Schon lange lag ich Segschneider mit meiner Vorstellung in den Ohren, demjenigen meiner beiden Söhne, der kein Vinylhörer ist, einen Vollverstärker bauen zu wollen. Der Sohn benötigt keinen (beröhrten) Phonovorverstärker, der auf zusätzliche Pegelanhebung durch eine LINE-Stufe angewiesen wäre und die sonst in Frage kommenden Signalquellen sind hochpegelig genug – wozu dann die LINE? Es liegt also nahe, lediglich eine Endstufe mit Quellenwahlschalter und Pegelsteller haben zu wollen.
Segschneider mochte sich mit meiner Idee nur widerwillig beschäftigen – er denkt eine Anlage immer in getrennten Komponenten und dann gehört die LINE für ihn einfach dazu. Außerdem ist ein Verstärker vom Schlage der in diesem Blog schon besprochenen PL82-Endstufe zwingend auf die LINE angewiesen, da man aus technischen Gründen nicht einfach ein Potentiometer als Pegelsteller an den Eingang hängen darf.
Segschneider erklärt, warum:
Der technische Grund ist einfach der: die Spannungsgegenkopplung an der Vorröhre, wie sie zum Beispiel im PL82-Endstufen-Entwurf ausführlicher erklärt ist, ist darauf ausgelegt, vom vorgeschalteten Gerät eine Quellimpedanz angeboten zu bekommen, die (a) unveränderlich ist und (b) recht klein, etwa 1,5 kΩ oder weniger. Ist die vorgeschaltete Quellimpedanz aber ein 100 kΩ-Poti, stimmt beides nicht mehr. Weder ist die Quellimpedanz dann klein (klein in Relation zu dem Gitterwiderstand von 100 kΩ!), noch ist sie konstant. Die Schaltung würde also nicht mehr so funktionieren, wie sie berechnet ist.
Entsprechend überrascht war ich, als mein Freund mir neulich doch einen Vorschlag für einen Vollverstärker vorlegte.
Die Schaltung
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Lassen wir zunächst Segschneider zu Wort kommen:
Es wurde bereits begründet, dass bei der Verwendung eines Potentiometers am Eingang eine Spannunsgegenkopplung von der Anode aufs Gitter der ersten Röhre nicht infrage kommt. Trotzdem ist es aber wichtig, eine möglichst stabile Verstärkung der ersten Röhre zur Verfügung zu haben, da der Entwurf eine Gegenkopplung verwendet, die natürlich von der Verstärkung der ersten Röhre mit abhängt und die zudem direkt auf die Kathode dieser ersten Röhre einkoppelt. Deshalb wurde hier eine Eingangsröhre ausgewählt, die 5654, die nach meiner – selbstverständlich subjektiven und begrenzten – Erfahrung recht stabil läuft, wenn man sie mit den Nennwerten betreibt – das sind 10 mA und 2 V an der Kathode. Der Kathodenwiderstand von 200 Ohm reicht gerade so hin, um die Gegenkopplung zu realisieren. Für die Endröhren wurde eine regelbare Festgitterspannung eingesetzt; sie erlaubt es, kleinere Ungleichheiten der beiden Endröhren (wie sie durch Exemplarstreuung oder Alterung auftreten können) auszugleichen. Die Festgitterspannung sollte so eingepegelt werden, dass durch beide Endröhren ein gleichhoher Strom – also 34 mA – fließt. Auch dies dient einem stabilen Betrieb des Verstärkers.
Die Netzteile
Die beiden identischen Netzteile des Vollverstärkers verwenden zwei gleiche Transformatoren alter Fertigung. Ich mag hier kein Fabrikat angeben, denn dann könnte es sein, dass ein Nachbauinteressent auf das Auftauchen des erhofften Trafopärchens endlos warten müsste.
Die richtige Vorgehensweise ist die: man schalte der Hochvolt-Sekundärwicklung eines vielleicht infrage kommenden Trafo-Testlings eine Gleichrichterbrücke und einen Ladeelko von 47µF/450V nach. Die am Ladeelko liegende Gleichspannung wird mit ca. 45mA belastet (Hochlastwiderstände verwenden). Ist der Trafo in der Lage, über einen Zeitraum von einer Stunde unter dieser Belastung etwa 325V Gleichspannung am Ladeelko zu liefern und dabei nicht so heiß zu werden, dass man ihn nicht mehr anfassen kann, kann man ihn und seinen identischen Zwilling einsetzen. Das können sehr viele Ausbau-Netztrafos aus der Röhrenradio-Ära.
Bei diesen Messungen ist ein Trenntrafo zu verwenden, siehe Gefahrenhinweis. Das weitere Vorgehen beim Entwurf des Netzteils ist hier beschrieben.
Siebketten
Dazu hier das Schaltbild meines Netzteils (für einen Kanal!):
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Bei Belastung mit 44mA stehen bei dem von mir gerechneten Netzteil +329V am Ladeelko an. Darauf folgt eine dreistufige RC-Siebkette mit einer Dämpfung (bei 100Hz Störsignal) von -110db. An deren Ende stehen bei 44mA Belastung +265V für die Versorgung der Endröhre zur Verfügung. An diesem Punkt setzt auch eine zweite, diesmal zweigliedrige RC-Siebkette an, die eventuelle Störsignale um weitere 70dB dämpft und an ihrem Ausgang bei 10mA Belastung noch +235V für die Versorgung der Vorröhre zur Verfügung stellt.
Die hohe Gesamtdämpfung von -180dB trägt wesentlich dazu bei, dass der hier gezeigte Aufbau in Bezug auf Störsignale absolut still ist. Angenehmer Nebeneffekt: die durch die zweite Siebkette entstehende hohe Entkopplung der Versorgungsspannungen von Vor- und Endröhre verhindert das berüchtigte Aufschaukeln der Endstufe (motorboating).
Es hilft nix: meine im Schaltplan des Netzteils angegebenen Bauteil-Werte stimmen zunächst mal nur für die Trafos, die ich verwende. Beim Einsatz anderer Trafos ist die Dimensionierung der Siebkette wahrscheinlich neu zu rechnen. Wie das geht, ist eingehend beschrieben in meinem Beitrag zu RC-gesiebten Netzteilen hier in diesem Blog.
Gittervorspannungs-Netzteil
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Die negativen Gittervorspannungen für die beiden Endröhren werden mit einem eigenen kleinen Netzteil erzeugt. Auf der Platine befindet sich eine einfache Siebkette mit RC-Gliedern, allerdings mit sehr hoher Dämpfung bezogen auf 100Hz. Die Stabilisierung erfolgt mit einer Zenerdiode, über Spindeltrimmer werden die beiden Ausgangsspannungen justiert.
Dieses Modul habe ich zwei Audiofreunden zu verdanken – vom einen kommt die Schaltung, der andere gab mir die Platine und den Trafo. Beiden sei herzlich gedankt!
Röhrenbestückung
Durch den Einsatz von Allerweltsröhren wie der 5654 und der EL84 eignet sich dieses Gerät hervorragend zum tube rolling. Segschneider und ich haben in dieser Richtung allerdings noch wenig unternommen – derzeit werkeln hier als SIEMENS gelabelte EL84 von VALVO – die 5654 sind blau gelabelt und ebenfalls von VALVO. Das funktioniert sehr zufriedenstellend, ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten. Der geneigte Nachbauer möge selbst entscheiden, wieviel Energie (und Geld) er in weitere Versuche stecken möchte.
Ausgangsübertrager
Der Schaltplan ist auf die Verwendung von gut erhältlichen Ausgangstrafos der Firma reinhöfer electronic ausgelegt, und zwar der Typen 53.61U (mit M65-Kern) oder 53.71U (mit M74-Kern). Diese Trafos stellen ein ehrliches Produkt mit sehr gutem Verhältnis von Preis und Leistung dar, mit dem das Hören bei Einsatz im beschriebenen Vollverstärker richtig Spaß macht.
Es sei aber nicht verschwiegen, dass Steigerungen möglich sind, wenn man deutlich tiefer in die Tasche greift. Die Autoren bevorzugen Ausgangsübertrager mit Schnittbandkernen, mit deren Größe man bei einem Verstärker mit zu erwartender Ausgangsleistung von unter einem Watt pro Kanal allerdings nicht zu übertreiben braucht – ein SM65- oder SM74-Kern reicht hier allemal aus.
Wichtig: bei Verwendung anderer als der hier genannten Übertrager ist darauf zu achten, wie hoch der Kupferwiderstand von deren Primärwicklung ist. 400Ω ist der hier geforderte Wert. Bei weniger als 400Ω ist ein Widerstand in Reihe zu schalten (siehe Schaltplan), ist er höher, muss die Versorgungsspannung der Endröhre um den Betrag erhöht werden, um den sich der Spannungsabfall am Ausgangstrafo erhöht.
Beispiel: bei einem Ruhestrom der Endröhre von 34mA fallen an 400Ω Kupferwiderstand der Primärwicklung 0,034A x 400Ω = 13,6V ab. Bei gleichem Ruhestrom und angenommenen Rcu von 600Ω wären es 0,034A x 600Ω = 20,4V. Die Versorgungsspannung der Endröhre müsste dann um den Unterschiedsbetrag von 6,8V erhöht werden. Das macht Eingriffe in die Siebketten von End- und Vorröhren erforderlich. Eventuell sind die Gittervorspannungen der Endröhren nachzujustieren.
Einsatz als Kopfhörerverstärker
Im Produktkatalog der Firma Reinhöfer finden sich Trafos, bei deren Einsatz man mit dem hier beschriebenen Vollverstärker sicherlich eine hervorragende Kopfhörerwiedergabe erzielen kann. Gemeint sind die Typen 53.61U50 und 63.61U80.
Aktualisierung 13.04.2017: Herr Beyer von der Firma Reinhöfer teilt mir soeben mit, dass der Primärwicklungs-Kupferwiderstand der Übertrager 53.61U50 und 63.61U80 bei Beschaltung auf 10kΩ Impedanz 400 bis 420Ω beträgt. Damit sind sie im hier beschriebenen Gerät ohne weitere Änderungen gegen die für Lautsprecherbetrieb bestimmten Typen austauschbar.
Ein unerwartetes Problem und dessen Lösung
Nachdem das Gerät fertig, getestet und für gut befunden war, wurde das Gehäuse mit der zugehörigen Haube aus Stahlblech geschlossen. Großer Schreck: nach dem Wiedereinschalten lautes mechanisches Brummen – das Gehäuse gab ein Dauergeräusch von sich wie ein laufender Kühlschrank. Die beiden Netztrafos versetzten das Stahlblech in Schwingungen. Eigentlich kein Wunder: die obere Fläche der Trafos und das obere Gehäuseblech haben nur ein paar mm Abstand.
Drei Maßnahmen im Verbund machten dem Problem ein Ende:
- zunächst kleidete ich das Stahlblechgehäuse mit einer alubeschichteten gewebeartigen Wärmeschutzfolie aus der Autoindustrie aus (von einem Freund, der in der Branche arbeitet), seitdem klingt die Haube beim Draufklopfen nicht mehr blechern, sondern trocken-dumpf wie ein Stück Holz – Anteil am Erfolg: 20%.
- danach legte ich die das Problem verursachenden (identischen) Netztrafos gegenphasig ans Netz, dadurch hoben sich die beiden magnetischen Wechselfelder zum großen Teil auf – Anteil am Erfolg: 50%! (Eine Idee, die mir im Wald beim Hundespaziergang gekommen ist).
- schließlich klebte ich auf beide oberen Flächen der Trafos so viele Lagen der erwähnten Folie, dass bei Schließung des Gehäuses dieses stramm auf den Trafos aufliegt – Anteil am Erfolg: 30%. Ich nehme an, vor dieser Maßnahme war oberhalb der Trafos ein Schwingungsbauch und jetzt ist dort ein Schwingungsknoten entstanden.
Nun hört man schon in einem halben Meter Abstand nix mehr davon, nachdem es vorher den Hörgenuss ordentlich beeinträchtigte.
- einen Pfeil hatte ich noch im Köcher: ich hätte einen der beiden Netztrafos gegenüber dem anderen auf der Hochachse um 90° verdrehen können. Gut möglich, dass auch das eine heilsame Wirkung gehabt hätte, allerdings scheute ich den damit verbundenen Umbau.
Fazit:
Der Verstärker verhält sich vom ersten Einschalten an elektrisch absolut still – das heißt: keinerlei Brumm, bei offenen Eingängen minimales Rauschen (Ohrkontakt mit der Pappe des Greencone), bei kurzgeschlossenen Eingängen: nichts …!
Das Klangbild ist nach oben hin sehr luftig-offen, mit ausgeglichenen Mitten und respektablen Tiefen. Hohe Räumlichkeit, dadurch Klangereignisse gut ortbar, breite Bühne. Alles in allem ein äußerst zufriedenstellendes Ergebnis. Wie sagt man so schön: „… da staunt der Laie, und der Fachmann (in diesem Fall Freund Segschneider) wundert sich!“
Abschließend einige Bilder vom Aufbau des Vollverstärkers:
Alle Abbildungen © 2017 by Michael Münch
Bildergalerie, zum Vergrößern anklicken: