Vom Höcksken aufs Stöcksken …

Frank Chastenier © by Elke Wetzig via Wikimedia Commons

… wie die Ostwestfalen gern sagen, oder hochdeutsch: vom Hölzchen aufs Stöckchen – das ist eine gute Umschreibung gerade auch fürs musikalische Sichtreibenlassen, das manchmal zu erstaunlichen Ergebnissen führt!

Dies mein Streifzug vom letzten Samstag:

Roger Willemsen © by Sharon Nathan via Wikimedia Commons
Roger Willemsen © by Sharon Nathan via Wikimedia Commons

Da, wo’s um öffentlich-rechtlich dargebotene und erklärte Kultur geht (in bestimmten Nischen also), ist dieser Tage alles voll vom Gedenken an Roger Willemsen, der vor einer Woche 60jährig „völlig zu Unrecht“ – so würde Hanns Dieter Hüsch es ausgedrückt haben, wenn er denn noch lebte – an den Folgen einer Krebserkrankung starb. Willemsen war ein Gebildeter und Intellektueller im ganz positiven Sinne, ein Welterklärer frei von Besserwisserei. Ein druckreif-Redner, stilsicher, mitreißend, ein Erzähler, ein Fanatiker für die gute Sache. Und ein Musikkenner vor dem Herrn!

Mein musikalisches Michtreibenlassen durchs Wochenende begann wie schon so oft mit der Sendung Klassik-Pop-et cetera des Deutschlandfunks, in der jeden Samstag um 10 Uhr jeweils eine Stunde lang Kulturschaffende „ihre“ Musik auflegen. Man wiederholte eine Sendung, die Roger Willemsen 2008 gestaltet hatte. Willemsen war als Aufleger im Radio durchaus geübt: über Jahre stellte er in der Sendung „Willemsen legt auf“ auf NDR Kultur jeweils ein Werk aus Jazz und Klassik einander gegenüber – eine Reihe, die ich mit Gewinn gehört habe! Zwei Stücke aus seiner Auswahl am Samstag berührten mich besonders: Cannonball Adderley mit „I worship you“ und Frank Chastenier mit einer Interpretation des Grönemeyer-Titels „Mensch“.

Frank Chastenier © by Elke Wetzig via Wikimedia Commons
Frank Chastenier © by Elke Wetzig via Wikimedia Commons

Chastenier ist seit 1991 Pianist und Keyboarder der WDR-Bigband. Er ist auf zahlreichen CDs der WDR Bigband zu hören und hat mit Till Brönner, Thomas Quasthoff, Roger Willemsen, Helen Schneider, Manfred Krug, Rolf Kühn und Paquito d’Rivera zusammengearbeitet – um nur einige zu nennen.

Frank Chastenier - For You (CD 2004) Frank Chastenier - Songs I've Always Loved (CD 2010)Spotify bietet Chasteniers zwei „amtliche“ Soloalben „For You“ (2004) und „Songs I’ve Always Loved“ (2010) zum Streaming. Beide überraschen mir Ihrer Titelauswahl: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, „Je ne regrette rien“, Grönemeyers „Mensch“, „Alone Again, Naturally“ und schließlich den Franz Lehar-Heuler „Dein ist mein ganzes Herz“ hat wohl kaum jemand auf Anhieb auf der Rechnung, wenn er an Jazz denkt. Chastenier verlangsamt drastisch – bis zur gelegentlichen Beinah-Unkenntlichkeit – das Material, versetzt es geschmackvoll mit jazztypischen Harmonien, lässt ihm die Weile, die es gut werden lässt. Heraus kommt intensiver, intimer Klavier-Kammerjazz – mit gelegentlichen Solo-Beiträgen des Trompeters und Chastenier-Freundes Till Brönner, der die beiden Alben auch produziert hat. Nicht genug zu loben Chasteniers Trio-Partner Hans Dekker (dr) und John Goldsby (b), Kollegen aus der WDR-Bigband.

https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_GuldaAls ich Chasteniers Interpretation von „Someday My Prince Will Come“ höre, renne ich zum Plattenregal und ziehe eine LP von 1983 hervor: „The Meeting“ mit Chick Corea und Friedrich Gulda. Die beiden Pianisten improvisierten gemeinsam auf einer Bühne anlässlich des Münchner Klaviersommers 1982. Ein Improvisationsstrang der beiden mündete in in genau dieses eigentlich jazzferne Stück, das ursprünglich aus dem Disney-Zeichentrickfilm „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ stammt. Während Chastenier das Stück sehr impressionistisch interpretiert, scheinen Gulda und Corea um federnden Swing bemüht. Sehr unterschiedliche Auffassungen, aber keine davon weniger faszinierend!

Mittlerweile habe ich schon einige Stücke gehört, die man überhaupt nicht dem Jazz zuordnen würde, die sich aber – von großartigen Musikern in die Hand genommen – wie selbstverständlich in Jazz verwandeln. Sofort fallen mir weitere Musiker an, die so etwas hervorragend hinbekommen: der Pianist Monty Alexander mit seinen Begleitern John Clayton (b) und Jeff Hamilton (dr). Leider habe ich nur zwei LPs in dieser fabelhaften Besetzung. Auf „Monty Alexander – Live At The Montreux Festival“ von 1977 (MPS) gibt es eine umwerfende Version des Morris Albert-Titels „Feelings“, die genau in diese Reihe passt. Auf meiner zweiten Alexander-Trio-LP „Reunion in Europe“ (1984) finden sich der von Charlie Chaplin geschriebene Song „Smile“ sowie „Ben“, eine 1972 vom sehr jungen Michael Jackson gesungene Schnulze, die ich sogar mal auf einem verloren gegangenen Sampler namens „Tamla Motown is hot, hot, hot!“ besessen habe. Zu Jazz geworden sind das faszinierende Nummern!

Danach surfe ich noch mal zu Frank Chastenier zurück und finde auf YouTube einen Konzertausschnitt der WDR Bigband mit dem Altsaxofonisten und Funkmusiker Maceo Parker. Was Chastenier hier auf der Hammond-Orgel fabriziert, ist wild und genial und stachelt wiederum Maceo Parker zu Höchstleistungen an seinem Instrument an – toll! Dies also zum Abschluss:

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