Konstruktion eines Röhrenverstärkers mit PL82 – zweiter Teil: die Vorröhre

Ein Watt für Musikhörer

Mit der Leistung von 1 Watt ist man auf höchstempfindliche Schallwandler festgelegt. Es gibt sie in alt – oftmals aus Radios der fünfziger Jahre – und neu, und leidenschaftliche Hörer bevorzugen sie vielfach. Mit einem Watt kann man diese Chassis bereits auf Lautstärken bringen, die man seinen Ohren nicht dauerhaft antun sollte. Und – selbstverständlich! – sprechen wir von Triode und Single-Ended-Schaltungen.

PL82-Endstufe, Bild 1
Grundschaltung einer Trioden-Vorstufe

Täglich die Schraube neu zu erfinden macht wenig Sinn. Genauso ist es bei der Röhrenauswahl: exotische Typen zu ebensolchen Preisen sollen weiterhin die Bastler erfreuen, dem Musikhörer sind Röhren wichtig, die in guter alter Qualität – und mit den „großen“ Markennamen! – noch zu erhalten sind. Wenn es sie (noch) zu zivilen Preisen gibt, umso besser. Eine solche Kombination von Treiber- und Endröhre ist schon einmal vorgestellt worden: PC86 und PL82 (Gysemberg & Wilimzig „Höchst empfindlich“). Kein Grund, sie nicht zu verwenden, zumal diese Röhren bis heute zu erwerben sind. Wer das genannte Buch aufmerksam liest, stellt freilich rasch fest, dass es um Denkanstöße und leichte Nachvollziehbarkeit geht – die dortige P-Röhren-Endstufe ist ein Projekt eher für Einsteiger. Einfachheit und Nachbausicherheit bestimmen augenscheinlich die Konzeption. Aus der Sicht eines musikorientierten Hörers betrachtet geht es freilich eher darum, das klangliche Potential einer Röhrenkombination auszuschöpfen. Dazu werden nachfolgend einige Gedanken vorgestellt, die – generell gesehen – auch für die eine oder andere hochwertige Schaltung gelten würden.

Treiberröhre PC86, verschiedene Hersteller - Foto & © by Michael Münch
Treiberröhre PC86, verschiedene Hersteller – Foto & © by Michael Münch

Die Treiberröhre

Eine erstklassige Endstufe ist ohne Gegenkopplung nicht realisierbar. Das ließe sich begründen, aber die Begründung würde eine ganzes Buch füllen. Wer Gegenkopplung ablehnt, sollte schleunigst zu lesen aufhören, er ist hier in der falschen Kirche. Die Profis der fünfziger Jahre – siehe dazu beispielsweise die Rundfunkverstärker V73 und V69 – bevorzugten eine Spannungsgegenkopplung von der Anode der Endröhre – hier der PL82 – zur Katode der Treiberröhre. Diese Art der Gegenkopplung wollen wir im weiteren Verlauf „Profi-Gegenkopplung“ nennen:

PL82-Endstufe, Bild 2
Profi-Spannungsgegenkopplung von der Anode der End­röhre auf die Katode der Treiberröhre

Unsere PC86 muss einen Katodenwiderstand haben, der nicht mit einem Kondensator wechselstrommäßig gebrückt und damit kurzgeschlossen ist. Um eine Spannungsgegenkopplung zu realisieren, die aus akzeptabel großen Widerständen aufgebaut ist, sollte der Katodenwiderstand ebenfalls möglichst groß sein. Man könnte ihn beliebig groß machen, wenn vom Hersteller der Röhre nicht bestimmte Maximalwerte für die Gitterspannung vorgegeben beziehungsweise hineinkonstruiert worden wären. Kleiner Exkurs: da diese Gegenkopplung parallel zur Endröhre und damit zugleich parallel zum Ausgangsübertrager liegt, sollte der gegenkoppelnde Widerstand Rgk2 unbedingt so groß gemacht werden, dass er keine Leistungsverluste verursacht. In erster Näherung ist das gegeben, wenn er mindestens zehnmal größer ist als der Nennwert der Impedanz des Ausgangsübertragers – und zwanzig- oder dreißigmal größer wäre besser, obwohl das nicht immer erreichbar ist.

Rein sachlich gesehen ist die PC86 eine UHF- (ultra hohe Frequenzen) und fernsehtaugliche Röhre mit einer hohen Leerlaufverstärkung. Der Systemkörper in der Röhre ist klein, um die bei höchsten Frequenzen durch die kapazitiven Effekte des Systemkörpers (je grösser die Flächen, desto größer die Kapazitäten) auftretende Einschränkung des Frequenzbandes gering zu halten. Ein kleines System begründet aber eine Neigung zu relativ großen Streuungen in der Produktion.
Streuungen und dadurch bedingte Abweichungen in der Verstärkung sind jedoch Gift für eine hochwertige Konstruktion; deshalb soll diese Röhre mit einer zweiten Gegenkopplung möglichst punktgenau zu einer definierten Verstärkung gebracht werden. Die erste, eine Stromgegenkopplung, wird gebildet vom Arbeitswiderstand Ra und dem nicht gebrückten Katodenwiderstand Rk1:

PL82-Endstufe, Bild 3
Strom-Gegenkopplung der Vor­röhre mit Fuß­punkt Gk der Profi-Spannungsgegenkopplung
PL82-Endstufe, Bild 4
zusätz­li­che Spannungs-Gegenkopplung von der Anode der Vor­röhre auf ihr Gitter

Für die zweite GK wird der Widerstand Rgk1 von der Anode zum Gitter der PC86 geführt. Damit keine Veränderung der Gitterspannung durch diese Gegenkopplungsschleife stattfindet, wird die Gleichspannung mit dem Kondensator Cgk1 abgeblockt; ferner wird der Gitterwiderstand der Röhre aufgeteilt in Rg1 und Rg2. Bei diesem Splitting liegt der (zwingend notwendige!) Vorverstärker nur noch parallel zu Rg1 und kann so mit seiner vorzugsweise kleinen Quellimpedanz auch nur den Anteil Rg1 „kurzschließen“. Durch die Zweiteilung des Gitterwiderstandes kann die Spannungsgegenkopplung auf den Widerstand Rg2 greifen, der so ausgelegt ist, dass er groß gegenüber der Quellimpedanz des Vorverstärkers ist und von dieser nicht geändert werden kann. Diese Spannungsgegenkopplung wäre ohne diese Maßnahmen recht heikel, weil stark von der Quellimpedanz des signalgebenden Vorverstärkers beeinflussbar, arbeitet jedoch in der gezeigten Form zuverlässig und stabil – sogar dann, wenn der Vorverstärker eine unüblich hohe Quellimpedanz haben sollte.

UHF-Röhren sollen typischerweise mit hohem Strom laufen. Um das zu erreichen, werden teilweise extrem aufwändige Trickschaltungen vorgeschrieben (wie man zum Beispiel am Datenblatt der D3a sehr schön sehen kann). Da sie aber gleichzeitig nur eine geringe Gitterspannung vertragen, liegt hier ein Problem. In der bereits veröffentlichten Endstufenschaltung (siehe „Höchst Empfindlich“) wird deshalb die PC86 lediglich mit circa 2 Milliampere Strom „gefahren“. Auch das ist bereits deutlich mehr als in vielen HiFi- Schaltungen, in denen ECC81 oder ECC83 mit 0,6 bis 0,8 Milliampere vor sich hinblubbern. Um mehr Strom durch die PC86 fließen zu lassen und die Röhre in der vorliegenden Schaltung näher an ihr eigentliches Arbeitsfeld heranzuführen, wurde hier ein Strom von 4 Milliampere gewählt, der mit einer größeren Steilheit und einem geringeren Innenwiderstand der Röhre einhergeht. Zusammen mit dem Katodenwiderstand von 390 Ohm führt er zu einer Gitterspannung von -1,6 Volt, sehr viel höher sollte man bei einer solchen Röhre nicht gehen.

wird fortgesetzt

– Segschneider –

Konstruktion eines Röhrenverstärkers mit PL82 – erster Teil: Vorüberlegungen

Ein/Aus - Foto © by Michael Münch

Rein technische Kriterien – egal auf welchem Gebiet – befriedigen den Techniker, sind Erfüllungsgehilfen des Kaufmanns, der uns dann mit technikorientierter Werbung den Kram andreht, aber sie sagen wenig oder gar nichts darüber, ob dies Gerät den Bedürfnissen eines anspruchsvollen Kunden entspricht. Denn die Wünsche eines musik-orientierten Hörers übersetzen sich nun einmal nicht in Klirrgrad, Frequenzgänge, Messschriebe und so weiter.

Der Röhrenverstärker hat das über viele Jahre bewusst gemacht. In der Aufschwungphase des Transistors wurde er von vielen Technikern – oft mit beispielloser Häme – fast zu Tode kritisiert: zu schlecht in jeder technischen Hinsicht. Aber eben nur in technischer. Musikalisch blieb er der Favorit vieler leidenschaftlicher Hörer. Und die Leidenschaft des Musikhörens war das Argument, das dem Messtechnikwunder namens Transistorverstärker entgegengehalten wurde. Wenn sie an der Musik und am menschlichen Hören vorbeigehen, nützen Technikorientierung und Messerei wenig.

Noch prekärer wird die Situation, sofern man den üblichen Röhrenverstärker daraufhin betrachtet, ob er denn besonders musiktauglich sei. Die dafür erforderliche Strenge des Blickes muss im Kreis der Röhrenbegeisterten notwendigerweise Anstoß erregen. Man kann einen Röhrenverstärker ganz einfach zusammenbringen: keine Gegenkopplung verwenden, alle Teile aus der Ramschkiste nehmen oder billig besorgen, und frisch drauflosgebastelt. Jetzt noch ein paar Messungen am Oszilloskop gemacht, wenns hochkommt obendrein den Klirrgrad bestimmt und – bitteschön! – klingt doch. Irgendwie. Die Frage, ob man mit Röhren nicht wesentlich mehr erreichen kann, bleibt bei solcher Bastelei auf der Strecke.

Brettaufbau © Foto und Aufbau by Michael Münch
In der Entwicklungsphase einer Endstufe ist es äußerst sinnvoll, sämtliche Komponenten zunächst auf einem Brett aufzubauen! Das erleichtert es dem Konstrukteur, räumliche Anordnungen zu probieren, Messungen vorzunehmen, Bauteile zu tauschen und allerlei sonstige Tests zu machen. Im Bild ein Endstufen-Brettaufbau mit Netztrafo, bereits fertiggestellten Netzteilplatinen, der Röhrensektion und zwei aus Röhrenradios ausgebauten Ausgangstrafos, die später gegen gute Standard-Übertrager ausgetauscht wurden. Aufbau und Foto: Michael Münch

Ein Gerät zu optimieren ist Zehnkampftraining. Es geht darum, einerseits die Stärken zu erhalten und andererseits die Schwächen zu erkennen und zu minimieren. Zu den Stärken der Elektronenröhre ist bereits vieles gesagt worden. Ich beschränke mich darauf, die Röhre als das geeignetste Werkzeug zur Musikwiedergabe anzunehmen. Trioden und triodisierte Pentoden sind meine persönlichen Favoriten.

Freilich muss ein grundlegender Fakt berücksichtigt werden. Wir wissen bis heute nicht, was die Röhre elektrotechnisch für ein Gegenstand ist. Irgendwie gibt’s zwischen Katode, Gitter und Anode Kapazitäten – ein Kondensator ist sie aber trotzdem nicht. Auch können wir die tatsächlich vorhandenen kapazitiven Effekte bis heute nicht genau quantifizieren. Darüberhinaus gibt es Raumladungen – deren genaue Verteilung wir nicht kennen – und einen Elektronenfluss, den wir nur sehr annähernd bestimmen können. Tatsächlich knallen Elektronen und andere Teilchen – welche das sind, wissen wir so genau nicht – irgendwo hin, Anode und Getter fangen sie eben nicht alle wieder ein, und der im Glaskolben einer langgebrauchten Röhre sichtbare Niederschlag legt Zeugnis darüber ab, dass im Inneren der Röhre so manches geschieht, was wir nicht wollen, nicht wirklich kennen und nicht recht beherrschen. Erstaunlich, nicht wahr?

Die praktische Unwissenheit über den Gegenstand Elektronenröhre korrespondiert mit einer theoretischen. Wir können einen Kondensator als theoretisches Konstrukt auffassen und seine Eigenschaften aus der Maxwellschen Theorie heraus bestimmen. Und der in der Praxis zusammengebaute Kondensator verhält sich in der rauhen Wirklichkeit weitgehend so wie theoretisch (vorher)bestimmt. Wir können so manchen Elektronenfluss, ob nun in den Grenzflächen eines Transistors oder im glühenden Plasmastrom anhand der Maxwellschen Theorie betrachten, analysieren und vielfach nutzbringend anwenden. Aber das Gebilde Röhre als Ganzes lässt sich bei Maxwell nicht unterbringen.

Nun ist ein solcher Mangel an ganzheitlicher Sicht beim Auto nicht anders. Für das Auto als Ganzes gibt es nach über hundert Jahren Automobilgeschichte immer noch keine Konstruktionstheorie. Noch nicht einmal für die Hinterachse gibt es das. Aber wenn wir vorab entscheiden, es solle eine Schräglenker-Hinterachse werden, dann haben wir für diesen Sonderfall ein größeres theoretisches Rüstzeug. Das hat uns freilich nicht davor bewahrt, in den über hundert Jahren zwischen den verschiedenen Hinterachsformen hin- und herzuirrlichtern: DeDion-Achse – gut, aber (zu) teuer; Eingelenk-Pendelachse – schlecht, aber billig und komfortabel; Schräglenker-Achse – ein wenig von allem; Starr-Achse – gar nicht so schlecht und wieder im Kommen, weil preiswert … – und so fort. So geht es hin und her, man macht das mal so und mal so, zeitgebundene Strömungen.

Dasselbe haben wir bei der Elektronenröhre erlebt, die Konstruktionsweisen waren oft mehr zeitgebunden – das macht man doch so – als logisch rational. Das konnten sie auch nicht sein, denn beim technischen Gegenstand Röhre fehlt ja die allumfassende, ganzheitliche Theorie genauso wie beim Auto. Wer seine Röhrenverstärker vorzüglich auf anspruchsvolle Musikwiedergabe ausrichten will, tut gut daran, musikorientierte Konstruktionsgedanken neu und möglichst weitreichend selbst zu erdenken.

Die nachfolgend vorgestellten Gedanken sind meine – allumfassend sind sie nicht. Sie bemühen sich, vorhandene Stärken zu erhalten sowie Schwachstellen zu erkennen und zu verbessern. Die Stärken liegen vor allem in der Verwendung von nur zwei Röhren, in der Verwendung einer Gegenkopplung, wie sie in berühmten Profiverstärkern für gut befunden wurde, und schliesslich in dem Aufbau einer hochklassigen Stromversorgung (siehe Netzteil mit RC-Siebung für einen Röhrenverstärker). Auch dabei folge ich den Profi-Pfaden und beheize die Röhren mit Wechselstrom, wie es bei allen Rundfunkverstärkern früher gemacht wurde. Was mir verbesserungswürdig erschien und welcher Art meine Gedanken dazu sind, wird in den folgenden Teilen 2 bis 4 ausgeführt.

wird fortgesetzt

– Segschneider –

Röhrenendstufe © Foto und Aufbau by Michael Münch
Überlegter, planvoller Aufbau – das A und O beim Röhrenverstärker. Aufbau und Foto: Michael Münch

Transistor vs. Röhre

Wenn eine Technik den Sieg über eine andere Konstruktionsweise errungen hat, kann man nichts anderes erwarten als: der Sieger schreibt die Geschichte. Er schreibt auch die Geschichtchen, all diese vielen kleinen Veröffentlichungen, die du und ich so überall lesen. Und er wäre ja schön blöd und würde sich selbst in den Hintern treten, wenn er von seinen eigenen Schwächen schriebe. Das tut er nicht. Wagen wir also einen Blick über den Zaun ins sorgfältig Verborgene. Aber Achtung: der Sieger wird protestieren!

Transistor vs. Röhre
Quelle: © Semeniuk 1963 via Wikimedia Commons

Ein Transistor kann den Signalstrom, den er uns liefern soll, nur modulieren; er kann ihn nicht erzeugen. Mit anderen Worten: jeden Signalstrom, den ich dem Gerät entnehmen möchte, muss ich ihm zuvor durch die Stromversorgung gegeben haben. Damit die Stromversorgung das kann, muss sie im Idealfalle den Innenwiderstand null haben. Will ich hundert Watt hinten rauskriegen in Form eines Musiksignals, muss ich vorne (mindestens – etwaige Verluste, Wirkungsgrade, Abwärme und sonstige Kleinigkeiten nicht gerechnet) genau diese hundert Watt reinschieben, und zwar ohne Zeitverzögerung. Netzteile dieser Sorte sehen typisch so aus: dicker Netztrafo – Gleichrichtung – riesiger Glättungskondensator, alles andere wäre schon von Übel, weil es meistens den Innenwiderstand erhöht.

Und genau an dieser Stelle fangen die Probleme des Transistorkonstrukteurs an. Denn eine solche Kombination macht natürlich immer noch jede Menge Restwelligkeiten, die einfach nicht da sein sollten. Also, bitteschön, die besten Dioden verwenden, denn man kann den Unterschied hören, den Strom regeln, die Spannung regeln, ähh, doch besser nicht, denn wenn ich Strom und Spannung gleichzeitig festhalte … – der Transistorkonstrukteur hat’s nicht leicht. Schlimmer noch ist folgender Zusammenhang. Der Stromfluss in einer Grenzschichtfläche (so nennen die Physiker das) ist abhängig von der Temperatur, exakt geht der Strom mit der vierten (!) Potenz der Temperatur einher. Mit allgemeinen Worten: der Transistor ist thermisch extrem instabil und führt bezüglich seines thermischen Verhaltens ein fröhliches, leider nur völlig unerwünschtes Eigenleben. Ergo muss der Transistorkonstrukteur auch dagegen ankämpfen, was bei den besseren Konzeptionen mit einer Class-A-Konstruktion geschieht; diese hilft dann, das allfällige thermische Eigenleben prozentual klein zu halten. Zum besseren Transistor gehört das Aluminiumgebirge und die dadurch bedingte Warmlaufzeit – „… ach was“, sagt das Verkaufsgenie, „… lassen sie ihn doch einfach immer eingeschaltet“, und die Abwärme macht den Raum behaglich warm: lauter Vorteile auf einmal! Die physikalische Formel über die thermische Instabilität stammt übrigens von Albert Einstein, und ich persönlich konstruiere nicht gerne gegen Einstein an. Viele Physiker, die gegen Einstein gedanklich angehen wollten, sind bisher grossflächig gescheitert.

Demgegenüber ist die Röhre sehr viel teurer in Herstellung und Verarbeitung. Sobald sie nach einer Anwärmzeit von circa dreißig Sekunden ihre Betriebstemperatur erreicht hat, ist sie thermisch überraschend stabil; bei guten Konstruktionen kann man zwischendurch ruhig für einige Sekunden ausschalten, die Musik spielt unbeirrt weiter und außer dem „Klack“ des Ausschalters wird man nichts Negatives hören. Sie wärmt den Raum genau so gut oder weniger, braucht keine halbe Stunde vorzuglühen, und manche Mitmenschen finden den erleuchteten Kolben sogar schön. Wichtiger ist, dass Röhren aus dem Netzteil nur den Gleichstrom und die Gleichspannung nehmen, die sie für ihren spezifischen Arbeitspunkt benötigen. Wie bitte??! Wo kommt denn dann der Signalstrom her? Den macht die Röhre selber, weil sie das kann: sie bedient sich dazu aus der Elektronenwolke, die ihre Katode im Überfluss liefert; für den einzelnen Impuls kann sie ein Vielfaches ihres Gleichstromes als (Wechsel)Signalstrom liefern.

Aus meiner Sicht addiert sich das zu entscheidenden Vorzügen auf: das Netzteil kann nahezu beliebig gut gemacht werden (siehe Netzteil für einen Röhrenverstärker Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4), thermische Stabilität ist satt und im Überfluss vorhanden, Aluminiumgebirge gibt’s nicht. Ach ja, fast hätte ich’s vergessen: selbst wenn ich die Vorröhre als Typ X und die (Leistungs-)Endröhre als Typ Y festlege, bleibt dem Anwender die Möglichkeit, seine bevorzugten Ausführungen/Fabrikate einzusetzen und damit die Wiedergabeeigenschaften des Gerätes in die gewünschte Richtung zu verändern. Röhrengeräte lassen sich sehr individuell betreiben.

Und dann sind da noch Kleinigkeiten, die das Konstrukteursherz erfreuen: ich benötige keine Gegenkopplung, um schlechte Stromversorgungen zu bekämpfen, ich habe zwischen keiner Gegenkopplung und zuviel des Guten die volle Freiheit, ich muss nicht die Fehler von PNP-Transistoren mit denen von NPN-Typen bekämpfen, und noch so einiges. Röhrengeräte sind geborene „First Watt“-Sieger. Der Transistor ist gerade mit tatkräftiger Hilfe von Nelson Pass dabei, das zu lernen. Immerhin, lernfähig ist er.

– Segschneider –

Netzteil für einen Röhrenverstärker #4, praktische Ausführung

Praktische Ausführung eines Netzteils

Vorbemerkung:

Die nachfolgend gemachten Angaben beziehen sich einerseits auf eine zu versorgende Endstufenschaltung mit konkreten Betriebswerten, andererseits aber auf die Verwendung eines Netztrafos, der „zufällig“ in der Bastelkiste lag und für geeignet befunden wurde. Allerdings ist er in dieser Ausführung möglicherweise schwer beschaffbar, da es sich um ein Jahrzehnte altes, nicht mehr produziertes Ausbauteil handelt (GRUNDIG BV 9007-501, Kern­größe M85). Mit den in dieser Artikelserie gemachten Hinweisen sollte es dem erfahrenen Bastler aber möglich sein, einen passenden Transformator aufzutreiben, zu testen und maßgeschneiderte Siebketten zu berechnen, die alle hier aufgestellten Forderungen erfüllen.

Die folgenden Angaben der Spannungs- und Widerstandswerte weichen von den in der bisherigen Beschreibung verwendeten im Detail ab. Das liegt daran, dass für die praktische Ausführung des Netzteils der Gesamt-Längswiderstand der RC-Siebkette mit 750Ω statt 990Ω bemessen wurde.


Jetzt soll es praktisch werden. Ich plane den Bau einer Endstufe, die eine Weiterentwicklung des PL82-Konzeptes von Dr. Götz Wilimzig darstellt. Dafür brauche ich ein Netzteil, das die folgenden Bedingungen erfüllt:

Versorgung Endröhre PL82: 245V, 44mA, Dämpfung von Störsignalen: -110dB
Längswiderstand der RC-Siebkette einer Endröhre: +/- 30% des Wechselstrom-Innenwiderstandes der als Triode geschalteten PL82 von 970Ω

Versorgung Vorröhre PC86: 260V, 4mA, Dämpfung von Störsignalen: -140db

Insgesamt ziehen die beiden Verstärkerkanäle einen Strom von 2*44mA + 2*4mA = 96mA. Der zur Verfügung stehende Netztransformator liefert bei der genannten Belastung nach Brückengleichrichtung an einem Ladeelko von 220µF eine Gleichspannung von 278V.

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Siebkette einer Endröhre

Am Ladeelko stehen 278V zur Verfügung, die Endröhre braucht eine Spannung von 245V. Der Spannungsüberhang beträgt also 33V. Daraus bemisst sich der Längswiderstand der Siebkette zu R = U/I = 33V/0,044A = 750Ω und liegt somit innerhalb der oben geforderten Toleranz. Die 750Ω teile ich auf drei RC-Glieder wie folgt auf:

150Ω/220µF ->Siebfaktor 20,72
270Ω/470µF ->Siebfaktor 79,69
330Ω/940µF ->Siebfaktor 194,8

Gesamtsiebfaktor: 321.649, das entspricht einer Dämpfung von -110,148dB

Resonanzverhalten

Der Serienschwingkreis aus dem letzten Kondensator (470µF||470µF = 940µF) und der (hier vorläufig mit 25H angenommenen) Induktivität des Ausgangsübertragers hat eine Resonanzfrequenz von 1,038Hz. Die Kreisgüte liegt mit 0,297 deutlich unter 0,5.

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Siebkette einer Vorröhre

Am Ladeelko stehen 278V zur Verfügung, die Vorröhre braucht eine Spannung von 260V. Der Spannungsüberhang beträgt also 18V. Daraus bemisst sich der Längswiderstand der Siebkette zu R = U/I = 18V/0,004A = 4500Ω. Die 4500Ω teile ich auf drei RC-Glieder wie folgt auf:

1500Ω/220µF ->Siebfaktor 207
1500Ω/220µF ->Siebfaktor 207
1500Ω/330µF ->Siebfaktor 311

Gesamtsiebfaktor: 13.326.039, das entspricht einer Dämpfung von -142,494dB.

Aus all dem ergibt sich folgender

Schaltplan

Schaltplan Netzteil PL82-Endstufe
Schaltplan Netzteil PL82-Endstufe – zum Vergrößern anklicken

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Platinen

Edit. 13.12.2018: die im Dezember 2015 vorgestellten Platinen wurden modifiziert und die neuen Versionen hier eingestellt. Die Änderungen betreffen lediglich die nun bessere Leiterbahnführung. An der Schaltung selbst hat sich nichts geändert. Näheres bitte dem Beitrag PL82-Endstufe – Leiterbahnführung auf den Netzteilplatinen entnehmen.

Für die Siebketten und das Gleichrichter/Ladeelko-Modul wurden Platinen entworfen, die hier als hochaufgelöste PDF-Dateien herunter geladen werden können. Sie sind insofern universell, als sie durch veränderte Längswiderstände auch für andere Endstufen und Netztransformatoren anpassbar sind. Die PDFs sollten jeweils 1:1 (also unskaliert!) auf zwei Overheadfolien ausgedruckt werden, die passgenau übereinander (um eine höhere Dichte zu erzielen) auf fotobeschichtetes Platinenmateriel gelegt und durchbelichtet werden. Das Verfahren wird bekannt sein.

Hier die Bestückung der Gleichrichter/Ladeelko-Einheit:

Gleichrichterplatine PL82 - Bestückung
Gleichrichterplatine PL82 – Bestückung (Platinengröße 80 x 100mm)

Und so werden die beiden Siebketten-Platinen bestückt:

Siebkettenplatine PL82 - Bestückung
Siebkettenplatine PL82 – Bestückung (Platinengröße 160 x 100mm)

Downloads

Platinenfilm Gleichrichter/Ladeelko-Einheit: download
Platinenfilm Siebketten: download

So sehen die Platinen aus (Prototypen, noch mit durchgehender Massefläche):

Platinen für Netzteil PL82
Platinen für Netzteil PL82, zum Vergrößern anklicken

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Ausblick

Damit ist der kleine Aufsatz zum Thema „Röhrenverstärker-Netzteil mit RC-Siebung“ abgeschlossen. Inzwischen gibt es auch Beiträge zum Aufbau einer das bekannte Konzept von Dr. Götz Wilimzig fortschreibenden PL82-Endstufe. Stay tuned!

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Netzteil für einen Röhrenverstärker #3

Resonanzverhältnisse

SerienresonanzBetrachten wir einmal den nebenstehenden Schaltplanauszug. Er zeigt eine als Triode beschaltete Endpentode, den Ausgangstrafo und die Anbindung an das Netzteil (unten). Und wenn man mal genauer hinguckt – auch ich musste mit der Nase drauf gestoßen werden – erkennt man unschwer einen Serienschwingkreis (rot eingerahmt), gebildet aus dem letzten Kondensator des Netzteils (470µF) und der Induktivität der Primärwicklung des Ausgangsübertragers (hier angenommen mit 25H, was ein für gängige Trafos durchaus plausibler Wert ist). Die Resonanzfrequenz dieses Schwingkreises berechnet sich zu:

Resonanzformel

Ach, ich bin ein fauler Kerl und mag mich nicht mit irgendwelchen kompliziert zu bedienenden Programmen zur Darstellung von mathematischen Gleichungen befassen. Man verzeihe mir also meine Sauklaue, wenn ich nun rechne:

Resonanzfrequenz

Was passiert da? Nun, das vom Verstärker übertragene Frequenzgemisch gibt unserem Resonator mal hier, mal da einen passenden Stups – fast so wie ein Vater, der sein Kind auf der Schaukel anschiebt. Um mal bei der Schaukelanalogie zu bleiben: wenn nicht nur der Vater anschiebt, sondern auch noch die Mutter, die gegenüber steht, vielleicht auch noch Onkel und Tante, die gelegentlich im passenden Moment von der Seite ein bisschen nachhelfen, dann bleibt die Schaukel in Bewegung. Die Erwachsenen können die Schaukel aber anstupsen, so oft sie wollen: die Schwingungsdauer der Schaukel bleibt konstant, genau wie die Resonanzfrequenz von Ausgangstrafo und Netzteilelko in dem oben beschriebenen Beispiel. Also: es entsteht eine Schwingung mit der Frequenz 1,468Hz.

Die liegt aber weit unterhalb des Übertragungsbereichs. Welchen Schaden richtet die überhaupt an?

Mal sehen, was Segschneider dazu sagt:

„Was ist Intermodulation? Die Messgerätefirma Bruel & Kjaer hat’s 1977 klar gemacht mit folgendem Beispiel. Ein Tonarm habe eine Resonanz von 7Hz (also unterhalb des Übertragungsbereichs!) und ich taste per Messschallplatte nun 1kHz ab, dann entstehen 993Hz, 1kHz und 1007Hz (und die sind NICHT unterhalb der Hörschwelle) – der erste und letzte Wert sind um so kleiner, je kleiner die Güte des Schwingkreises ist.“

Das ist wohl einzusehen: in unserem berechneten Fall heißt das, dass aus einem 1kHz-Signal drei Signale werden: das recht starke 1kHz-Signal selbst, ein unteres Seitenband von 998,5 Hz und das obere Seitenband von 1001,5 Hz.

Noch was Neues, die Güte des Schwingkreises! Was ist das? Die Güte Q ist ein Maß dafür, wie stark die resonanten Schwingungen im Kreis selbst gedämpft werden. Der Verursacher der Dämpfung in unserem Beispiel-Schwingkreis ist schnell ausgemacht: es ist der bisher noch nicht erwähnte Kupferwiderstand der Primärwicklung des Ausgangstrafos. Wir bedienen uns in der einschlägigen Literatur und finden diese Formel:

Güteformel

Wir setzen die uns bekannten Werte ein: L=25H, C=470µF und R=550 Ohm und erhalten:

Güte

Q=0,419 ist für unsere Sache ein guter Wert, wie wir gleich sehen werden. In der Physik gibt es abhängig von der Güte drei Fälle:

  • die Güte ist größer als 0,5: die Dämpfung im schwingungsfähigen System ist so schwach, dass sich Schwingungen ausbilden können, dieser Status nennt sich Schwingfall
  • die Güte ist gleich 0,5: die Dämpfung im schwingungsfähigen System ist so groß, dass gerade keine Schwingungen mehr auftreten, man nennt das den aperiodischen Grenzfall
  • die Güte ist kleiner als 0,5: die Dämpfung im schwingungsfähigen System ist so stark, dass keine Schwingungen auftreten können, das ist der Kriechfall oder auch ein Fall von überkritischer Dämpfung

Na prima, unsere Kreisgüte beträgt lediglich 0,419 und liegt damit unter 0,5. Das minimiert natürlich auch die unerwünschten Intermodulationsprodukte!

Segschneider hat’s schon gewusst. Hätte ich’s mal gleich gelesen:

Segschneider:

„Wenn wir also ca 1,5Hz als Resonanz haben, sind wir schon besser dran als mit zum Beispiel 10Hz, denn bei 10Hz würden wir bei einer Nutzfrequenz von 20Hz beispielsweise 10Hz und 30Hz als Seitenbänder bekommen, das gäbe schlimme Aufschaukelungen! Und noch besser sind wir mit der Güte von 0,419 dran, denn allgemein gilt ein Wert von 0,5 als die Grenze des Kritischen, darunter ist anzustreben und sehr gut.“

Na also – geht doch!

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Leistungsanpassung

Für die folgenden Überlegungen soll eine als Triode geschaltete Endpentode PL82 als Beispiel dienen. Wie den Röhrenkennlinien (nach Tom Schlangen) zu entnehmen ist, fließt bei einer Anodenspannung von 205 Volt und einer Gittervorspannung von -16Volt ein Anodenstrom von 44mA durch die Röhre. Ihr Gleichstrom-Innenwiderstand bemisst sich demzufolge unter diesen Bedingungen zu R=U/I = 205V/0,044A = 4659 Ohm.

Ebenso wichtig für uns: der Wechselstrom-Innenwiderstand der Röhre. Verändert man bei gleichbleibender Gittervorspannung die Anodenspannung, so ändert sich auch der Anodenstrom. Der Quotient der Änderung der Anodenspannung und der Änderung des Anodenstroms ergibt den Wechselstromwiderstand der Röhre. Bei der PL82 liegt dieser zwischen 900 und 1000 Ohm. Man kann ihn den Röhrenkennlinien entnehmen. Oder man rechnet ihn aus, wenn man die Verstärkung der Röhre und ihre Steilheit kennt. Das sind aber ebenfalls Werte, die man den Kennlinien entnimmt.

Überhaupt darf man eine Röhre nicht mit einem rein ohmschen Widerstand vergleichen, dessen Verhalten komplett berechenbar wäre. Eine Röhre liefert ein lediglich in Grenzen und nur auf einen jeweiligen Betriebsfall hin berechenbares, im Ganzen aber nichtlineares Verhalten, das von Spannungen und Strömen, vor allem aber von ihren gekrümmten Kennlinien bestimmt ist.

Es ist sinnvoll, die Summe der Längswiderstände in der Siebkette des Netzteils in etwa nach dem Wert des Wechselstromwiderstandes der Röhre zu bemessen.

Lassen wir wieder Segschneider zu Wort kommen:

(…) es geht ja wesentlich darum, sicher zu stellen, dass sich das Netzteil und die Röhre in der Nähe des Arbeitspunktes gleich verhalten, dass ihre potentiellen Veränderungen gleich sind. Das ist Anpassung. (…)

(…) es geht nur um die Übereinstimmung im elektrischen Verhalten von Röhre – gegeben durch das Röhrendiagramm – und Netzteil – gegeben durch dessen Längswiderstand.

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Siebkette der Vorröhre

Im zweiten Teil der Beitragsserie über das Netzteil fanden wir, dass unser Trafo bei einer Belastung von 96mA am Ladeelko eine Gleichspannung von 295Volt zur Verfügung stellen muss. 96mA sind die Summe von 2x44mA für die zwei Endröhren und 2x4mA für die Vorröhren unserer Endstufe. Eine Vorröhre zieht also 4mA und das bei einer Spannung von 260Volt. 295V-260V=35V – das ist der Spannungsüberhang, der bei einem Strom von 4mA an den Längswiderständen einer Vorröhren-Siebkette abfällt. Der Gesamtwiderstand berechnet sich zu R=U/I = 35V/0,004A = 8750 Ohm. Auf drei Widerstände verteilt könnte das so aussehen: 2,7kOhm + 2,7kOhm + 3,3kOhm = 8,7kOhm (die fehlenden 50 Ohm liegen im Bereich der Fertigungstoleranzen der Widerstände).

Ein RC-Glied mit einem Widerstand von 2,7kOhm und einem Elektrolytkondensator von 100µF hat einen Siebfaktor von 170. Ein gleiches RC-Glied nachgeschaltet ergibt zusammen mit dem ersten einen Siebfaktor von 28.900. Das dritte RC-Glied soll nun so bemessen sein, dass sich zusammen mit den beiden anderen ein Siebfaktor von besser 10.000.000 ergibt, das entspräche dann einer Dämpfung von -140dB oder besser. Wir rechnen: 10.000.000/28.900 = 346, das muss der Siebfaktor des letzten RC-Glieds sein. Frequenz (100Hz) und Widerstand (3,3kOhm) stehen fest, also lösen wir die schon bekannte Siebfaktor-Gleichung zum Kondensator hin auf:

C = 346/(2*3,14*100*3300) = 346/2.072.400 = 0,000167F = 167µF

Wir nehmen einen Kondensator von 220µF, der nun tatsächlich zu einem Siebfaktor von 456 führt, zusammen mit den beiden ersten RC-Gliedern ergibt sich ein Siebfaktor von 13.178.400, was einer Dämpfung von -142dB entspricht.

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