300B und kein Ende

Eine ironiefreie Glosse von Segschneider

Über die Qualitäten einer 300B, ob nun klanglicher oder technischer Art, lässt sich trefflich streiten. Oder vielleicht doch nicht. Denn über welche Röhre reden wir da eigentlich? „Die“ 300B gibt es längst nicht mehr, das Produktionsende bei Western Electric war mit dem Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts erreicht. Die wenigen in jüngster Zeit gehandelten Exemplare stiegen preislich in intergalaktische Höhen. Und befinden sich mittlerweile in den Händen jener japanischen Herren aus den oberen Vorstandsetagen, die sich einen separaten Hifi-Tempel, genannt Musikzimmer, abgetrennt vom Wohnhaus errichtet haben. Wir reden von einem Statement der sozialen Art, das eben nicht jeder Audiophile kann.

Für manch einen der heilige Gral: die originale 300B von Western Electric (Quelle: 2A3-Maniac)
Für manch einen der heilige Gral: die originale 300B von Western Electric (Quelle: 2A3-Maniac)

Kommen wir zu den verbliebenen 300Bs. Ihnen konnte nichts Besseres passieren als das Ableben des Originals. Sie krochen in so unglaublicher Stückzahl aus allen Winkeln, dass bereits ein Jahrzehnt später Don Jenkins in „Glass Audio“ 1998 verzweifelt fragte: „Will the real 300B please stand up?“ Diese Aufforderung verhallte ungehört und unbeachtet. Wer etwas auf sich hält am HiFi-Himmel, der produziert flugs eine 300B. Ganz so pingelig braucht er dabei nicht zu sein, die eine oder andere kleine, ganz klitzekleine Abweichung darf es schon sein. Es genügt völlig – und fördert den guten Ruf -, wenn man im Kleingedruckten auf die Abweichung hinweist. Damit heftet man sich zugleich den Nimbus des fairen Aufklärers ans Revers. Aussehen darf diese Röhre ebenfalls ganz anders als die alte Originale, ein riesiges zylindrisches Glasgehäuse stört nicht. Man sollte aber keineswegs verabsäumen, die fabelhafte Produktionsqualität zu betonen, inclusive der tausend kleinen Verbesserungen.

Und, ganz wichtig, der Preis muss stimmen! Und wie! Denn wenn der Audiophile preislich nicht mal merkt, dass er etwas Besonderes ersteht, dann nützt die ganze Vermarktungsstrategie nix. Kenner haben es schon öfter publiziert, als ich es zählen kann: eine 300B lässt sich auf dem Küchentisch zusammenfritzeln. Von geschickten Frauenhänden selbstverständlich, das war schon immer so und sollte auch so bleiben – es ist ja schließlich ein Kostenfaktor. Und so ergibt sich die Firmenstruktur einer heutigen Röhrenfirma wie von selbst. Auf die produzierenden Damen kommt ein Mehrfaches an Herren, die die wirklich wichtigen Aufgaben – nein, das ist keine Ironie, das ist echt eine Beschreibung der Wirklichkeit – übernehmen. Und das sind viele. Entwurf einer tadellosen Verpackung, damit geht es los. Wenn ich mir die simplen Schachteln aus robuster Pappe einiger meiner Lieblingsröhren, fuffzig Jahre alt mittlerweile and still going strong, die Ausführung fürs Militär, so betrachte, dann begreife auch ich: so geht’s nun nimmer. Ein Verpackungskonzept muss her! Design! Der preisliche Anspruch solide untermauert! Direktvermarktung, ein lebendiger Kontakt zum Audiophilen, Liebe zur Musik, edelste und seltenste Schallplatten, immer eine Gitarre im Ausstellungsraum – wenigstens. Auf intimeren Veranstaltungen sollte ein Gläschen Rotwein und/oder Whiskey schon mal zur Hand sein. Und so weiter.

Der Firmenchef hat keineswegs das Brett vorm Kopf, das die Neider dort vermuten. Vielmehr wurde dieses und viele andere Bretter benötigt, um spezielle Transportkisten für das Versenden der Ausstellungsstücke – was heißt hier Stücke, es sind einfach wunderschöne Artefakte, die ausgestellt werden – in passender Grösse zu bauen. Firmennamen auf den Kisten nicht vergessen! Ist wichtig! Denn der Chef unserer imaginierten Firma düst um die Welt, dass die Hacken qualmen: Tokyo, Los Angeles, New York, und bitteschön rechtzeitig zur High End in München in Deutschland sein. Aber dafür hat er ja einen Mitarbeiter, der ihn daran erinnert. Auf jeder namhaften Audiomesse vertreten zu sein, das ist nun mal der Anspruch, wenn das Produkt 300B heißt. Von nix kommt nix, und der Audiophile ist ein scheues Wild, das will zur richtigen Zeit und am richtigen Ort gejagt sein! Noch wichtiger eigentlich sind die inoffiziellen Meetings, auf denen die tonangebenden Audiophilen aufkreuzen, denn da ist der zukünftige Käufer zuhause, zur Zeit noch harmloser Audiophiler. ETF zum Beispiel, da muss man sein, und Aufsehen erregen. Nur so gehts!

Legendärer Verstärker von Western Electric aus dem Jahr 1930: der WE91A mit der 300B als Endtriode
Legendärer Verstärker von Western Electric aus dem Jahr 1930: der WE91A mit der 300B als Endtriode

Im Grunde genommen ist es recht einfach, sofern man nicht die Tatsachen verwechselt. 300B, das ist keine Röhre, das ist ein Geschäftsmodell. Und ein Geschäftsmodell kann erst dann sterben, wenn überhaupt kein Geld mehr damit verdient wird. Das ist noch lange hin, denn darum kümmern sich ja die vielen Herren, die mit den wichtigen Aufgaben – siehe oben. Produktion, das läuft so am Rande mit. Und ist in der Auslieferung schon mal im Rückstand. Dann bitte nicht vergessen: „Der grosse Zuspruch, den die Audiophilen unseren Produkten zu Teil werden ließen, führte zu Rückständen, die wir nunmehr beschleunigt …“. Es kann ja nicht immer Messe sein.

PS.

Man kann immer noch Militärröhren aus alter Produktion kaufen, die in den schlichten, stabilen Pappschachteln. Oder hab‘ ich da was verwechselt und bin schon bei den Fakenews gelandet?

Miller vs. Maxwell

John Milton Miller, 1882-1962
John Milton Miller, 1882-1962 (Bild via Wikimedia Commons – gemeinfrei)

James Clerk Maxwell, 1831 - 1879
James Clerk Maxwell, 1831-1879 (Bild via Wikimedia Commons – gemeinfrei)

Segschneider über die Miller-Kapazität

Fangen wir das Ganze langsam und gründlich an. Wenn wir einen erstklassigen Profifahrer mit deinem oder meinem Auto um den Nürburgring bolzen lassen – je schneller je besser -, dann ist garantiert, dass die Kiste an mehreren Stellen in die Luft geht. Das können wir zweifelsfrei messen: das Auto bewegt sich wirklich durch die Luft. Und nicht nur für Sekundenbruchteile, nein, deutlich länger. Nun gibt es für alles eine Theorie, sagt Mäxchen Schlaumeier, so auch für diesen Fall. Was sich durch die Luft bewegt, das fliegt.

Ob nun wie ein Vogel, der nach der fachlichen Meinung der Luftfahrtingenieure tatsächlich fliegt, oder wie eine Hummel, die nach Meinung derselben Fachleute nur kontrolliert abstürzt – für beides gibt es eine, selbstverständlich unterschiedliche Theorie, und damit müssen wir dem Auto nun zu Leibe rücken. Tut aber keiner.

Oder, halt, tut doch einer! Denn manchmal – Beispiel: der Rennwagen fliegt in die Luft und überschlägt sich rückwärts – da tun sie’s doch! Solche Fälle hat es gegeben, die Enthusiasten erinnern sich, und ja, da haben Autoingenieure dann doch an ihren Fahrzeugen Eigenschaften eines Flugzeugs festgestellt.

Und seither bleiben Rennwagen öfter mal auf der Erde. Wir sehen daraus zweierlei. Erstens hab ich recht (das ist mir sehr wichtig, ich bin gelernter Rechthaber!), und zweitens ist das Auto tatsächlich ein Flugzeug. Dummerweise glaubt das allgemeine Publikum das nicht, aber was soll’s, wir wissen es ja besser.

So, nun stürzen wir uns auf unser Lieblingsthema, die Elektronenröhre.

Sie ist ein Kondensator. Das sage nicht ich, das sagen alle. Denn wenn die Miller-Kapazität schon bis in die allgemeinen Simulationsprogramme für Röhrenschaltungen Eingang gefunden hat, dann ist diese Weisheit wohl bei allen angekommen. Was eine Kapazität ist, wissen wir seit Maxwell genau. Ein Kondensator ist ein Aufbau bestehend aus zwei sich gegenüberliegenden Platten mit einem Dielektrikum dazwischen. Ein Dielektrikum ist ein elektrisch nicht leitendes Material, und in einem nichtleitenden Material können sich keine Elektronen bewegen. In einem Kupferdraht zum Beispiel können sich Elektronen bewegen, und deshalb ist der Kupferdraht kein Dielektrikum. Das absolute Nichts, fachmännisch Vakuum genannt, kann keine Elektronen bewegen, weil keine da sind, und ist deshalb ein Dielektrikum.

Genau unser Fall, schreien alle, so ist das ja auch bei der Röhre!

Zwei sich gegenüberliegende Flächen, gebildet von Drahtgeflechten, und dazwischen Vakuum – alles passt, so isses. Und es wurde bereits gemessen! Wir nehmen die nicht eingeschaltete Röhre und, siehe da, wir messen eine Kapazität. So kam die sogenannte Miller-Kapazität in die Elektronenröhre. Und in die Köpfe.

Aber im wirklichen Leben gibt es dieses Gespenst gar nicht. Im wirklichen Leben ist die Elektronenröhre eingeschaltet, so wie das Auto in seinem wirklichen Leben mit einem laufenden Motor fährt, und wenn die Elektronenröhre eingeschaltet ist, tun sich wundersame Dinge.

Dann gibt es im Inneren jede Menge Elektronen, bis heute weiss niemand, wie viele es gerade sind, schon für diese einfache Frage gibt es keine Antwort mehr, und es fliesst ein kräftiger Elektronenstrom, der je nach dem, was die Röhre gerade an Signal verarbeitet, auch noch sehr unterschiedlich sein kann. Irgendwo zwischen null, dem Ruhestrom im Arbeitspunkt und einem Vielfachen davon – genauer wissen wir’s nicht. Mit anderen Worten: wenn die Röhre betrieben wird, gibt es kein Dielektrikum mehr in ihrem Inneren. Das ehemalige Vakuum ist nunmehr voller Elektronen, ein Teil davon kann ein Elektronenstrom sein – wie er in einem Kupferdraht fliesst – und alles das bedeutet: kein Dielektrikum. Und wo es kein Dielektrikum mehr gibt, da gibt es keinen Kondensator. Sagt Maxwell eineindeutig.

Leider sind Maxwells geniale Gleichungen ein wenig kompliziert, sie müssen es sein, weil sie Zustände beschreiben, die noch viel komplizierter sind. Diese komplizierten Zustände kann ich nicht einfach nach dem Superpositionsprinzip erklären. Ich kann nicht sagen:

Die Röhre ist im wirklichen Leben ein Kondensator plus Elektronenwolke plus Elektronenstrom – das wäre Superposition; ich würde vereinfacht gesprochen die unterschiedlichen Zustände übereinanderlegen wie Folien im Projektor. Das klappt bei Maxwell generell nicht. Und, wie bereits gesagt, die Zustandsbeschreibungen widersprechen sich darüberhinaus – das eine schließt das andere aus. Geht also gar nicht. Die Miller-Kapazität ist ein Gespenst. Sie bei kalter Röhre zu messen ist ungefähr so intelligent wie die Messung von Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit beim Auto, wenn dessen Räder stillstehen und die Lügenelektronik nicht mal mehr das Abgas kontrolliert.

Sobald eine Aussage fortwährend wiederholt wird, verfestigt sie sich in vielen Köpfen zu einer „Wahrheit“. Die ist nicht unbedingt richtig, aber sie existiert in den Köpfen trotz alledem. Und die Miller-Kapazität wurde und wird ständig wiederholt: in Lehrbüchern und in Simulationsprogrammen. Es gibt sie nicht und sie widerspricht der Maxwellschen Elektrotechnik. Genau deshalb, so fürchte ich, wird sie das Schicksal vieler Gespenster teilen. Die schottischen Schlossgespenster leben in den Köpfen der Menschen fröhlich weiter, da hilft keine wissenschaftliche Widerlegung. Das Ungeheuer von Loch Ness hat sich genausowenig verflüchtigt wie die Miller-Kapazität sich verflüchtigen wird. Und wenn die Simulationsprogramme erstmal das Überleben garantieren – oh je. Das ist schon kurz vor dem ewigen Leben.

Eine kleine Gehässigkeit zum Schluss. Es soll sogar Menschen geben – ich gehöre dazu – die glauben, dass in Lehrbüchern auch falsche Sachen stehen. Das ist schon fast so krank wie die schottischen Gespenster. Halten wir fest: Autos sind Flugzeuge. Und was Röhren sind, darauf gibt Maxwell keine allgemeine Antwort. Aber schau ins Simulationsprogramm: da steht es.

In Memoriam L. C.

Seit etwa fünfzig Jahren – Du meine Güte, tatsächlich schon so lange – höre ich die Geschichte, dass der Computer der nächsten Generation endlich wie ein Mensch dies und das und jenes können werde. Nichts davon habe ich je eintreten sehen. Aber einen Vorgang kann er tatsächlich wie ein Mensch: sich selbst aufhängen, sich in einer Sache so festsetzen, dass nichts anderes mehr geht. Meinem Gehirn passierte das neulich bei einem Song von Leonhard Cohen, den jemand Al Pacino unterlegt hatte, wie er gerade dem Duft der Frauen nachtanzte. Und da hatte ich den Ohrwurm oder der Ohrwurm mich, auf jeden Fall: festgeklemmt.

Leonard Cohen
Leonard Cohen, 2008 – Foto & (c) by Rama via Wikimedia Commons

Nun verbindet mich eine eigentümliche Beziehung mit L.C.. Ich mag Songs, die er geschrieben hat, aber ich ziehe andere Interpreten, Jennifer Warnes zum Beispiel, vor. „Dance me to the end of love“ – und dann noch üppig mit Backgroundgesang fleißiger Damen und schluchzender Geigen unterlegt, das ist mir zuviel des Guten. Gelegentlich weiß der Computer ja Rat. Und diesmal wusste er. Es gibt eine ganze Reihe alternativer Versionen. Da das Gehirn sich eh aufgehängt hatte, hörte ich mich in den Song hinein. Diese beiden Interpretationen

  • Ballhaus: Dance me to the end of love, aufgenommen im Bürgerhaus Stollwerck, Köln, Januar 2013, und gesungen von der großartigen Verena Guido
  • und Avalanche Quartett, selber Titel, eingespielt at the Moods in Zürich, 2007

das sind meine Favoriten. Nach meiner – selbstverständlich völlig unmaßgeblichen – Meinung stechen sie aus dem großen Angebot hervor.

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Rasch weiter ins Internet geguckt und — das gibt’s doch gar nicht!! Auf CD nicht erhältlich; das kann nicht sein. Doch halt, hier, vielmehr dort in der fernen Schweiz hatte jemand mal die „Leonard Cohen Songs“ des Avalanche Quartetts, oder er hat sie doch nicht, oder schon wieder, es ist nicht ganz klar, und das letzte Update der Internetseite liegt auch schon zurück. So wunderbare Musik und so gut wie nicht erhältlich, noch nicht einmal gebraucht. Man kann es nur traurig finden.

Wem diese Interpreten nicht gefallen, der mag vielleicht Madeleine Peyroux, Perla Batalla & Julie Christensen, Harpeth Rising oder Meret Becker, Bettina Wegner oder oder. Monica Bellucci muss nicht sein, Jack Vettriano kann sein, obwohl ganz ohne Musik, dafür aber an der Kante von jugendfrei. Macht nix, das Gehirn hat sich einmal aufgehängt und liefert die Musik gratis dazu. Jaa, so ist das.

Und, versprochen ist versprochen, der Computer der nächsten Generation kann uns dann Songs wie von L.C. liefern – ganz bestimmt!

Konstruktion eines Röhrenverstärkers mit PL82 – vierter Teil: die Gesamtschaltung

Die Verbindungspfade zwischen erster und zweiter Röhre enthalten jeweils DC-blockende Kondensatoren. Auch der Kondensator im GK-Pfad ist zwingend notwendig, um eine Verschiebung des Arbeitspunktes bei der ersten Röhre zu vermeiden. Bei der Dimensionierung dieses Kondensators wurde berücksichtigt, dass der GK-Pfad keine Phasendrehungen bewirken soll. Das ist in erster Näherung dann vermieden, wenn die Grenzfrequenz kleiner/gleich 5Hz ist. Nach meinen Erfahrungen bringt es mehr, den Stromfluss in der ersten Röhre hochzutreiben und im Gegenzug einen Kondensator im GK-Pfad zu akzeptieren, als auf diesen Kondensator zu verzichten, denn letzteres gelingt im Allgemeinen nur, wenn die Vorröhre mit sehr geringem Strom – typisch 1mA oder weniger – betrieben wird.

Nun kommt zusammen, was zusammen gehört - das komplette Schaltbild
zum Vergrößern anklicken!

Auch in diesem Falle gilt, dass die Summe der (bisherigen) Teile noch nicht vollständig das Ganze ergibt. Hinzutreten müssen als erstes die Gitterbremswiderstände, im vorliegenden Falle 680 Ohm, und um ihre Aufgabe zu erfüllen, sollten sie tatsächlich am Gitterpin der Röhren angelötet werden. Das ist am einfachsten zu bewerkstelligen, wenn man sie zugleich als Zuleitungen vom Schaltungsaufbau zum Röhrensockel verwendet.

Gesamtschaltung mit Dimensionierung aller Teile
Gesamtschaltung mit Dimensionierung aller Teile – zum Vergrößern anklicken!

Das zweite Detail wird eventuell Stirnrunzeln verursachen, vielleicht gar auf Ablehnung stoßen: der parallel zur Anode der PL82 gelegte Kondensator Ctr = 2,2 nF lässt dem Messtechnikfreak die Haare zu Berge stehen, denn er verschlechtert die Rechteckwiedergabe. Die Flankensteilheit könnte beeinflusst werden, und nicht im positiven Sinne. Dazu ist anzumerken, dass erstens ein Rechteck in keinem Musiksignal vorkommt, und dass zweitens die Vorstellungen der HiFi-Branche, was denn in der Wiedergabe ein gutes Rechteck sei, doch arg uneinheitlich sind. Die digital codierte Welt befasst sich ausschliesslich mit Rechtecken, da gibt’s nichts anderes, und im Digitalen gilt ein Rechteck als gut, wenn die ansteigende Flanke ein Fünftel, das waagrechte Dach drei Fünftel und die abfallende Flanke wiederum ein Fünftel ausmachen. Ja, herzlichen Glückwunsch, wie soll’s denn nun sein? Immerhin kann man den Jungs vom digitalen Sektor bescheinigen, dass sie ein gesundes Gespür für die Realität besitzen. Ob man bei analogen Schaltungen wirklich eine Anstiegsflanke in echt vertikal, also eine unendlich schnelle Impulsverarbeitung benötigt, wird leider nicht diskutiert.

Um auf den Kondensator Ctr zurückzukommen. Er begrenzt den Frequenzgang nach oben, und das ist nicht ganz unsinnig, da wir ja fernsehtaugliche Röhren verwenden (die ja, wie gesagt, zu sehr viel höheren Frequenzen fähig sind). Mit dieser Begrenzung folgt die Endstufe abermals den Maximen der Röhrenära, wir erinnern uns: die Profi-Geräte (siehe die genannten V73 und V69) wurden konstruktiv für einen Frequenzbereich von 40Hz bis 15kHz ausgelegt. Für mehr nicht. Eine kleine Anmerkung: bei natürlicher, also nicht elektrischer Tonerzeugung gibt es genau dreimal die 16kHz als höchsten Oberton. Sie werden erreicht bei Schlüsselklirren, Piccoloflöte und vergleichbar kleiner Orgelpfeife. Falls der geneigte Musikliebhaber eine grössere Sammlung mit diesen Dreien zufällig sein eigen nennen sollte, darf er sich trotzdem entspannt zurücklehnen. An der PL82-Endstufe wird die Wiedergabe dieser (im Allgemeinen doch recht seltenen) Tonerzeuger nicht scheitern. Die verwendete Gegenkopplung sorgt dafür, dass der der Messtechniker die 16 kHz noch „auf dem Strich“ wiederfindet. Das war bei den erwähnten Rundfunkendstufen übrigens genauso. Wenn jemand unbedingt deutlich höhere Frequenzen noch „auf dem Strich“ haben möchte, dann möge er bitte ungeniert weiter in seine Kirche gehen, denn dann ist diese Endstufe nicht für ihn bestimmt.

PL82 vor Kennlinie
PL82 vor Kennlinie

Ein Wort zu den geeigneten Bauteilen soll diese Betrachtung abschliessen. Die eingesetzten Widerstände sind, sofern nicht anders bezeichnet, halbwatt Kohlefilme. Die Angaben zu den Kondensatoren beziehen sich auf das Fabrikat Wima, durchgängig mit 630V Spannungsfestigkeit. Die angegebenen Typen sind so gut, dass man sie ungeniert einsetzen kann. Freilich werden, angestachelt von einer umsatzgeilen Branche, Kondensatoren immer wieder zur Diskussion gestellt. Deswegen möchte ich dem Kondensatorfreak ein wenig entgegenkommen und einige Alternativen aufzeigen. Was dem einzelnen Hörer zusagt, bleibt sicherlich eine sehr individuelle Wahl. Wer auf der Suche nach „seinem“ Klang andere Wege gehen will, möge das auf eigenes Risiko tun. Der Kondensator Ctr kann anstelle des FKP2 auch ein Silbermica sein, dann in der Grösse 1,0 bis 1,5nF und mit einer Spannungsfestigkeit von mindestens 500V. Wer für Ölpapier- oder Wachspapiertypen schwärmt, sollte sie (nur!) an der Stelle von Cg und Cgk2 einsetzen, in derselben Grösse und ebenfalls mit mindestens 500V Spannungsfestigkeit. Beim Katodenkondensator Ck der PL82 bietet sich heutzutage die Möglichkeit, einen für Digitalschaltungen geeigneten Elko einzusetzen, alternativ könnte es ein Rubycon sein. Soviel zu den Bauteilen.

Und noch etwas: dass eine solche Endstufe mit höchstempfindlichen Lautsprechern zusammengespannt werden sollte, ist bereits gesagt worden. Aber wie sieht es eingangsseitig aus? Es wäre möglich, sie direkt vom regelbaren Ausgang eines CD-Players anzusteuern. Dagegen spricht die verbreitete Erfahrung, dass regelbare CD-Ausgänge meist nicht das Gelbe vom Ei sind. Besser wäre es, einen guten Vorverstärker zu verwenden, mit einer Quellimpedanz von 1kΩ oder geringer. Die Endstufe wird auch höhere Quellimpedanzen wegstecken, es fragt sich nur, ob das dann klanglich höherwertige Geräte sind. Es macht schließlich keinen Sinn, schlechte Äpfel mit guten zu verkochen, denn der dann entstehende Apfelbrei wird dem Genießer nicht zusagen. Vermieden werden sollten die derzeit gerade wieder in Mode gekommenen passiven Linestufen, ihre Ausgangsimpedanzen sind generell zu fragwürdig, oftmals schwankend und/oder zu hoch. Nach meiner unmaßgeblichen Meinung verdient eine gute Linestufe den Vorzug vor allen anderen Lösungen.

– Segschneider –


Nachsatz des Audionisten

So weit die Ausführungen meines Freundes und Mentors Segschneider zu seiner Version einer Endstufe mit PC86 und PL82. Dafür herzlichen Dank!

Exakt die hier beschriebene, höchst musikalische Endstufe ist vor einigen Monaten von mir aufgebaut worden und lässt seither alle vorher von mir gebauten Endstufen in jeglicher Hinsicht weit hinter sich. In Kürze werde ich hier auf audionist.de einen mit vielen nützlichen Hinweisen versehenen, reich bebilderten Bericht über meinen Aufbau veröffentlichen (inzwischen geschehen, siehe Praktischer Aufbau meiner Endstufe mit PL82).

In diesem Zusammenhang darf ich noch einmal auf die grundlegenden Ausführungen zum Thema Netzteil-Konstruktion verweisen. Die hervorragenden Eigenschaften dieser Endstufe stehen und fallen mit der Qualität ihrer Spannungsversorgung.

Stay tuned!
MiMü


Konstruktion eines Röhrenverstärkers mit PL82 – zweiter Teil: die Vorröhre

Ein Watt für Musikhörer

Mit der Leistung von 1 Watt ist man auf höchstempfindliche Schallwandler festgelegt. Es gibt sie in alt – oftmals aus Radios der fünfziger Jahre – und neu, und leidenschaftliche Hörer bevorzugen sie vielfach. Mit einem Watt kann man diese Chassis bereits auf Lautstärken bringen, die man seinen Ohren nicht dauerhaft antun sollte. Und – selbstverständlich! – sprechen wir von Triode und Single-Ended-Schaltungen.

PL82-Endstufe, Bild 1
Grundschaltung einer Trioden-Vorstufe

Täglich die Schraube neu zu erfinden macht wenig Sinn. Genauso ist es bei der Röhrenauswahl: exotische Typen zu ebensolchen Preisen sollen weiterhin die Bastler erfreuen, dem Musikhörer sind Röhren wichtig, die in guter alter Qualität – und mit den „großen“ Markennamen! – noch zu erhalten sind. Wenn es sie (noch) zu zivilen Preisen gibt, umso besser. Eine solche Kombination von Treiber- und Endröhre ist schon einmal vorgestellt worden: PC86 und PL82 (Gysemberg & Wilimzig „Höchst empfindlich“). Kein Grund, sie nicht zu verwenden, zumal diese Röhren bis heute zu erwerben sind. Wer das genannte Buch aufmerksam liest, stellt freilich rasch fest, dass es um Denkanstöße und leichte Nachvollziehbarkeit geht – die dortige P-Röhren-Endstufe ist ein Projekt eher für Einsteiger. Einfachheit und Nachbausicherheit bestimmen augenscheinlich die Konzeption. Aus der Sicht eines musikorientierten Hörers betrachtet geht es freilich eher darum, das klangliche Potential einer Röhrenkombination auszuschöpfen. Dazu werden nachfolgend einige Gedanken vorgestellt, die – generell gesehen – auch für die eine oder andere hochwertige Schaltung gelten würden.

Treiberröhre PC86, verschiedene Hersteller - Foto & © by Michael Münch
Treiberröhre PC86, verschiedene Hersteller – Foto & © by Michael Münch

Die Treiberröhre

Eine erstklassige Endstufe ist ohne Gegenkopplung nicht realisierbar. Das ließe sich begründen, aber die Begründung würde eine ganzes Buch füllen. Wer Gegenkopplung ablehnt, sollte schleunigst zu lesen aufhören, er ist hier in der falschen Kirche. Die Profis der fünfziger Jahre – siehe dazu beispielsweise die Rundfunkverstärker V73 und V69 – bevorzugten eine Spannungsgegenkopplung von der Anode der Endröhre – hier der PL82 – zur Katode der Treiberröhre. Diese Art der Gegenkopplung wollen wir im weiteren Verlauf „Profi-Gegenkopplung“ nennen:

PL82-Endstufe, Bild 2
Profi-Spannungsgegenkopplung von der Anode der End­röhre auf die Katode der Treiberröhre

Unsere PC86 muss einen Katodenwiderstand haben, der nicht mit einem Kondensator wechselstrommäßig gebrückt und damit kurzgeschlossen ist. Um eine Spannungsgegenkopplung zu realisieren, die aus akzeptabel großen Widerständen aufgebaut ist, sollte der Katodenwiderstand ebenfalls möglichst groß sein. Man könnte ihn beliebig groß machen, wenn vom Hersteller der Röhre nicht bestimmte Maximalwerte für die Gitterspannung vorgegeben beziehungsweise hineinkonstruiert worden wären. Kleiner Exkurs: da diese Gegenkopplung parallel zur Endröhre und damit zugleich parallel zum Ausgangsübertrager liegt, sollte der gegenkoppelnde Widerstand Rgk2 unbedingt so groß gemacht werden, dass er keine Leistungsverluste verursacht. In erster Näherung ist das gegeben, wenn er mindestens zehnmal größer ist als der Nennwert der Impedanz des Ausgangsübertragers – und zwanzig- oder dreißigmal größer wäre besser, obwohl das nicht immer erreichbar ist.

Rein sachlich gesehen ist die PC86 eine UHF- (ultra hohe Frequenzen) und fernsehtaugliche Röhre mit einer hohen Leerlaufverstärkung. Der Systemkörper in der Röhre ist klein, um die bei höchsten Frequenzen durch die kapazitiven Effekte des Systemkörpers (je grösser die Flächen, desto größer die Kapazitäten) auftretende Einschränkung des Frequenzbandes gering zu halten. Ein kleines System begründet aber eine Neigung zu relativ großen Streuungen in der Produktion.
Streuungen und dadurch bedingte Abweichungen in der Verstärkung sind jedoch Gift für eine hochwertige Konstruktion; deshalb soll diese Röhre mit einer zweiten Gegenkopplung möglichst punktgenau zu einer definierten Verstärkung gebracht werden. Die erste, eine Stromgegenkopplung, wird gebildet vom Arbeitswiderstand Ra und dem nicht gebrückten Katodenwiderstand Rk1:

PL82-Endstufe, Bild 3
Strom-Gegenkopplung der Vor­röhre mit Fuß­punkt Gk der Profi-Spannungsgegenkopplung
PL82-Endstufe, Bild 4
zusätz­li­che Spannungs-Gegenkopplung von der Anode der Vor­röhre auf ihr Gitter

Für die zweite GK wird der Widerstand Rgk1 von der Anode zum Gitter der PC86 geführt. Damit keine Veränderung der Gitterspannung durch diese Gegenkopplungsschleife stattfindet, wird die Gleichspannung mit dem Kondensator Cgk1 abgeblockt; ferner wird der Gitterwiderstand der Röhre aufgeteilt in Rg1 und Rg2. Bei diesem Splitting liegt der (zwingend notwendige!) Vorverstärker nur noch parallel zu Rg1 und kann so mit seiner vorzugsweise kleinen Quellimpedanz auch nur den Anteil Rg1 „kurzschließen“. Durch die Zweiteilung des Gitterwiderstandes kann die Spannungsgegenkopplung auf den Widerstand Rg2 greifen, der so ausgelegt ist, dass er groß gegenüber der Quellimpedanz des Vorverstärkers ist und von dieser nicht geändert werden kann. Diese Spannungsgegenkopplung wäre ohne diese Maßnahmen recht heikel, weil stark von der Quellimpedanz des signalgebenden Vorverstärkers beeinflussbar, arbeitet jedoch in der gezeigten Form zuverlässig und stabil – sogar dann, wenn der Vorverstärker eine unüblich hohe Quellimpedanz haben sollte.

UHF-Röhren sollen typischerweise mit hohem Strom laufen. Um das zu erreichen, werden teilweise extrem aufwändige Trickschaltungen vorgeschrieben (wie man zum Beispiel am Datenblatt der D3a sehr schön sehen kann). Da sie aber gleichzeitig nur eine geringe Gitterspannung vertragen, liegt hier ein Problem. In der bereits veröffentlichten Endstufenschaltung (siehe „Höchst Empfindlich“) wird deshalb die PC86 lediglich mit circa 2 Milliampere Strom „gefahren“. Auch das ist bereits deutlich mehr als in vielen HiFi- Schaltungen, in denen ECC81 oder ECC83 mit 0,6 bis 0,8 Milliampere vor sich hinblubbern. Um mehr Strom durch die PC86 fließen zu lassen und die Röhre in der vorliegenden Schaltung näher an ihr eigentliches Arbeitsfeld heranzuführen, wurde hier ein Strom von 4 Milliampere gewählt, der mit einer größeren Steilheit und einem geringeren Innenwiderstand der Röhre einhergeht. Zusammen mit dem Katodenwiderstand von 390 Ohm führt er zu einer Gitterspannung von -1,6 Volt, sehr viel höher sollte man bei einer solchen Röhre nicht gehen.

wird fortgesetzt

– Segschneider –

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