Dr. Götz Wilimzig: Gedanken zur LINE-Stufe – Teil 1

Kürzlich erhielt ich eine Nachricht von Götz Wilimzig. Dessen Name wird bekannt sein – er ist einer der Autoren des Buches „Höchst empfindlich“ (2002). Nach wie vor bekommt er Leserzuschriften von Nachbauinteressenten der im Buch vorgestellten Verstärker-Konzepte und wird gefragt, ob es dazu Neuerungen gibt. In Sachen PL82-Endstufe und Spannungsversorgung kann seit Kurzem auf den Audionistenblog verwiesen werden. Bleiben allerdings die Fragen nach einer geeigneten LINE-Stufe. Ob ich mir vorstellen könne, einen von ihm verfassten Beitrag darüber im Audionisten zu veröffentlichen?

Natürlich – hier ist er!


Ein Leserbrief

Sehr geehrter Herr Wilimzig,

nach der Lektüre ihres sehr anregenden Buches „Höchst empfindlich“ treiben mich zwei Fragen um. Zum einen sind seit dem Erscheinen des Buches ein paar Tage ins Land gezogen und auch Sie werden in Ihrem Schaltungsdesign nicht stehen geblieben sein. Daher die Frage, ob der abgedruckte Vorverstärker-Schaltplan nach wie vor Ihre aktuellste Empfehlung zum Thema Vorverstärker ist. Zum anderen empfehlen Sie MKP 4 Kondensatoren, die nach meinen letzten Informationen von WIMA nicht in 7,5 nF oder 33nF gefertigt worden sind. Wo liegt mein Denkfehler?

(…)

Ich denke, dass Sie jede Menge Anfragen zum Thema bekommen und deshalb nicht alle zufrieden stellen können. Kein Problem, das kann ich gut verstehen. Sollte ich nichts von Ihnen lesen, probiere ich auf Basis der Schaltung einfach fröhlich selbst, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin oder eben nicht.

Ihnen und Ihren Mitstreitern an dieser Stelle auf jeden Fall ein ganz dickes Dankeschön!

A.D.

Wo er recht hat, hat er recht. Seit der Erstellung unseres Buches ist einige Zeit vergangen, und ich würde heutzutage bereits erhebliche Schwierigkeiten haben, damals noch recht leicht – und recht preiswert! – erhältliche Röhren zu beschaffen. Inzwischen ist der Siegeszug des Digitalen weiter fortgeschritten, und das hat Folgen in Bezug auf den Vorverstärker. Ich freue mich daher über die Möglichkeit, im Audionisten einige Gedanken zu diesem Thema veröffentlichen zu können, zumal eine Weiterführung des PL82-Projektes an dieser Stelle schon erschienen ist.

Digital und analog

Richtiger wäre es wohl, digital oder analog zu sagen. Denn die Erfordernisse des digital orientierten Hörers sind andere. Jeder benötigt einen Eingangswahlschalter, eine Lautstärkeregelung und eine Ausgangsstufe. Ein Hörer, der moderne Quellgeräte einsetzt, braucht eine geringe bis gar keine Verstärkung, eine ausreichend niedrige Ausgangsimpedanz und sonst nichts.

LINE-Stufe für digitale Quellen
LINE-Stufe für Quellen mit hohem Ausgangspegel

Der Schallplattenhörer kommt ohne RIAA-Entzerrung nicht aus. Sie könnte als eigenständiges Gerät vor die eben skizzierte Linestufe gesetzt, oder nach der Eingangswahl in eine komplette Vorstufe integriert werden, wenn, ja wenn die Verstärkung ausreichte. Tut sie aber in den üblichen Fällen nicht. Nur zu Zeiten des röhrenbetriebenen Rundfunks war es üblich, im Studio alle Geräte mit einem Norm-Ausgangspegel zu versehen; das waren damals 1,55 Volt oder in Technikersprech „0 dbV“. Eine vergleichbare Vereinheitlichung hat sich im HiFI-Bereich aber bis heute nicht durchsetzen können. Deshalb empfiehlt es sich, die Linestufe des Analogfreaks mit einer nicht zu knappen Verstärkung auszustatten.

LINE-Stufe für Vinyl-Freunde
LINE-Stufe für Vinyl-Freunde

Die geschilderte Sachlage macht es schwierig, für beide Hörertypen ein und dasselbe Gerät zu konstruieren. Eine Linestufe, die – sagen wir mal – 30fach verstärkt, ist dem Schallplattenliebhaber sehr willkommen und verschafft ihm Wahlmöglichkeiten dahingehend, welche RIAA er favorisieren möchte. Wer seinen CD-Spieler anwirft, könnte hier leicht einen Overkill erleben. Die Lautstärke müsste so dramatisch zurückgefahren werden, dass das eingesetzte Potentiometer in seinen niedrigsten und damit ungünstigsten Arbeitsbereich käme – die Dinger sind da einfach am ungenauesten. Und auch die Rauschproblematik wird sich wohl unangenehm bemerkbar machen. Als Kompromiss wäre eine Verstärkung von zehn- bis fünfzehnfach anzupeilen. Sofern man sich beim Thema Rauschen anstrengt, könnte das eine für beide Seiten akzeptable Lösung sein.

Die Röhrenproblematik

Vielleicht hilft ein kleines Beispiel zur Verdeutlichung. Von meinem Freund Alex Kriegel wurde eine Vorstufe veröffentlcht, die auf der Röhre D3a basiert. Der Entwurf wurde und wird lebhaft diskutiert – die Suchmaschine weiß alles – und verursacht immer wieder Probleme, die recht schwer oder gar nicht zu lösen sind. Denn die D3a ist eine Poströhre. Und Poströhren waren ausschliesslich zum Einsatz in stationären Geräten bestimmt. Typischer Fall damals: Röhre von Firma X geliefert – ja, genau, von diesem heute noch existierenden Großkonzern – im Hunderterpack selbstverständlich, Röhre ins betreffende Gerät gesteckt, Röhre nach ein oder zwei Jahren und zehntausend oder mehr Stunden wieder rausgezogen. Fertig. Rütteln, vielfach hin und her transportieren oder gar Stoßbelastung, all das kam im Postbetrieb nicht vor, und dafür waren diese Röhren auch konstruktiv nicht ausgelegt. Überdies ist die D3a eine Diva, extrem in ihren Eigenschaften, an der Kante des Machbaren konstruiert und gebaut. Und wie es bei Diven so ist: einiges mag sie nicht. Man kann sie ganz leicht ruinieren. Wenn sie heiß ist, im Betrieb oder ein paar Sekunden nach dem Ausschalten, einfach ihr einen kräftigen Stoß verpassen, und fortan klingelt sie erbärmlich, Mikrofonie gibt es gratis als Dreingabe. Für den Konstrukteur ist sie dennoch ein Faszinosum mit (fast) einmaligen Eigenschaften, und ja, auch ich bin dieser Faszination schon erlegen. Die klanglichen Qualitäten sind ebenfalls nicht von Pappe, im besten Falle liefert die D3a eine kraftvolle und hochdynamische Darstellung (… wer den extrem guten Stimmbereich sucht, fährt besser mit der C3g oder der C3m). Mit anderen Worten: dieser an sich so erfreuliche Entwurf wurde und wird mit der Röhrenwahl leider problematisch. Wo soll man heutzutage, nach einem halben Jahrhundert (!) D3a-Röhren hernehmen, die nie geschüttelt wurden, die keine Mikrofonie haben, die aufgrund von Fehlbehandlung nicht rauschen und klingeln? Ich habe etwa ein Dutzend Paare im Hause, und einem oder zwei Paaren davon könnte ich diesbezüglich vielleicht vertrauen. Deshalb setze ich – obwohl ich weiterhin von ihren positiven Eigenschaften schwärme! – diesen Typ für mich nicht mehr ein.

Noch kritischer als die Röhrenwahl an sich sind die wie Butter in der Sonne dahinschmelzenden Bestände alter und bester Röhren. Und ich wäre ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn ich da Namen nennen würde. Denn das würde doch nur dazu führen, dass (a) die Preise der letzten verbliebenen Röhren in die Höhe schnellten und (b) einige Mitmenschen mit dickerem Portemonnaie mir alles wegschnappten. Das ist ja schon in den sprichwörtlichen Volksmund eingegangen: Wer seine Quellen verrät, bringt sie zum Versiegen.

Eine solche Situation ist unerfreulich, da hilft kein Beschönigen. Und bis heute haben die Röhren aus neuerer Produktion einen langen Weg zurückzulegen, bis sie mit den großen alten Spitzenprodukten mithalten können. Auch das ist unerfreulich, aber leider allzu oft zutreffend. Deshalb möchte ich im Folgenden zwei Fremdentwürfe vorstellen, die teils als open source dem Nachbauer zur Verfügung stehen, teils als Platinenversion oder vollständige Geräte angeboten werden. Abschließend möchte ich dann dem zum Experimentieren geneigten Selbstbauer beschreiben, wie man auf der Basis einer vielleicht vorhandenen oder noch beschaffbaren Röhre zu einer brauchbaren Linestufe gelangen kann.

PS. Als kleines Dankeschön für einen Leserbrief: anstelle von MKP4 kann man mit den – laut WIMA – noch besseren FKP2 aus 6,8 nF plus 680 pF den Wert von 7,5 nF bilden, bei ungenauen Werten auch nominal 6,8 nF plus nominal 820 pF.

hier geht’s zum zweiten Teil

Götz Wilimzig

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