommen – wie selbstverständlich in Jazz verwandeln. Sofort fallen mir weitere Musiker an, die so etwas hervorragend hinbekommen: der Pianist Monty Alexander mit seinen Begleitern John Clayton (b) und Jeff Hamilton (dr). Leider habe ich nur zwei LPs in dieser fabelhaften Besetzung. Auf „Monty Alexander – Live At The Montreux Festival“ von 1977 (MPS) gibt es eine umwerfende Version des Morris Albert-Titels „Feelings“, die genau in diese Reihe passt. Auf meiner zweiten Alexander-Trio-LP „Reunion in Europe“ (1984) finden sich der von Charlie Chaplin geschriebene Song „Smile“ sowie „Ben“, eine 1972 vom sehr jungen Michael Jackson gesungene Schnulze, die ich sogar mal auf einem verloren gegangenen Sampler namens „Tamla Motown is hot, hot, hot!“ besessen habe. Zu Jazz geworden sind das faszinierende Nummern!

Danach surfe ich noch mal zu Frank Chastenier zurück und finde auf YouTube einen Konzertausschnitt der WDR Bigband mit dem Altsaxofonisten und Funkmusiker Maceo Parker. Was Chastenier hier auf der Hammond-Orgel fabriziert, ist wild und genial und stachelt wiederum Maceo Parker zu Höchstleistungen an seinem Instrument an – toll! Dies also zum Abschluss:

Bitte akzeptieren Sie YouTube-Cookies, um dieses Video abzuspielen. Wenn Sie diese akzeptieren, greifen Sie auf Inhalte von YouTube zu, einem Dienst, der von einer externen dritten Partei bereitgestellt wird.

YouTube Datenschutz-Richtlinie

Wenn Sie diesen Hinweis akzeptieren, wird Ihre Wahl gespeichert und die Seite wird aktualisiert

Grammy für Cecile McLorin Salvant!

Ach, wie freue ich mich! Im Oktober letzten Jahres schrieb ich hier im Audionisten über die Ausnahmesängerin Cecile McLorin Salvant. Vorgestern erhielt sie für ihr vorzügliches Album „For One To Love“ den Grammy in der Kategorie „Best Jazz Vocal Album“. Glückwunsch!

Cecile McLorin Salvant - © by Miami6205, via Wikimedia Commons
Cecile McLorin Salvant © by Miami6205, via Wikimedia Commons

Empfehlung fürs Wochenende

"The Edison Phonograph" Werbepostkarte (1905)

Das Wetter am Wochenende wird vermutlich „so lala“ – ideal also, um auf Schatzsuche zu gehen in der eigenen Sammlung und selten gehörte Platten aufzulegen. Unter den Flohmarktkäufen des letzten Jahres schlummern einige Scheiben, die ich noch niemals aus der Hülle genommen habe – das Wochenende ist also gerettet!

Abbildung: „The Edison Phonograph“ Werbepostkarte (1905). (public domain, via Wikimedia Commons)

„Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand“

Bernhard und Berni

Mein Freund Berni (rechts) mit seinem Vetter Bernhard 1955 in Losser/NL

Hallo, Michael,

Deine Antwort zu Superclean Dreammachine hat mich beflügelt, Dir noch einmal meine frühere kindliche Begeisterung für den Schlager „Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand“ der niederländischen Kilima Hawaiians zu schildern. Natürlich war ich damals keineswegs gefestigt, was musikalischen Hörgeschmack betrifft. Aber das Angebot war seinerzeit – verglichen mit dem Beginn der 1960er Jahre – sehr spartanisch und die Hardware dazu auch, nämlich Kleinradio mit Bakelitgehäuse und magischem Auge in hellgrün. Neben anderen Namen stand auf der Senderwählskala das Wort Beromünster. Damit konnte ich nichts anfangen und mir darunter auch nichts vorstellen. Hörte sich trotzdem spannend an. Heute weiß ich mehr darüber. Aber wer konnte mir das seinerzeit erklären und wo konnte ich nachschauen oder nachblättern? Nun noch mal zum Pferdehalfter zurück.

Wir schreiben das Jahr 1955, ich war neun Jahre alt, konnte schon recht gut niederländisch sprechen und saß bei meinem Vetter Bernhard, der damals als gelernter Elektriker mit knappen 18 Jahren einen örtlichen Schwarzsender mit begrenzter Frequenz betrieb, auf dem sehr beengten Schinkentrockenraum auf dem Dachboden seiner elterlichen Gaststätte (Café hieß das in Holland) im Ortskern von Losser/NL, die heute noch besteht. Das war für mich ein ungeheurer Vertrauensbeweis, denn es geschah ja etwas Illegales. Bernhard erfüllte mit seinem Sender Musikwünsche seiner Freunde und Nachbarn und übermittelte gleichzeitig Grüße und Informationen.

Die Musik kam von einem Philips-Tonbandgerät. Außerdem wurden mit einem sehr einfachen Schallplattengerät Singles abgespielt. Mit dem Pferdehalfter eröffnete Bernhard jeweils seine Sendestunde für seine Hörfreunde. Das waren für mich stets aufregende und abenteuerliche Momente. Ich war dann auch dabei, als die PTT, die niederländische Post, mit ihrem Peilwagen meinem Vetter auf der Spur war, und er mit meiner Hilfe in Windeseile sein gesamtes technisches Equipment zusammenpacken und in einer Wäschetruhe und in Schinkenbeuteln verstauen und verstecken musste. Mein kleines Herz hat mächtig gebubbert, obwohl mir ja eigentlich nichts passieren konnte. Aber da war ich mir seinerzeit nicht so sicher. Soweit ich weiß, hat sich mein Vetter nicht erwischen lassen.

Das Lied der Kilima Hawaiians habe ich natürlich nie vergessen. Bruce Low und auch Ronny kamen damit erst viel später zu Erfolg und Ehren und frischten meine Erinnerungen an den Song und an die Zeit auf dem Schinkenboden wieder auf. Ich fände es angebracht, wenn zum Beispiel Eric Clapton den Pferdehalfter mal so richtig schön bluesig interpretieren würde. Den Text müsste man dann vielleicht wohl „entkitschen“.

Das beigefügte Foto zeigt mich mit meinem Vetter Bernhard 1955 im Garten des Cafés. Ich hatte ein neues Fahrrad bekommen, mit dem ich in den Sommerferien rund 20 Kilometer von Schüttorf nach Losser gefahren bin.

Mit bestem Gruß

Berni

Bitte akzeptieren Sie YouTube-Cookies, um dieses Video abzuspielen. Wenn Sie diese akzeptieren, greifen Sie auf Inhalte von YouTube zu, einem Dienst, der von einer externen dritten Partei bereitgestellt wird.

YouTube Datenschutz-Richtlinie

Wenn Sie diesen Hinweis akzeptieren, wird Ihre Wahl gespeichert und die Seite wird aktualisiert

Top