Hörtagebuch

Eine Platte fürs tube rolling

Ich höre meine Vinylscheiben über eine röhrenbestückte DIY-Phonovorstufe – im folgenden RIAA genannt. Ein gütiges Geschick spielte mir ein sehr schönes Schaltungsdesign in die Hände (danke, Segschneider!). Es handelt sich um eine passive RIAA, d.h., die Entzerrung des vom Tonabnehmer kommenden Signals erfolgt nicht über eine frequenzabhängige Gegenkopplung, sondern selbiges durchläuft geradeaus ein passives Filter und wird dort „geradegebogen“.

Phonovorstufe mit E88CC
Phonovorstufe mit E88CC in der Testphase

Ich entwarf eine Platinenversion und kann berichten: die läuft seit nunmehr zwei Jahren sehr fein! Ohne auf das Schaltungsdesign näher eingehen zu wollen, sei so viel gesagt: in der RIAA werkelt pro Kanal je eine Doppeltriode E88CC. Und die Dinger sind – ich sag’s jetzt einfach mal so, wie’s ist – scheißenteuer! Besonders, wenn TELEFUNKEN draufsteht. Es gilt also, Alternativen zu probieren … Was ich da so probiere und was dabei herauskommt, soll aber hier gar nicht das Thema sein.

Für erfolgreiches tube rolling braucht man ja gutes Anschauungs Hörmaterial. Denn messen kann man hier gar nix, man muss vielmehr seinen eigenen Ohren vertrauen. Welche Platte also auflegen, wenn man verschiedene E88CC probieren will? Oft hantiert man da mit mehreren Schallplatten: die eine bietet abgründige Tiefen, eine andere führt einen in höchste Höhen und wieder eine andere ist räumlich wie nur was! Aber selten kommen diese Eigenschaften in einer Platte zusammen.

Ich denke, ich kann hier die eierlegende Wollmilchsau präsentieren:

Paolo Conte – Concerti (Live-DoLP 1985)

Paolo Conte - Concerti (Live-DoLP 1985)

Halbvergessen und ewig nicht gespielt kommt diese Aufnahme aus meiner eigenen Sammlung erst wieder zu Ehren, als ich durch Paolo Contes 80.Geburtstag am 06.Januar diesen Jahres mit der Nase drauf gestoßen werde. Ich denke, ich schau mal, was ich von ihm da habe und finde diese Scheibe, zuletzt gehört auf einer mittelmäßigen 80er-Jahre-Anlage mit Transistoren. Aber kaum aufgelegt, bin ich gefangen. Noch kein Ton erklungen, schon brennt die Luft, eine irre Spannung im Raum, ein paar Kontrabass- und Saxophonklänge – und dann geht’s los: Applaus, der geniale Sprechsänger und Kazoo-Virtuose Conte tritt auf und schon bin ich mittendrin: die Musik erobert meinen kompletten Hörraum, scheint von überall her zu kommen – die Illusion ist perfekt!

Heutige „Live“-Aufnahmen werden vom Mischpult abgenommen und später mit overdubs versehen. Nur in die Pausen zwischen den Stücken wird Publikum dazugemischt. Das ist hier erfrischend anders: das Publikum bleibt jederzeit präsent – klasse!

Ich lasse mich da allzu gern mitreißen und dann geht’s mir auf: an dieser Platte müssen sich meine etlichen E88CC-Pärchen verschiedener Herkunft messen! Und was soll ich sagen: das führt zu sehr verschiedenen Ergebnissen. Welchem Fabrikat ich letztlich den Vorzug gebe, bleibt aber mein süßes Geheimnis …

Ein Gedicht von Christian Morgenstern

Christian Morgenstern
Christian Morgenstern (1871 – 1914)

In letzter Zeit kam ich nicht so recht zum Bloggen. Berufliches drängte sich in den Vordergrund – das mag es entschuldigen. Vor ein paar Tagen aber stolperte ich über ein Gedicht, das mir seitdem gar nicht mehr aus dem Kopf will – so sehr hat es mir gefallen. Vielleicht kann ich es ein wenig abschütteln, wenn ich es hier einstelle. Es ist von Christian Morgenstern.

Palmström

Palmström steht an einem Teiche
und entfaltet groß ein rotes Taschentuch:
Auf dem Tuch ist eine Eiche
dargestellt sowie ein Mensch mit einem Buch.

Palmström wagt nicht, sich hineinzuschneuzen –
er gehört zu jenen Käuzen,
die oft unvermittelt-nackt
Ehrfurcht vor dem Schönen packt.

Zärtlich faltet er zusammen,
was er eben erst entbreitet.
Und kein Fühlender wird ihn verdammen,
weil er ungeschneuzt entschreitet.

Christian Morgenstern (1871 – 1914)

In Memoriam L. C.

Seit etwa fünfzig Jahren – Du meine Güte, tatsächlich schon so lange – höre ich die Geschichte, dass der Computer der nächsten Generation endlich wie ein Mensch dies und das und jenes können werde. Nichts davon habe ich je eintreten sehen. Aber einen Vorgang kann er tatsächlich wie ein Mensch: sich selbst aufhängen, sich in einer Sache so festsetzen, dass nichts anderes mehr geht. Meinem Gehirn passierte das neulich bei einem Song von Leonhard Cohen, den jemand Al Pacino unterlegt hatte, wie er gerade dem Duft der Frauen nachtanzte. Und da hatte ich den Ohrwurm oder der Ohrwurm mich, auf jeden Fall: festgeklemmt.

Leonard Cohen
Leonard Cohen, 2008 – Foto & (c) by Rama via Wikimedia Commons

Nun verbindet mich eine eigentümliche Beziehung mit L.C.. Ich mag Songs, die er geschrieben hat, aber ich ziehe andere Interpreten, Jennifer Warnes zum Beispiel, vor. „Dance me to the end of love“ – und dann noch üppig mit Backgroundgesang fleißiger Damen und schluchzender Geigen unterlegt, das ist mir zuviel des Guten. Gelegentlich weiß der Computer ja Rat. Und diesmal wusste er. Es gibt eine ganze Reihe alternativer Versionen. Da das Gehirn sich eh aufgehängt hatte, hörte ich mich in den Song hinein. Diese beiden Interpretationen

  • Ballhaus: Dance me to the end of love, aufgenommen im Bürgerhaus Stollwerck, Köln, Januar 2013, und gesungen von der großartigen Verena Guido
  • und Avalanche Quartett, selber Titel, eingespielt at the Moods in Zürich, 2007

das sind meine Favoriten. Nach meiner – selbstverständlich völlig unmaßgeblichen – Meinung stechen sie aus dem großen Angebot hervor.

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Rasch weiter ins Internet geguckt und — das gibt’s doch gar nicht!! Auf CD nicht erhältlich; das kann nicht sein. Doch halt, hier, vielmehr dort in der fernen Schweiz hatte jemand mal die „Leonard Cohen Songs“ des Avalanche Quartetts, oder er hat sie doch nicht, oder schon wieder, es ist nicht ganz klar, und das letzte Update der Internetseite liegt auch schon zurück. So wunderbare Musik und so gut wie nicht erhältlich, noch nicht einmal gebraucht. Man kann es nur traurig finden.

Wem diese Interpreten nicht gefallen, der mag vielleicht Madeleine Peyroux, Perla Batalla & Julie Christensen, Harpeth Rising oder Meret Becker, Bettina Wegner oder oder. Monica Bellucci muss nicht sein, Jack Vettriano kann sein, obwohl ganz ohne Musik, dafür aber an der Kante von jugendfrei. Macht nix, das Gehirn hat sich einmal aufgehängt und liefert die Musik gratis dazu. Jaa, so ist das.

Und, versprochen ist versprochen, der Computer der nächsten Generation kann uns dann Songs wie von L.C. liefern – ganz bestimmt!

Greg Lake – † 07. Dezember 2016

Greg Lake
Greg Lake – Photo: Lrheath at en.wikipedia

Jetzt auch noch Greg Lake! Nachdem sich Keith Emerson im März diesen Jahres erschoss und so für immer die Bühne verließ, erlag gestern sein ELP-Bandkollege Lake einem Krebsleiden.

Beide gehörten zum inneren Zirkel des musikalischen Personals, das nachhaltig meine musikalische Sozialisation (als Hörer) geprägt hat. Für mich war Lake ein begnadeter Sänger, überhaupt ein Musikant im allerbesten Sinne – trotz seines gelegentlichen Hangs zur Schnulze. Wenn ich jetzt sagte, er werde mir in Zukunft fehlen, dann träfe das die Sache nicht ganz: dafür war er mir als Musiker gar nicht mehr präsent genug und als Mensch kannte ich ihn überhaupt nicht. Aber zu wissen, dass es ihn nicht mehr gibt, macht mir die Welt ein ganzes Stück ärmer!

Warum sind auf Flohmärkten gekaufte Simon & Garfunkel-LPs grundsätzlich verstaubt und verschrabbelt?

Dieser kleine Aufsatz hat schon ein paar Jährchen auf dem Buckel – ich veröffentlichte ihn erstmals im März 2012 im Vorgänger-Blog „der Radionist“. Nachdem ich am letzten Wochenende mit drei auf dem Flohmarkt gekauften Leonard Cohen-LPs ganz ähnliche Erfahrungen machen durfte wie nachfolgend beschrieben, hole ich nun den alten Beitrag aus dem Dornröschenschlaf und präsentiere ihn hier erneut.


19. März 2012 – Wie schon mal berichtet, gehört während unseres sonntäglichen Frühstücks der Plattenteller entweder Annunzio Mantovani oder Bert Kaempfert. Ok, ich weiß, das ist nichts intellektuell Hochwertiges, aber es macht gelegentlich ungeheuren Spaß und ist obendrein noch gut gemacht.

Simon & Garfunkel - The Concert in Central Park (2LP 1982)Am letzten Sonntag aber verordnete ich mal eine Ausnahme und legte Simon and GarfunkelThe Concert in Central Park (2LP 1982) auf. Und da war es wieder: knister, knister, rausch, knack… – ganz typisch für auf dem Flohmarkt gefundene Schallplatten des Duos. Man kann fast seinen Hintern drauf verwetten – Simon und Garfunkel von gebrauchter Schallplatte knistern, knacken und rauschen immer. IMMER!!! Aber warum?

Diese Platten müssen unglaublich genudelt worden sein. Heavy rotation! Das ist nur so zu erklären, dass irgendein süßes Gift von dieser Musik ausgeht, irgendwas süchtig machendes. Vielleicht wirkt das besonders auf eine bestimmte Altersstufe, deren Angehörige sich von dieser Musik auf eine diffuse Art und Weise unglaublich verstanden fühlen.

Ich mags mal vergleichen mit meinen Erfahrungen, die ich mit Hermann Hesses Buch „Der Steppenwolf“ gemacht habe. Im Alter von 16, 17 oder 18 ist man ja geneigt, das eigene pubertätsbedingte seelische Durcheinander nicht für eine Phase, sondern für etwas Bleibendes zu halten. Jemand, der so denkt, erkennt sich in seiner Verzweiflung allzu leicht wieder in Hesses Alter-Ego-Romanfigur Harry Haller, hin- und hergerissen zwischen bürgerlichen Konventionen und dem Willen zum (letztlich doch nicht in die Tat umgesetzten) Aufbruch in die Unangepasstheit. In dieser blöden Situation wird einem „Der Steppenwolf“ zur Bibel, für jeden in der geschundenen Seele quer sitzenden Pups findet man dort Bestätigung. Entsprechend ackert man das Buch immer und immer wieder durch auf der Suche nach Erleuchtung, die einem jedoch letzten Endes nicht zuteil wird.

Die Pubertät vergeht, die Seele gesundet, den Steppenwolf überwindet man innerlich erstaunlich schnell – nur für das Buch, in dem man monate-, vielleicht jahrelang geackert hat, kommt jede Hilfe zu spät. Es ist völlig ramponiert. Egal – diese Phase ist überwunden, der Schmöker hat seine Schuldigkeit getan!

Hier schlage ich den Bogen zurück zu den gebraucht gekauften Simon & Garfunkel-Scheiben. Die mögen sich auch mal eine Zeit lang im Besitz ungarer Pubertanden befunden haben, die sich das schwere Gemüt an ihnen abarbeiteten. Das würde erklären, warum gebrauchte Simon & Garfunkel-LPs immer… – Sie wissen schon!


Unser Frühstück war von der Sorte, die wir im innerfamiliären Sprachgebrauch ein „Heldenfrühstück“ nennen. Unser Selbstversuch hat bewiesen, dass man zur Mucke von Simon & Garfunkel nicht nur die Seele massieren, sondern ebenso famos tafeln kann. Daran kann auch das Geknister und Geknacke der Plattenwiedergabe nichts ändern.

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