Totem Pole-Schaltung
In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts erreichte ein Vorverstärker namens Theta, aus den USA kommend, Europa. Er stellte der breiteren audiophilen Öffentlichkeit eine Totem Pole-Schaltung vor, die viele Nachfolger generierte. Bis dahin hatten derartige Schaltungen mehr oder minder ein Schattendasein geführt, aus dem sie nun heraustraten. Die Schaltungsart blieb auch in der bis heute andauernden Diskussion umstritten, und das fängt schon beim Namen an.
Die Rede ist von SRPP und vom µ-follower, und jeder scheint die eine oder andere Änderung mit einem neuen Namen hervorzuheben. Die Basis war aber mit dem Theta gegeben: die Totem Pole-Konfiguration versprach hohe Verstärkung bei niedriger Ausgangsimpedanz, vereinte also alles, was das audiophile Herz so wünscht. Die darauf basierende Schaltung für einen kompletten, aus RIAA plus Linestufe bestehenden Vorverstärker ergab sich fast von selbst. Erste Totem Pole, passive RIAA, zweite Totem Pole, Eingangswahl und Poti, dritte Totem Pole, fertig. Jedesmal dieselbe Röhre, eine wirklich gute Doppeltriode, die E88CC, die das Übereinanderstecken der beiden Systeme leicht macht.
Und jetzt fängt das Elend an. Woher heute 88er Röhren nehmen und nicht stehlen? Die Preise der verbliebenen alten Qualitätsröhren, in den 80ern des vorigen Jahrhunderts noch leicht und gut zu kaufen, sind durch die Decke gegangen und erreichen bei den Spitzenprodukten astronomische Dimensionen. Aber China und Russland – in alphabetischer Reihenfolge – produzieren ja nach wie vor Röhren, und wer die alten Originale nicht kennt, kann damit vielleicht glücklich leben. Der andere Ausweg ist es, die Schaltung in Transistor nachzubauen. Der Transistor gilt als betriebssicherer, und ich verkneife mir im Vergleich jetzt jede Bemerkung über chinesische und russische Fertigungsqualitäten in Sachen Röhren.
LINE-Stufe nach John Broskie
Man kann mit Doppeltrioden aber auch andere Geniestreiche realisieren. Ein besonders interessanter stammt von John Broskie. Er kombiniert eine klassisch beschaltete Röhre mit einem Katodenfolger, und vereint einiges Wünschenswerte in dieser Kombination.
Beide Systeme laufen auf hohem und gleichem Strom, benötigen nur eine gemeinsame Versorgung, und obendrein wurde der Trennkondensator zwischen erstem und zweitem System – bei vielen Audiophilen ja heiß umstritten – eingespart. Broskie schlägt darüberhinaus eine weitere Schaltungsvariante vor, die sogar ohne Katodenkondensator auskommt.
Keinen Kondensator an der Katode zu haben, erscheint vielen Audiophilen reizvoll, ich persönlich strebe das nicht mehr an. Wir verfügen, hervorgebracht von der digitalen Welt, nunmehr über Elkos, die im Verhalten einem guten MKP entsprechen, und deshalb sehe ich keine Notwendigkeit mehr, diesbezüglich Klimmzüge zu machen.
Schaltungen, an denen man nix nörgeln kann, gibt es nicht. Bei dem Broskie’schen Entwurf wird das deutlich, wenn man ihn mit den Forderungen vergleicht, die beispielsweise Zaalberg (G. Klein & J.J. Zaalberg van Zelst: Präzisions-Elektronik, Philips Fachbücher) aufstellt. Zaalberg rät beim Katodenfolger dazu, auf eine präzise Einhaltung der Gitterspannung zu achten, und würde eine entsprechende Schaltung wie folgt aufbauen.
Der Vergleich der beiden Schaltungen verdeutlicht, wo der Hase im Pfeffer liegt. Man darf getrost davon ausgehen, dass im alltäglichen Leben die nach Zaalberg ausgeführte Schaltung am Gitter des Katodenfolgers präziser und – bezogen auf ein langes Leben – stabiler läuft.
Andererseits liegt der besondere Charme der Broskie’schen Schaltung in der Einfachheit, die nicht nur die Nachbausicherheit vergrößert, sondern auch eine Auswahl guter Bauteile preiswert ermöglicht. Diese „pure“ Broskie-Schaltung habe ich schon gehört, und ich fand sie angenehm, was natürlich nur mein subjektives Urteil ist.
Man könnte, und ich denke, man sollte auch die verwendeten Röhren selektieren, und auf möglichst gleiche Systeme achten. Das ist sicher hilfreich, aber kein Wundermittel. Sogar dann, wenn das Röhrenmessgerät „ist gleich“ sagt, bezieht sich diese Aussage lediglich auf den statischen Betriebszustand. Sobald eine Signalspannung dazukommt, ist die Gleichheit des Reagierens nicht mehr gewährleistet. Das Kennlinienfeld beider Systeme müsste perfekt übereinstimmen, um ein gleiches Reagieren auf Signale zu sichern. Und selbst dieses, in der rauen Wirklichkeit wohl eher seltene Kriterium genügt nicht, denn überdies müssten beide Systeme auch noch gleich altern. Deshalb bin ich der Auffassung, dass man nicht zwei Röhren beziehungsweise zwei Systeme einer Doppeltriode parallelschalten sollte, ohne – zum Beispiel durch eine Gegenkopplung – darauf hinzuwirken, dass diese beiden auch dynamisch gleich reagieren.
So, jetzt ist es an der Zeit, die unvermeidliche Kröte zu schlucken: diese Ursprungsschaltung von Broskie (er hat in der Zwischenzeit zahlreiche Varianten entwickelt, die, so verdienstvoll sie sein mögen, den Charme dieser einfachen Grundversion nicht mehr erreichen) arbeitet mit E88CC. Ebenfalls. Und es gelten die weiter oben gemachten Aussagen. Die gute Nachricht ist, dass man nicht unbedingt auf einen eigenhändigen Nachbau angewiesen ist. Der nicht so versierte Freak kann solche Vorverstärker oder Bausätze noch heute erhalten, sowohl in Röhre als auch in Sand, und sie haben nicht den schlechtesten Ruf. Um keine direkte Reklame zu machen, für die ich keinen Cent bekommen würde, verweise ich auf die Internetseite von Lutz Ehmigholz. Dort findet sich eine enthusiastische Beurteilung eines derartigen Vorverstärkers nebst Bezugsquelle.
Konstruktion einer einfachen LINE-Stufe
Als letztes möchte ich für diejenigen, die von Grund auf eigenständig loslegen möchten, die Konstruktion einer einfachen Linestufe skizzieren. Über Eingangswahlschalter sowie Potentiometer, in unserem Falle einem 100kOhm logarithmisch, war bereits im ersten Teil gesprochen worden. Bleibt die Verstärkerstufe.
Einfacher könnte es kaum noch sein. Da in der konstruktiven Wirklichkeit das Potentiometer nicht direkt ans Gitter gelegt werden kann, verwenden wir einen Gitterwiderstand, der den zehnfachen Wert des Potentiometers haben soll, also 10 mal 100kOhm gleich 1MOhm. Nach dem DC-blockenden Kondensator am Ausgang ordnen wir einen weiteren Widerstand an, der den Kondensator nach dem Ausschalten entladen kann. Und das wären schon alle Besonderheiten.
Schauen wir uns nach einer Röhre um, die eventuell infrage kommen könnte. Und da bereits von Doppeltrioden die Rede war, untersuchen wir als Beispiel eine ECC81 oder deren Edelvariante E81CC. Am Gitter benötigen wir nicht mehr als 1V, und unser Potentiometer erlaubt uns, immer unterhalb dieses Wertes zu bleiben. Da wir möglichst positive klangliche Qualitäten erreichen wollen, fahren wir das eine System, das wir nur brauchen, mit viel Strom, und die Kenndaten erlauben uns 10mA. Bei diesen Werten stellt sich eine Anodenspannung von fast 200V (exakt 185V) ein. Dabei erreichen wir eine Steilheit von 6,3mA/V bei einem Innenwiderstand von 10kOhm und einem µ von 63. Den Arbeitswiderstand wählen wir mit Ra = 2,7kOhm, daraus resultiert eine Speisespannung von ungefähr 215V.
Somit ergibt sich eine Verstärkung von
V = µ x Ra / ( Ra plus Ri) = 63 x 2,7 /(2,7 + 10) = 13,4
und damit lägen wir in dem Bereich, der auch für eine digitale Quelle noch akzeptabel wäre.
Die Quellimpedanz der Anordnung ergibt sich annähernd zu
Zi = Ri parallel zu Ra = 10kOhm // 2,7kOhm = 2,2 kOhm.
Unterstellen wir einen Eingangswiderstand im nachfolgenden Gerät von 100kOhm, dann reicht diese Quellimpedanz mit einer Relation von 1 : 45 vollständig aus, und wir können uns eigentlich sorgenfrei zurücklehnen. Allerdings hätten wir jetzt erst ein System unserer Doppeltriode verbaut. Das zweite System für den anderen Kanal zu nehmen, verbietet sich leider, denn in diesem Röhrentyp ist zwischen den Systemen kein Schirm angebracht, und den benötigen wir für eine gute Konstruktion. Aber es bietet sich ein Ausweg an. Die EC92 ist nichts anderes als ein System einer ECC81, und die könnten wir nehmen, und erreichten mit einem separaten Aufbau die erwünschte Kanaltrennung.
Keine Rose ohne Dornen, sagt Volkes Weisheit, und recht hat sie. Da es sich um eine einfache Konzeption handelt, müssen wir damit rechnen, dass die Qualität der Bauteile sich nicht unwesentlich klanglich bemerkbar machen wird. Über den Katodenelko hatten wir bereits gesprochen. Der Ausgangskondensator sollte ebenfalls von gehobener Qualität sein, also mindestens ein Wima MKP4 mit 400V Spannungsfestigkeit. Je nach Geschmack des Hörers kann ein 4,0müf mit 500V Papier-in-Öl-Kondensator (PIO) ebenso eingesetzt werden. Für den Liebhaber digitaler Quellen ist es wichtig, dass das gewählte Potentiometer auch bei geringen Lautstärken möglichst viel Gleichlauf bietet. Diesbezüglich hilft nur Geld in die Hand nehmen: drei blaue Alps kaufen und das beste ausselektieren. Last not least: die Röhre selbst. Ich empfehle, sich nach verschiedenen Herstellern umzutun, und sich nach den eigenen Ohren zu richten. Diese Hinweise gelten auch dann, wenn man in eigenständiger Wahl sich für eine ganz andere Röhre entscheidet.
Eine kleine Erinnerung zum Schluss: ein einstufiger Lineverstärker dreht die Phase, das lässt sich nicht ändern. Einstufig plus Katodenfolger, also die Broskie-Schaltung und alle vergleichbaren, drehen die Phase ebenfalls! Verwenden wir nachfolgend eine zweistufige Endstufe, die die Phase nicht dreht, dann sollten wir am Ausgang die zum Lautsprecher führenden Kabel vertauschen, also rot auf schwarz stecken etc., damit die korrekte Phasenlage wiederhergestellt wird. Bei vielen Röhrenverstärkern, so auch bei der hier bereits veröffentlichten PL82, ist der Ausgang potentialfrei, folglich ideal zum vice versa Anschließen der Kabel geeignet.
Viel Erfolg!
Götz Wilimzig
In diesem Blog gibt es einen grundlegenden Beitrag über die Berechnung von Netzteilen für Röhrenverstärker. Dennoch sei hier die Strategie bei der Konstruktion eines Netzteils für die oben beschriebene LINE-Stufe kurz umrissen:
Götz Wilimzig fordert für die Siebung der Versorgungsspannung dieser LINE-Stufe eine Dämpfung von -140dB. Zwei Kanäle der beschriebenen Line-Stufe belasten das Netzteil mit einem Strom von 20mA. Die Betriebsspannung ist angegeben mit 215V.
Der Ersatzwiderstand der beiden LINE-Kanäle berechnet sich zu
R = U/I = 215V/0,02A = 10.750Ω
Man denke sich einen Netztrafo mit sekundär nachgeschaltetem Brückengleichrichter und Ladeelko. Dieses Netzteil belastet man nun durch einen Festwiderstand in Höhe des Ersatzwiderstandes der beiden LINE-Kanäle. Wir stellen uns weiter vor, wir messen unter dieser Belastung eine Spannung von 251V Gleichspannung am Ladeelko. Das sind 36V mehr als die geforderten 215V Betriebsspannung der beiden EC92-Stufen.
Jede der beiden LINE-Kanäle lässt einen Strom von 10mA fließen. Um bei 10mA einen Spannungsabfall von 36V zu erzeugen, brauchen wir einen Vorwiderstand von
R = U/I = 36V/0,01A = 3.600Ω
Dieser Widerstand von 3,6kΩ stellt nun den Längswiderstand der benötigten Siebkette (für einen Kanal!) dar. Wie in dem oben verlinkten Grundsatzartikel zur Netzteilberechnung ausgeführt ist, macht es selten Sinn, mehr als drei RC-Siebglieder vorzusehen. Daher teilen wir nun den ermittelten Widerstand von 3,6kΩ in drei Widerstände von je 1,2kΩ auf und bilden damit drei RC-Glieder.
Kombinieren wir nun jeden der drei 1,2kΩ-Widerstände mit je einem Elko von 330µF, so erhalten wir drei RC-Glieder, die jeweils einen Dämpfungsfaktor von 249 bezogen auf eine nach dem Brückengleichrichter auftretende „Brumm“-Frequenz von 100Hz aufweisen. Hintereinander geschaltet bilden die drei Glieder zum einen den geforderten Längswiderstand von 3,6kΩ, dämpfen gleichzeitig die Brummspannung um den Faktor 249x249x249 = 15.438.249. Das entspricht einer Dämpfung von etwa -143dB.
Die beiden LINE-Kanäle benötigen je eine der beschriebenen Siebketten. Zusammen belasten Sie den Netztrafo so, dass am Ladeelko die im Vorversuch gefundenen 251V anstehen.
MiMü