heavy rotation Vol. 17: Charlie Haden Family & Friends – Rambling Boy

Ein Freund versorgte mich netterweise mit einem Stapel von CDs des im Juli verstorbenen Jazz-Kontrabassisten Charlie Haden. Da ich zwar wusste, wer Haden war und was er darstellte, aber keine großen Repertoirekenntnisse seines Werkes hatte, kam mir das sehr recht. Unter diesen Alben fand ich eines, das mir derzeit das liebste ist:

Charlie Haden Family & Friends - Rambling BoyCharlie Haden Family & Friends – Rambling Boy (CD 2008)
Charlie Haden trat schon als knapp Zweijähriger zusammen mit seiner Familie als Haden Family Radio Show auf. Das Repertoire bestand zu großen Teilen aus Country- und Westernmusik, was Haden als Musiker nachhaltig beeinflusste. In seinen frühen Zwanzigern spielte Haden, der sich mittlerweile für den Kontrabass als sein Instrument entschieden hatte, mit führenden Jazzmusikern zusammen. Er gehörte zum Doppelquartett Ornette Colemans, das 1960 das wegweisende Album „Free Jazz – A Collective Improvisation“ aufnahm. Dies am Beginn einer langen Karriere, die ihn immer wieder mit bekanntesten Jazzgrößen wie Pat Metheny, Keith Jarrett, Jan Garbarek, Chet Baker, John Scofield und vielen anderen zusammenbrachte. Für Plattenliebhaber nicht unwichtig: Haden spielte etliche Alben für Manfred Eichers Label ECM ein.

Haden war ein politisch denkender Mensch, so engagierte er sich gemeinsam mit anderen Künstlern in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und gegen den Vietnam-Krieg.

Als habe er im Alter in Erinnerung an seine Anfänge in der Familienband einen Kreis schließen wollen, nahm Haden anlässlich seines 70sten Geburtstages zusammen mit seiner Frau Ruth Cameron, seinen Drillingstöchtern Petra, Rachel und Tanya und seinem Sohn Josh die hier zu besprechende Platte „Rambling Boy“ auf. Dazu lud er (musikalische) Freunde ein: Elvis Costello, Pat Metheny, Bruce Hornsby, Rosanne Cash und noch einige andere, die mir weniger bekannt sind.

Was diese muntere, vor Musikalität sprühende Truppe da eingespielt hat, zeugt von herrlich unbefangenem, frischem Umgang mit der amerikanischen Musiktradition. Traumhaft schön, wie hier traditionelle Countrymusic-Spielweisen und der von den Haden-Schwestern meisterlich beherrschte Americana-Harmoniegesang mit aus dem Jazz bekannten Harmonien zusammenkommen.

Dieses Album hat viele schöne Momente. Eins meiner Lieblingsstücke ist die von Ruth Cameron vorgetragene Ballade „Down By The Sally Gardens“, aus der sich im Mittelteil ein typischer Metheny-Lauf herausschält. Der Gesang ist hier einfach phantastisch, völlig entkernt und ohne Manierismen. Ich stelle mir dabei eine schöne, ungeschminkte Frau vor …

Wunderbar auch „You Win Again“ mit Elvis Costello. Den verbuche ich eigentlich immer schon in die Kategorie „begnadeter Nichtsänger“. Auch hier wird er mit seinem suchenden, leicht nölenden Gesang meiner Schubladisierung gerecht.

Das von Petra Haden mit klarer Stimme gesungene „The Fields Of Athenry“ beginnt als sparsam mit Akustikgitarre und Fiddle begleiteter Country-Song, um dann wie von ungefähr eine harmonische Brechung Richtung Jazz zu erfahren. Schon jetzt schimmert ein bisschen Metheny durch – auch in den Gesang mischen sich Jazz-Phrasierungen. Bass, später Schlagzeug und Klavier setzen ein, dann ein Banjo-Solo – jetzt hat die Musik aber endgültig die Grenze zum Jazz überschritten. Stimme und Instrumente werden lauter, der gesamte Sound verdichtet sich, jetzt noch ein eindeutig Pat Metheny zuzuordnendes Gitarrensolo und der Song mausert sich zur Hymne. Phantastisch!

Schlau: gleich im Anschluss wieder ein „typischer“ Countrysong mit Bass, Gitarre, Fiddle und knarzigem Gesang, diesmal eingesungen von Dan Tyminski, einem Bluegrass-Musiker aus dem Umfeld von Alison Krauss.

Die letzten beiden Tracks stellen dann den eigentlichen Höhepunkt des Albums dar. Zuerst hören wir den kleinen Charlie Haden in einer Originalaufnahme der Haden Family Radio Show, und in der letzten Aufnahme den 70jährigen Haden mit seinem einzigen Gesangspart „Oh Shenandoah“. Seine Stimme klingt dünn und zerbrechlich. In seiner Jugend erkrankte Haden an einer leichteren Form von Kinderlähmung, was zu lebenslangen Schäden an den Stimmbändern führte. Als letzten diesen Song zu hören, erzeugt in mir als Zuhörer dann doch sentimentale Gefühle. Für den in Shenandoah, Iowa geborenen Haden schließt sich hier ein (Lebens-)Kreis.

Dieses im Kreise von Familie und Freunden eingespielte Album darf nun, fast zwei Monate, nachdem Charlie Haden an den Spätfolgen seiner Polio-Erkrankung starb, als eine Art Vermächtnis angesehen werden.

Bernis Blues-Geschichte

Paul Jones - The Blues Band © 2014 by Thomas Osterfeld, Neue Osnabrückwer ZeitungDieses Foto zeigt den Bluessänger und Bluesharmonika-Spieler Paul Jones, Frontmann von The Blues Band. Aufgenommen wurde es von Thomas Osterfeld für die Neue Osnabrücker Zeitung (danke, dass ich es verwenden darf, Thomas!), genau an dem Abend, an dem sich die folgende Geschichte meines Musikfreundes Berni ereignet hat:

Ich heiße Bernd Sundag. Alle Welt nennt mich allerdings Berni. Mein Nachname ist die plattdeutsche Version von Sonntag. Die Wurzeln des Namens Sundag sind in Schüttorf zu suchen. Warum erzähle ich das? Nun, es gibt im Zusammenhang mit meiner musikalischen Vorliebe, dem Blues und den Besuchen von Blueskonzerten eine charmante Anekdote, die ich ganz einfach nicht nur für mich behalten möchte und sie hat direkt etwas mit meinem Namen zu tun.

Die Bluesliebhaber, aber sicher auch vielen andere, die mit der Blues-, Rock- und Popmusik gut zu Fuß sind, werden mit The Blues Band etwas anfangen können. Am 19. April 1980 schuf sich die englische Band in Europa, vor allem in Deutschland, eine feste Fangemeinde mit ihrem Auftritt als erster Act der 6.-Rockpalast-Nacht in der Essener Grugahalle. Sänger und Mundharmonikaspieler Paul Jones, Jahrgang 1942, wird vielen noch aus den 1960er Jahren bekannt sein als Leadsänger der Gruppe Manfred Mann. Mehr als 30 Jahre sind die Jungs der Blues Band nun schon musikalisch unterwegs. Anfang 2014 gab es zwei Konzerte, die von meiner Heimatstadt Schüttorf gut und schnell zu erreichen waren. Am 5. Februar im südemsländischen Heimathaus in Twist, dem heimlichen Bluesmekka Europas, wie wir gerne anmerken und wo ich mit einer Schüttorfer Gruppe zu den regelmäßigen Besuchern zähle, und am 11. Februar im Rosenhof in Osnabrück. In irgendeiner Pressemitteilung war zu lesen, dass die Gruppe möglicherweise auf Abschiedstournee sei, also hatten Ralf, Hille und ich Grund genug, beide Konzerte zu besuchen.

Zu meinen Lieblingsstücken der Blues Band gehören unter anderem „Boom, Boom, Out Go The Lights“ und „Flatfoot Sam“. Kurze Kontaktaufnahmen mit den Künstlern sind in der Kleinläufigkeit des Heimathauses in Twist und im Osnabrücker Rosenhof ganz gut zu bewerkstelligen. In Twist auf die Stücke angesprochen, verwies Paul Jones noch auf die festgelegte Setlist. Im Rosenhof wiederholte ich in der Pause meine Frage an ihn während er CDs verkaufte und signierte. Er schaute kurz von seiner Tätigkeit hoch und fragte mich mit einem freundlichen Blick: „What’s your name?“ Ich war zuerst geneigt, korrekt meinen mir angestammten Namen zu nennen, nicht wissend, warum er das wohl wissen wollte, habe dann aber noch einmal kurz innegehalten und einer Eingebung folgend BERNIE SUNDAY gesagt. Es stellte sich später heraus, dass das eine nette Konsequenz hatte. Das Konzert war beendet und die Band verschwand hinter der Bühne. Einige Minuten später nach stabilen Zugabeforderungen des Publikums kam Paul Jones behände zurück, eilte ans Mikrofon und verkündete laut und vernehmlich:

„Our Last Song Is Dedicated To The Gentleman BERNIE SUNDAY! – Flatfoot Sam!“

Was soll ich sagen, dieses Stück war der wahre Kracher des Abends, wie die Reaktionen des Publikums zeigten. Ralf und Hille sahen mich staunend an. In ihren Gesichtern stand deutlich die Frage: Wie hat er das denn bloß gedeichselt?

Mich amüsiert natürlich der Gedanke, ob es zu dieser überraschenden Ankündigung auch gekommen wäre und damit ein so apartes Konzertende für mich gegeben hätte, wenn ich vielleicht Heinz-Helmut Große Stoppelkötter (fiktiver Name!) geheißen hätte??? Ich weiß es nicht und es ist ja auch nicht wirklich wichtig, oder?

R.I.P. – Juli 2014

Tommy Ramone – †11. Juli
Charlie Haden – †11. Juli
Johnny Winter – †16. Juli
Dietmar Schönherr – †18. Juli

Ramones (LP 1976)Tommy Ramone (eigentl. Tamás Erdély) war Schlagzeuger und letzter noch lebender Mitbegründer der Punk-Band Ramones. Aus Anlass seines Todes am 11. Juli nahm ich zum ersten Mal nach langer Zeit die selbstbetitelte Debut-Scheibe der Band aus dem Regal. Ich muss sagen, das Album klingt nach all den Jahren noch immer sehr frisch. Zur Hoch-Zeit des verfrickelten, gitarrensololastigen und sicher oft auch intellektuell verschwurbelten Progrocks a la Yes, Emerson, Lake & Palmer, Genesis und Gentle Giant stellten sich hier vier von musikalischer Virtuosität weitgehend unbelastete Musiker(?) hin und spielten einfach munter drauf los. Alben wie dieses ebneten dem Punkrock den Weg, der letztlich der progressiven Rockmusik das Wasser abgrub.

Charlie Haden & Pat Metheny - Beyond The Missouri Sky (CD 1997)Ebenfalls am 11. Juli starb 76-jährig der amerikanische Jazz-Kontrabassist Charlie Haden. In jungen Jahren spielte er Free Jazz bei Ornette Coleman. Mir gefielen allerdings seine späteren Schaffensphasen in Zusammenarbeit mit Künstlern wie Keith Jarrett oder Pat Metheny besser. Hier zeichnete er sich durch eine sehr schlichte Art des Bassspiels aus. Sehr schön hört man das auf dem Album Beyond The Missouri Sky von 1997 mit Pat Metheny, das mir dankenswerter Weise ein Musikfreund hat zukommen lassen. Es läuft bei mir derzeit beinah in heavy rotation.

Johnny Winter - Nothin' But The Blues (LP 1997)Ach ja, Johnny Winter … dass er überhaupt 70 Jahre alt wurde, wundert mich im Nachhinein sehr. So lange ich denken kann, machte dieser Mann einen angegriffenen Eindruck. Man sagte ihm – wohl nicht zu Unrecht – Drogen- und Alkoholexzesse nach, wegen seiner geringen Sehkraft – bedingt durch seinen Albinismus – musste er schon lange auf die Bühne geführt und zuletzt auch im Rollstuhl geschoben werden.
Nie werde ich seinen nächtlichen Auftritt in der Rockpalast-Nacht im April 1979 vergessen. Bis dahin hatte ich immer angenommen, weißer Blues und John Mayall seien ein und dasselbe. In dieser Nacht lernte ich durch Johnny Winter eine mir neue Spielart des weißen Blues kennen: ursprünglich, schwer, geerdet, aus dem Bauch heraus – dagegen erschien mir die Musik von Mayall vergleichsweise intellektuell, fast verkopft.
Als ich von Winters Tod erfuhr – er starb am 16. Juli in Zürich -, legte ich eine meiner Lieblings-Winter-LPs auf: Nothin‘ But The Blues.

Peter Thomas Sound Orchester - Raumpatrouille (LP 1966)Mit Dietmar Schönherr starb 88jährig am 18. Juli ein Held meiner Kindheit. Bis dahin nämlich konnte ich annehmen, Cliff Allister McLane schippere immer noch mit seiner Orion im Weltraum herum, aber auch damit ist es nun wohl endgültig vorbei. Schönherr war allerdings nicht nur Raumfahrer, sondern auch vielseitiger Schauspieler, Fernsehpionier (erste Talkshow im deutschen Fernsehen), Showmaster und vieles mehr. Außerdem machte er durch sein soziales Engagement für Projekte in Nicaragua von sich reden.
Da ich keine Tonträger mit Schönherr als Schlagersänger – ja, das war er auch! – besitze, höre ich den Soundtrack der Raumpatrouille von Peter Thomas.

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heavy rotation Vol. 16: Beck / The Moody Blues / Andreas Martin Hofmeir

Ich kann weder sagen, warum bisher die Musik des amerikanischen Musikers Beck (Beck Hansen) völlig an mir vorbei gegangen ist, noch bin ich in der Lage, so recht nachzuvollziehen, warum sich das nun geändert hat. Ich weiß aber, dass ich herzlich froh über letzteren Umstand bin. Wahrscheinlich las ich in einem meiner Lieblings-Klolektüre-Bücher, dem äußerst schlauen und humorvollen, dabei höchst kenntnisreich geschriebenen „Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee – Die Pop-Tagebücher“ von Eric Pfeil von ihm.

Beck - Morning Phase (CD 2014)Endlich war es so weit: auf dem Streaming-Portal meines Vertrauens wurde ich erstmals mit Beck und seinem unlängst erschienenen Album „Morning Phase“ bekannt. Das war Liebe beim ersten Zuhören! Vielleicht ganz gut, dass ich dieses Album völlig unbeleckt von irgendwelchem Vorwissen um vorherige Alben des Künstlers hören durfte.

Um die Morgen-Phase also geht’s. Ja, stimmt! Die nicht mal einminütige Anfangssequenz des Albums stellt so etwas wie die Verlautung einer kurzen Morgendämmerung dar. Dann setzt die akustische Gitarre ein, gefolgt von Becks Stimme: „Woke up this morning, from a long night in the storm …“ – stimmt – Unwetter, das hatten wir letzte Nacht auch … Das ist Musik, bei der man gern noch einen Moment liegen bleibt!

Die allgegenwärtigen Streicher, Becks hallig-chorig abgemischte Stimme, die doch gelegentlich in die Melancholie abgleitet und die überwiegend akustische Instrumentierung nehmen einen mit in den Beck’schen Tag, der allerdings kein nur fröhlicher ist – man wird sich auf Gefühle wie Schmerz und Verlassensein einlassen müssen … Absolut lohnend!

Beck - Morning Phase (CD 2014)Das ganze Album klingt irgendwie „retro“ und ich frage mich lange Zeit, an was mich das alles erinnert. Wahrscheinlich an 70er Jahre-Folk, Crosby, Stills, Nash & Young – vielleicht auch an Simon & Garfunkel. Sicher aber an ein bestimmtes Album der Moody Blues: „Days Of Future Passed„. Das fängt nicht unähnlich an wie das Opus Becks: die ersten drei Tracks „Morning Glory“, „Dawn“ und „The Morning“ haben den selben halligen Schmelz …

Dass das letzte Stück von Morning Phase – „Waking Light“ – mit einem Synthesizer-Outro á la Keith Emerson endet, haut mich dann endgültig um.

Andreas Martin Hofmeir - on the wayZufälle gibt’s … ! Neulich erfreute mich die Liebste mit einer ganz feinen CD: „on the way – Works for Tuba by Duda, Williams, Szentpali“ von Andreas Martin Hofmeir. Der Echo-Preisträger, Tubaprofessor und Kabarettist, der außerdem Tubist bei der bayerischen Gypsy Brass Band LaBrassBanda ist, hat hier gemeinsam mit den Münchner Philharmonikern ein Album eingespielt, das einen in Erstaunen versetzt: dieser große Blechhaufen mit dem gnubbeligen Klang … pöööt pöööt – pöööt pöööt -pöööt pöööt – pötpötpötpöt – pöööt pöööt … ist doch tatsächlich in der Lage, auch als Solo-Instrument zu gefallen – ach was: zu brillieren! Und jetzt kommt’s – das ist der Zufall: beide CDs (die von Beck und die von Hofmeir) erinnern mich an das schon erwähnte Moody Blues-Album. Auch das „Konzert für Tuba und Orchester“ des Komponisten Jörg Duda hat diese morgendliche Aufbruchsstimmung …

„Ja, wie isses nun bloß möglich?“ mag man mit Mutter Kempowski sprechen: alles hängt mit allem zusammen!

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