Konstruktion eines Röhrenverstärkers mit PL82 – erster Teil: Vorüberlegungen

Ein/Aus - Foto © by Michael Münch

Rein technische Kriterien – egal auf welchem Gebiet – befriedigen den Techniker, sind Erfüllungsgehilfen des Kaufmanns, der uns dann mit technikorientierter Werbung den Kram andreht, aber sie sagen wenig oder gar nichts darüber, ob dies Gerät den Bedürfnissen eines anspruchsvollen Kunden entspricht. Denn die Wünsche eines musik-orientierten Hörers übersetzen sich nun einmal nicht in Klirrgrad, Frequenzgänge, Messschriebe und so weiter.

Der Röhrenverstärker hat das über viele Jahre bewusst gemacht. In der Aufschwungphase des Transistors wurde er von vielen Technikern – oft mit beispielloser Häme – fast zu Tode kritisiert: zu schlecht in jeder technischen Hinsicht. Aber eben nur in technischer. Musikalisch blieb er der Favorit vieler leidenschaftlicher Hörer. Und die Leidenschaft des Musikhörens war das Argument, das dem Messtechnikwunder namens Transistorverstärker entgegengehalten wurde. Wenn sie an der Musik und am menschlichen Hören vorbeigehen, nützen Technikorientierung und Messerei wenig.

Noch prekärer wird die Situation, sofern man den üblichen Röhrenverstärker daraufhin betrachtet, ob er denn besonders musiktauglich sei. Die dafür erforderliche Strenge des Blickes muss im Kreis der Röhrenbegeisterten notwendigerweise Anstoß erregen. Man kann einen Röhrenverstärker ganz einfach zusammenbringen: keine Gegenkopplung verwenden, alle Teile aus der Ramschkiste nehmen oder billig besorgen, und frisch drauflosgebastelt. Jetzt noch ein paar Messungen am Oszilloskop gemacht, wenns hochkommt obendrein den Klirrgrad bestimmt und – bitteschön! – klingt doch. Irgendwie. Die Frage, ob man mit Röhren nicht wesentlich mehr erreichen kann, bleibt bei solcher Bastelei auf der Strecke.

Brettaufbau © Foto und Aufbau by Michael Münch
In der Entwicklungsphase einer Endstufe ist es äußerst sinnvoll, sämtliche Komponenten zunächst auf einem Brett aufzubauen! Das erleichtert es dem Konstrukteur, räumliche Anordnungen zu probieren, Messungen vorzunehmen, Bauteile zu tauschen und allerlei sonstige Tests zu machen. Im Bild ein Endstufen-Brettaufbau mit Netztrafo, bereits fertiggestellten Netzteilplatinen, der Röhrensektion und zwei aus Röhrenradios ausgebauten Ausgangstrafos, die später gegen gute Standard-Übertrager ausgetauscht wurden. Aufbau und Foto: Michael Münch

Ein Gerät zu optimieren ist Zehnkampftraining. Es geht darum, einerseits die Stärken zu erhalten und andererseits die Schwächen zu erkennen und zu minimieren. Zu den Stärken der Elektronenröhre ist bereits vieles gesagt worden. Ich beschränke mich darauf, die Röhre als das geeignetste Werkzeug zur Musikwiedergabe anzunehmen. Trioden und triodisierte Pentoden sind meine persönlichen Favoriten.

Freilich muss ein grundlegender Fakt berücksichtigt werden. Wir wissen bis heute nicht, was die Röhre elektrotechnisch für ein Gegenstand ist. Irgendwie gibt’s zwischen Katode, Gitter und Anode Kapazitäten – ein Kondensator ist sie aber trotzdem nicht. Auch können wir die tatsächlich vorhandenen kapazitiven Effekte bis heute nicht genau quantifizieren. Darüberhinaus gibt es Raumladungen – deren genaue Verteilung wir nicht kennen – und einen Elektronenfluss, den wir nur sehr annähernd bestimmen können. Tatsächlich knallen Elektronen und andere Teilchen – welche das sind, wissen wir so genau nicht – irgendwo hin, Anode und Getter fangen sie eben nicht alle wieder ein, und der im Glaskolben einer langgebrauchten Röhre sichtbare Niederschlag legt Zeugnis darüber ab, dass im Inneren der Röhre so manches geschieht, was wir nicht wollen, nicht wirklich kennen und nicht recht beherrschen. Erstaunlich, nicht wahr?

Die praktische Unwissenheit über den Gegenstand Elektronenröhre korrespondiert mit einer theoretischen. Wir können einen Kondensator als theoretisches Konstrukt auffassen und seine Eigenschaften aus der Maxwellschen Theorie heraus bestimmen. Und der in der Praxis zusammengebaute Kondensator verhält sich in der rauhen Wirklichkeit weitgehend so wie theoretisch (vorher)bestimmt. Wir können so manchen Elektronenfluss, ob nun in den Grenzflächen eines Transistors oder im glühenden Plasmastrom anhand der Maxwellschen Theorie betrachten, analysieren und vielfach nutzbringend anwenden. Aber das Gebilde Röhre als Ganzes lässt sich bei Maxwell nicht unterbringen.

Nun ist ein solcher Mangel an ganzheitlicher Sicht beim Auto nicht anders. Für das Auto als Ganzes gibt es nach über hundert Jahren Automobilgeschichte immer noch keine Konstruktionstheorie. Noch nicht einmal für die Hinterachse gibt es das. Aber wenn wir vorab entscheiden, es solle eine Schräglenker-Hinterachse werden, dann haben wir für diesen Sonderfall ein größeres theoretisches Rüstzeug. Das hat uns freilich nicht davor bewahrt, in den über hundert Jahren zwischen den verschiedenen Hinterachsformen hin- und herzuirrlichtern: DeDion-Achse – gut, aber (zu) teuer; Eingelenk-Pendelachse – schlecht, aber billig und komfortabel; Schräglenker-Achse – ein wenig von allem; Starr-Achse – gar nicht so schlecht und wieder im Kommen, weil preiswert … – und so fort. So geht es hin und her, man macht das mal so und mal so, zeitgebundene Strömungen.

Dasselbe haben wir bei der Elektronenröhre erlebt, die Konstruktionsweisen waren oft mehr zeitgebunden – das macht man doch so – als logisch rational. Das konnten sie auch nicht sein, denn beim technischen Gegenstand Röhre fehlt ja die allumfassende, ganzheitliche Theorie genauso wie beim Auto. Wer seine Röhrenverstärker vorzüglich auf anspruchsvolle Musikwiedergabe ausrichten will, tut gut daran, musikorientierte Konstruktionsgedanken neu und möglichst weitreichend selbst zu erdenken.

Die nachfolgend vorgestellten Gedanken sind meine – allumfassend sind sie nicht. Sie bemühen sich, vorhandene Stärken zu erhalten sowie Schwachstellen zu erkennen und zu verbessern. Die Stärken liegen vor allem in der Verwendung von nur zwei Röhren, in der Verwendung einer Gegenkopplung, wie sie in berühmten Profiverstärkern für gut befunden wurde, und schliesslich in dem Aufbau einer hochklassigen Stromversorgung (siehe Netzteil mit RC-Siebung für einen Röhrenverstärker). Auch dabei folge ich den Profi-Pfaden und beheize die Röhren mit Wechselstrom, wie es bei allen Rundfunkverstärkern früher gemacht wurde. Was mir verbesserungswürdig erschien und welcher Art meine Gedanken dazu sind, wird in den folgenden Teilen 2 bis 4 ausgeführt.

wird fortgesetzt

– Segschneider –

Röhrenendstufe © Foto und Aufbau by Michael Münch
Überlegter, planvoller Aufbau – das A und O beim Röhrenverstärker. Aufbau und Foto: Michael Münch

Transistor vs. Röhre

Wenn eine Technik den Sieg über eine andere Konstruktionsweise errungen hat, kann man nichts anderes erwarten als: der Sieger schreibt die Geschichte. Er schreibt auch die Geschichtchen, all diese vielen kleinen Veröffentlichungen, die du und ich so überall lesen. Und er wäre ja schön blöd und würde sich selbst in den Hintern treten, wenn er von seinen eigenen Schwächen schriebe. Das tut er nicht. Wagen wir also einen Blick über den Zaun ins sorgfältig Verborgene. Aber Achtung: der Sieger wird protestieren!

Transistor vs. Röhre
Quelle: © Semeniuk 1963 via Wikimedia Commons

Ein Transistor kann den Signalstrom, den er uns liefern soll, nur modulieren; er kann ihn nicht erzeugen. Mit anderen Worten: jeden Signalstrom, den ich dem Gerät entnehmen möchte, muss ich ihm zuvor durch die Stromversorgung gegeben haben. Damit die Stromversorgung das kann, muss sie im Idealfalle den Innenwiderstand null haben. Will ich hundert Watt hinten rauskriegen in Form eines Musiksignals, muss ich vorne (mindestens – etwaige Verluste, Wirkungsgrade, Abwärme und sonstige Kleinigkeiten nicht gerechnet) genau diese hundert Watt reinschieben, und zwar ohne Zeitverzögerung. Netzteile dieser Sorte sehen typisch so aus: dicker Netztrafo – Gleichrichtung – riesiger Glättungskondensator, alles andere wäre schon von Übel, weil es meistens den Innenwiderstand erhöht.

Und genau an dieser Stelle fangen die Probleme des Transistorkonstrukteurs an. Denn eine solche Kombination macht natürlich immer noch jede Menge Restwelligkeiten, die einfach nicht da sein sollten. Also, bitteschön, die besten Dioden verwenden, denn man kann den Unterschied hören, den Strom regeln, die Spannung regeln, ähh, doch besser nicht, denn wenn ich Strom und Spannung gleichzeitig festhalte … – der Transistorkonstrukteur hat’s nicht leicht. Schlimmer noch ist folgender Zusammenhang. Der Stromfluss in einer Grenzschichtfläche (so nennen die Physiker das) ist abhängig von der Temperatur, exakt geht der Strom mit der vierten (!) Potenz der Temperatur einher. Mit allgemeinen Worten: der Transistor ist thermisch extrem instabil und führt bezüglich seines thermischen Verhaltens ein fröhliches, leider nur völlig unerwünschtes Eigenleben. Ergo muss der Transistorkonstrukteur auch dagegen ankämpfen, was bei den besseren Konzeptionen mit einer Class-A-Konstruktion geschieht; diese hilft dann, das allfällige thermische Eigenleben prozentual klein zu halten. Zum besseren Transistor gehört das Aluminiumgebirge und die dadurch bedingte Warmlaufzeit – „… ach was“, sagt das Verkaufsgenie, „… lassen sie ihn doch einfach immer eingeschaltet“, und die Abwärme macht den Raum behaglich warm: lauter Vorteile auf einmal! Die physikalische Formel über die thermische Instabilität stammt übrigens von Albert Einstein, und ich persönlich konstruiere nicht gerne gegen Einstein an. Viele Physiker, die gegen Einstein gedanklich angehen wollten, sind bisher grossflächig gescheitert.

Demgegenüber ist die Röhre sehr viel teurer in Herstellung und Verarbeitung. Sobald sie nach einer Anwärmzeit von circa dreißig Sekunden ihre Betriebstemperatur erreicht hat, ist sie thermisch überraschend stabil; bei guten Konstruktionen kann man zwischendurch ruhig für einige Sekunden ausschalten, die Musik spielt unbeirrt weiter und außer dem „Klack“ des Ausschalters wird man nichts Negatives hören. Sie wärmt den Raum genau so gut oder weniger, braucht keine halbe Stunde vorzuglühen, und manche Mitmenschen finden den erleuchteten Kolben sogar schön. Wichtiger ist, dass Röhren aus dem Netzteil nur den Gleichstrom und die Gleichspannung nehmen, die sie für ihren spezifischen Arbeitspunkt benötigen. Wie bitte??! Wo kommt denn dann der Signalstrom her? Den macht die Röhre selber, weil sie das kann: sie bedient sich dazu aus der Elektronenwolke, die ihre Katode im Überfluss liefert; für den einzelnen Impuls kann sie ein Vielfaches ihres Gleichstromes als (Wechsel)Signalstrom liefern.

Aus meiner Sicht addiert sich das zu entscheidenden Vorzügen auf: das Netzteil kann nahezu beliebig gut gemacht werden (siehe Netzteil für einen Röhrenverstärker Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4), thermische Stabilität ist satt und im Überfluss vorhanden, Aluminiumgebirge gibt’s nicht. Ach ja, fast hätte ich’s vergessen: selbst wenn ich die Vorröhre als Typ X und die (Leistungs-)Endröhre als Typ Y festlege, bleibt dem Anwender die Möglichkeit, seine bevorzugten Ausführungen/Fabrikate einzusetzen und damit die Wiedergabeeigenschaften des Gerätes in die gewünschte Richtung zu verändern. Röhrengeräte lassen sich sehr individuell betreiben.

Und dann sind da noch Kleinigkeiten, die das Konstrukteursherz erfreuen: ich benötige keine Gegenkopplung, um schlechte Stromversorgungen zu bekämpfen, ich habe zwischen keiner Gegenkopplung und zuviel des Guten die volle Freiheit, ich muss nicht die Fehler von PNP-Transistoren mit denen von NPN-Typen bekämpfen, und noch so einiges. Röhrengeräte sind geborene „First Watt“-Sieger. Der Transistor ist gerade mit tatkräftiger Hilfe von Nelson Pass dabei, das zu lernen. Immerhin, lernfähig ist er.

– Segschneider –

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