Hörtagebuch

Emotionsmaschine

Schon einige Tage nichts geschrieben im Radionisten – ob mir der Stoff ausgegangen ist? Sicher nicht. In der vergangenen Woche hatte ich sogar ein besonderes Erlebnis.

Segschneider – ein Leser dieses Blogs – hatte mich eingeladen, seine von ihm entwickelte und gebaute Musikanlage anzuhören und zu diesem Zweck ein paar meiner CDs mitzubringen, die ich gut kenne und einschätzen kann. Mein Gastgeber hört wie ich mit Röhrenverstärkern kleiner Leistung an wirkungsgradstarken Breitband-Lautsprechern vom Schlage SABA Greencone.

In die Verstärker darf ich hineinsehen. Auf den ersten Blick erkenne ich, dass hier – anders als bei meinen Bastelgeräten, die letztlich immer noch ein wenn auch winziges Brummen im Ausgangssignal aufweisen – ein erheblicher Aufwand in Sachen Spannungsversorgung getrieben wurde. Ganze Batterien von RC-Gliedern sorgen für einen großen Störabstand von Nutzsignal (Musik) zu Störsignal (Netzbrummen). Die Geräte sind äußerst sorgfältig aufgebaut aus selektierten Bauteilen und ausgesuchten Röhren, die in der Hochzeit der Röhrenära – den 50er Jahren – hergestellt wurden.

Chet Baker - The Last Great Concert (2CD 1988)Kein Wunder, dass diese Apparate Musik in einer Weise wiedergeben, wie ich es von meinen Verstärkern bestenfalls im Ansatz kenne. Das merke ich besonders, als wir uns gemeinsam einige Stücke der von mir mitgebrachten CD „The Last Great Concert“ von Chet Baker anhören. Der amerikanische Trompeter spielte diese Musik zwei Wochen vor seinem tragischen Tod – er fiel in Amsterdam aus einem Hotelfenster – zusammen mit der NDR-Bigband in Hannover ein. Mein Gastgeber bemerkt, er habe schon besser produzierte Rundfunk-Produktionen gehört, aber was ich da erlebe, raubt mir fast den Atem: ich nehme die Musikereignisse nicht nur aus verschiedenen Richtungen wahr, sondern auch in der räumlichen Tiefe gestaffelt. Ein beinahe körperlich präsenter Chet Baker ganz vorn und dahinter in unterschiedlichen Abständen die Orchestermusiker.

Dann das Signaturstück Chet Bakers: „My Funny Valentine“. Solange Baker sein Instrument spielt, kann ich noch an mich halten. Aber dann fängt er an zu singen, mit dieser etwas weiblichen, im Alter und nach einem wechselhaften und von Drogenkonsum gezeichneten Leben brüchig gewordenen, aber immer noch faszinierenden Stimme:

My funny valentine
Sweet comic valentine
You make me smile with my heart
Your looks are laughable
Unphotographable
Yet you’re my favourite work of art

© Rodgers/Hart

Tausendmal gehört, aber jetzt überwältigt mich diese Aufnahme. Da ich die Fernbedienung des CD-Players in der Hand habe, mache ich die Musik schnell aus, bevor mir die Tränen kommen.

Damn, das weckt Wünsche in Bezug auf die eigene, bisher für gut gehaltene Musikanlage …

Thomas Köner – Novaya Zemlya (CD 2012)

Novaya Zemlya ist eine russische Insel im Nordpolarmeer.

Thomas Köner - Novaya Zemlya (CD 2012)Wenn ich Thomas Köners aktuelles Album Novaya Zemlya höre, laufen in meinem Kopf ganze Bilder- und Gedankenketten ab. Der Künstler setzt seine visuellen, klanglichen und lautlichen Assoziationen zu diesem kargen, eisbedeckten Landstrich in eine faszinierende Geräuschcollage um und nimmt mich so mit auf eine Art innerer Reise:

Ich befinde mich an Bord eines Expeditionsschiffs nördlich des Polarkreises. Die Mannschaft richtet sich aufs Überwintern im Packeis ein. Die Fahrrinne wird seit Tagen immer enger, das Eis rückt näher – an Umkehr ist nun nicht mehr zu denken, auch nicht an weiteres Fortkommen. Untätig liege ich unter Deck in meiner Koje und lausche. Schiffsrumpf, Packeis und Wasser vereinen sich zu einer Art riesigem Resonanzraum. Ich vernehme fernes tieffrequentes Grollen und dessen Nachhall. Von irgendwo her höre ich kalbende Eisberge, aufeinander prallende Platten, Sirren, Klopfen, Brechen, Wimmern. Die unwirtliche Landschaft um mich herum singt und atmet in ihrem ureigenen Rhythmus. Irgendetwas Vielstimmiges nähert sich und entfernt sich wieder. Dann meine ich, Gesprächsfetzen aufzufangen. Es scheint sich um so etwas wie unverständlichen Funkverkehr zu handeln. Das Gemisch von Klängen, Tönen, Geräuschen aber beunruhigt mich nicht – im Gegenteil fühle ich mich geborgen in dieser eigentümlichen Musik.

heavy rotation Vol. 11: Donald Fagen – Sunken Condos

So ein cooler Hund!

Darf man so was einfach so hinschreiben? Ach sicher, wenn es Donald Fagen betrifft und überdies bewundernd gemeint ist, muss man das sogar tun.

Donald Fagen - Sunken Condos (CD 2012)Der gute Fagen, mittlerweile 64 Jahre jung, legt mit Sunken Condos sein viertes Soloalbum vor. Dabei bleibt er dem wunderbar eigenen Stilmix aus Rock, Jazz, Funk und Blues treu, den er und sein musikalischer Partner Walter Becker schon vor 40 Jahren für ihr Duo-Projekt Steely Dan fanden.

Man nimmt es Fagen nicht übel, dass er gar nicht erst versucht, sich musikalisch „neu zu erfinden“, wie es gern mal so heißt. Nein, diese Musik kommt gerade so daher, wie ich das von einem Fagen-Album auch erwarte. Irgendein schlauer Rezensent schrieb sinngemäß, das sei auch in Ordnung, solange Fagen immer wieder neue Geschichten erzähle. Genau das tut er. Er singt vom Altern, von problematischen Liebesbeziehungen und verpatzten Lebensentwürfen. Und er macht das mit ungeheurer Lakonie.

Was mich so fasziniert an Fagens Musikantentum, ist diese auf die Spitze getriebene Beiläufigkeit. Man verstehe das nicht falsch: Beiläufigkeit hat in diesem Fall überhaupt nichts mit Nachlässigkeit oder Langeweile zu tun. Nein, gemeint ist die Selbstverständlichkeit, Unaufgeregtheit, Lockerheit – die Franzosen nennen es Nonchalance -, mit der hier perfekte Popmusik gemacht wird. Toll, diese mal treibenden, mal verschleppten Rhythmen, die da aus dem Lautsprecher perlen, pluckern, slappen, grooven als wär’s nichts. „Wenn ich schon mal hier bin, kann ich ja auch ein bisschen rumklimpern …“ könnte Fagen selbst das kommentieren – so kommt es mir manchmal vor und ich bin begeistert.

Noch ein Wort zum Albumtitel: der Begriff condos ist abgeleitet vom lateinischen con-dominium und meint in diesem Fall schlicht Eigentumswohnung. „Versunkene Eigentumswohnungen“ also heißt dieses Album. Das steht wohl mehr als deutlich für all die unerfüllten Träume.

Was sonst noch für den Einsatz von Röhrenverstärkern spricht

Gestern Abend hatte ich ein längeres interessantes Telefongespräch mit einem Leser des Radionisten. Da ging es um sehr viele Themen, die hier gelegentlich im Blog behandelt werden, besonders aber ums Musikhören und natürlich sprachen wir auch über Röhrenverstärker, über die mein Gesprächpartner vermutlich schon mehr vergessen hat, als ich jemals gewusst habe. Während des Gesprächs erinnerte ich mich an etwas, was für lange Zeit in Vergessenheit geraten war und ich erzählte meinem Gegenüber davon. Den wunderte diese Geschichte allerdings gar nicht:

MonroeAls in unserem Wohnzimmer noch eine gekaufte transistorisierte „HiFi“-Anlage stand – die Marke will ich verschweigen, sie tut auch nichts zur Sache -, suchte Monroe, die Vorgängerin unserer Hündin Smilla, jedesmal nach den ersten Takten aufgelegter Musik das Weite. Sie stand einfach auf und verzog sich auf ihre Decke in der Küche. Mit der Inbetriebnahme des ersten Eigenbau-Röhrenverstärkers hörte das schlagartig auf. Seitdem blieb sie bei uns im Wohnzimmer, wenn wir Musik hörten. Den Transistorverstärker baute ich endgültig ab. Er ist mittlerweile verschenkt.

Wir haben überhaupt die Erfahrung machen dürfen, daß Hunde sehr intelligente Tiere sind.

Dave Brubeck – † 05.12.2012
Ravi Shankar – † 11.12.2012

Dave Brubeck – Foto & © by Frank C. MüllerDave Brubeck – Foto & © by Frank C. Müller

„Er nahm fünf …“ so begann Ralf Döring, von mir gern gelesener Feuilletonredakteur der Neuen OZ, seinen Nachruf auf den großen Dave Brubeck. Der begründete seinen Ruhm mit einem bahnbrechenden Album: Time Out. Der Name war Programm: „aus der Zeit gefallen“ – was die bis dahin gängigen Taktmaße im Jazz anging – waren bis auf eins alle Stücke dieser Platte. Das bekannteste sicher Take Five, eine in ihrer Geschmeidigkeit noch immer begeisternde Komposition von Brubecks Altsaxofonisten Paul Desmond, geschrieben im 5/4-Takt. Der als feinsinnig geltende Brubeck erschloss aber nicht nur dem Jazz neue Taktmaße, sondern sorgte auch für Akzeptanz des Jazz bei einem bürgerlichen Publikum.

In der letzten Woche verstarb Brubeck einen Tag vor seinem 92. Geburtstag an Herzversagen.

Ravi Shankar 2009, Foto & © by Alexandra Ignatenko

Ravi Shankar 2009, Foto & © by Alexandra Ignatenko

Mit Ravi Shankar starb 92jährig ein weiterer „großer Alter“ der Musik. Der indische Komponist und Sitarspieler wurde einem größeren westlichen Publikum bekannt durch seine Zusammenarbeit mit Musikern wie George Harrison oder Yehudi Menuhin. Zeitweise von der Hippiebewegung vereinnahmt, von der er sich aber distanzierte, wurde er zu einem frühen Wegbereiter einer Weltmusik.

Mit Norah Jones und Anoushka Shankar hinterlässt er zwei Töchter, die beide erfolgreiche Musikerinnen sind.

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